gms | German Medical Science

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland
22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie
24. Kongress der Union Europäischer Phoniater

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

16. bis 18.09.2005, Berlin

Vocal cord dysfunction: vom Umgang mit Ärger und Aggression

Vocal cord dysfunction: the handling of anger and aggression

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Eberhard Seifert - Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Hals-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Station Phoniatrie, Bern, Schweiz
  • author Jürg Kollbrunner - Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Hals-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Station Phoniatrie, Bern, Schweiz

100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater. Berlin, 16.-18.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05dgppV42

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2005/05dgpp006.shtml

Veröffentlicht: 15. September 2005

© 2005 Seifert et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Bei der Vocal Cord Dysfunction (VCD) handelt es sich um eine anfallsartige paradoxe Stimmlippenadduktion während der Inspiration. Die VCD kann ausgelöst werden durch Triggerreize wie z.B. Rauch, Staub, Gerüche, aber auch körperliche und/oder psychische Belastungen. Als Co-Faktor für die Entstehung einer VCD ist eine erhöhte Empfindlichkeit der oberen Luftwege anzusehen. Die VCD gilt als wichtige Differentialdiagnose zum Asthma bronchiale, ist aber häufig auch mit Asthma vergesellschaftet. Typischerweise sind die Patienten mit einer VCD weiblich, zwischen 20 und 40 Jahre alt und sportlich. Sie haben einen hohen Leistungsanspruch an sich selbst und nur eine geringe Toleranz für Fehler.

Ziel der vorliegenden Studie war es, aufgrund dieser in der Literatur beschriebenen Auffälligkeiten der VCD-Patienten, ihren Umgang mit Ärger und Aggression zu analysieren.

Bei 15 Patienten, 7 Frauen und 8 Männern wurde der Picture Frustration Test (PFT) durchgeführt. Dabei wiesen sowohl Männer als auch Frauen eine Unterdrückung des Ausdrucks von Ärger auf (Extrapunitivität) und richteten Ärger eher gegen sich selbst (Intrapunitivität). Frauen zeigten zudem die Tendenz, Aggressionen zu vermeiden (Impunitivität), während Männer hingegen in Konflikten nach raschen Lösungen suchten (Lösungsausrichtung).

Die Ergebnisse unterstützen die Einschätzung der Vocal Cord Dysfunction als somatoforme Störung. Im kausalen Therapieansatz gilt es, dieses zu berücksichtigen.


Text

Einleitung

Der Name „Vocal cord dysfunction" (VCD) wurde geprägt durch Christopher et al. [1] und bezeichnet eine anfallsartige paradoxe Adduktion der Stimmlippen während der Inspiration. Klinisch ist die VCD charakterisiert durch wiederholte, Minuten bis Tage dauernde Dyspnoeanfälle mit inspiratorischem Stridor, wobei subjektiv das Engegefühl in der Larynxregion empfunden wird. Die Anfälle können mit einer Stimmveränderung einhergehen.

Wegweisend für die VCD ist der laryngoskopische Nachweis der inspiratorischen Stimmlippenadduktion während der Luftnotattacken, typischerweise mit einem diamantförmigen dorsalen Spalt. Die Spirometrie zeigt eine Abflachung der inspiratorischen Fluss-Volumen-Kurve, die arterielle Blutgasanalyse bleibt im Normbereich. Ausserhalb der akuten Symptomatik sind die Laryngoskopie und die Spirometrie unauffällig.

Aufgrund der Ähnlichkeit der klinischen Symptomatik wird die VCD häufig als Asthma fehldiagnostiziert. Da jedoch ein andersartiger Pathomechanismus vorliegt, führt eine asthmaspezifische Behandlung verständlicherweise nicht zur Reduktion der Symptome.

Bereits Christopher et al. [1] fanden bei den Patienten mit VCD eine „variety of psychiatric disorders, ranging from mild stress-related exacerbation of symptoms to obsessive-compulsive disorder", jedoch keine hysterische Persönlichkeitsstörung. Sie vermuteten zugrunde liegend eine Konversionsstörung.

Ziel dieser Studie ist es, den Umgang mit Ärger und Aggression von Patienten mit VCD mit Hilfe eines psychologischen Testverfahrens zu evaluieren.

Material und Methode

Von 10/2000 bis 11/2004 wurde bei 30 Patienten die Diagnose einer VCD gestellt. Es handelte sich um 17 Frauen und 13 Männer im Alter von 14-67 Jahren (Mittelwert = 44 Jahre, Standardabweichung = 16 Jahre). Die Diagnose wurde bei 10 Patienten mit Hilfe der Laryngoskopie während eines Dyspnoeanfalles gestellt, bei 8 Patienten mittels Spirometrie und bei 16 Patienten konnte die Diagnose aufgrund der eindeutigen Anamnese gestellt werden. Das letztere Vorgehen scheint gerechtfertigt, denn obwohl zur Verifizierung der Diagnose VCD eine Laryngoskopie während des Anfalls als Goldstandard gilt, wird die eindeutige Anamnese als adäquat angesehen, um die VCD als Arbeitsdiagnose zu sichern [2].

Bei 15 Patienten, der Hälfte der Gruppe, 7 Frauen und 8 Männern im Alter zwischen 16 und 66 Jahren (Mittelwert = 44 Jahre, Standardabweichung = 16 Jahre) konnte der Picture Frustration Test (PFT) durchgeführt werden. Der PFT erlaubt eine Einschätzung des bevorzugten Umgangs der Testpersonen mit aggressiven Impulsen.

Der Test besteht aus 24 skizzierten Zeichnungen, auf denen jeweils 2 Personen zu sehen sind, von denen die eine mit einer frustrierenden Situation konfrontiert wird. Der Patient wird nun gebeten, anstelle der frustrierten Person auf die Situation zu reagieren und eine Antwort zu geben. Die möglichen Antworten können in jeweils drei unterschiedliche Reaktionstypen und drei Aggressionsrichtungen eingeteilt werden (wie im deutschen Testheft zum PFT werden im folgenden die international gebräuchlichen englischen Begriffe verwendet): Zu den Reaktionstypen zählen "obstacle-dominance" (die Frustration steht im Zentrum der Reaktion), "ego-defense" (das Individuum fühlt sich angegriffen und verteidigt sich) und "need-persistence" (Anstreben einer schnellen Lösung der Frustrationssituation). Die Aggressionsrichtungen sind „extrapunitivity" (der Ärger ist gegen aussen gerichtet), „intropunitivity" (der Ärger ist gegen sich selbst gerichtet) und „impunitivity" (Vermeiden von Aggressionen).

Die Auswertung des PFT beruht auf der numerischen Abweichung der Durchschnittswerte der Patientengruppe gegenüber der Schweizer Referenzgruppe.

Die Gründe, warum bei den 15 übrigen Patienten der Test nicht erfolgte, sind vielfältig. Drei Patienten befanden sich bereits in externer Psychotherapie, bei drei weiteren Patienten fanden nur psychologische Gespräche statt, bei einer Patientin erlaubten die fehlenden Sprachkenntnisse die Testdurchführung nicht. Die übrigen acht Patienten lehnten den Kontakt mit dem Psychologen ab.

Ergebnisse

Bei den Männern und Frauen mit VCD zeigt sich eine verminderte Extrapunitivity, und eine erhöhte Intropunitivity. Der Ärger wird also weniger nach aussen als eher gegen sich selbst gerichtet. Neben diesen gemeinsamen Reaktionsrichtungen finden sich zusätzlich bei Männern und Frauen noch unterschiedliche Verhaltensweisen:

Bei den Patientinnen mit VCD ist die Impunitivity verstärkt ausgeprägt, es besteht also die Tendenz, Aggressionen zu vermeiden.

Bei den Männern der untersuchten Patientengruppe zeigt sich eine erhöhte Need-Persistence, sie suchen also (zu) rasch eine Lösung aus der frustrierenden Konfliktsituation. Die Ergebnisse sind grafisch in der Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt.

Diskussion

Die VCD nimmt einen wichtigen Platz in der Differentialdiagnose zum Asthma ein und sollte spätestens dann in Erwägung gezogen werden, wenn ein therapierefraktäres Asthma vermutet wird. Die Prävalenz der VCD wird auf 2-3% geschätzt, bei über der Hälfte der VCD-Patienten soll gleichzeitig ein Asthma vorliegen [2].

Frauen sind von diesem Störungsbild häufiger betroffen als Männer. Der typische VCD-Patient ist weiblich, zwischen 20 und 40 Jahre alt, leistungsorientiert, sportlich und in irgendeiner Form im Gesundheitswesen tätig [3]. Die Anfälle treten oft unmittelbar mit Beginn einer Anstrengung (Sport) auf.

Nachdem zunächst eine Konversionsstörung als Ursache vermutet wurde, werden heute neben der psychosomatischen Genese auch der gastroösophageale Reflux, allergische Faktoren und/oder ein Postnasal drip, mithin also eine multifaktorielle Verursachung diskutiert. Das Symptom der VCD, der rezidivierende Luftnotanfall, soll als gemeinsame Endstrecke verschiedener Ursachenketten in Erscheinung treten [4].

Wir finden bei den untersuchten Patientinnen und Patienten mit VCD eine besondere Form des Umgangs mit Ärger und Aggression: Ärger wird unterdrückt und/oder gegen die eigene Person gerichtet. Die Patienten versuchen, Aggressionen zu vermeiden. Den Konfliktsituationen wollen sie möglichst rasch entfliehen, indem sie so schnell eine Lösungsmöglichkeit suchen, dass sie wenig Chancen haben, den Konflikt zu verstehen und/oder sich der Konfliktsituation gegenüber abzugrenzen und den Konflikt so zu verarbeiten. Die Schwierigkeit der Patienten im Umgang mit Angst, Traurigkeit, Furcht und Aggression, wird auch von anderen Autoren bestätigt [5].

Der Larynx, mithin das Zielorgan der VCD, ist auf der einen Seite ein lebensprotektives Organ, so lässt er den Fluss des lebensnotwendigen Sauerstoffs zu und schützt die Lunge vor dem Eindringen von Fremdkörpern. Auf der anderen Seite dient er uns Menschen als Schallgenerator für die lautsprachliche Kommunikation, ist aber aufgrund der ausserordentlich engen Beziehung zwischen Stimme und Emotion [6] gleichzeitig auch ein Ausdrucksmittel für eben diese Emotionen. Zufriedenheit, Fröhlichkeit, aber auch Trauer, Angst, Aggression finden ihren Niederschlag in der menschlichen Stimme. Werden nun Ärger und Aggression als Gefühle der Konfliktverarbeitung gegen innen gerichtet, suchen sie sich ein Ventil, um nach aussen zu gelangen und zeigen sich an dem Organ, an welchem sich beide Aspekte, Schutz und Emotion, manifestieren lassen: Es resultiert die paradoxe inspiratorische Stimmlippenadduktion mit der Dyspnoeattacke. Das Symptom des Luftnotanfalls ist ja den Patienten, die gleichzeitig unter Asthma leiden, wohl bekannt.

In der Entstehung der VCD spielen die Triggerreize, wie z.B. Reflux, Allergie etc. sicher eine Rolle, welche den Larynx als locus minoris resistentiae erscheinen lassen. Diese Faktoren allein reichen aber vermutlich nicht aus, um eine VCD zu verursachen. Psychosomatischen Faktoren kommt in der Entstehung also eine ausserordentliche Bedeutung zu.

Aus diesem Grunde scheint es uns nicht ausreichend, in der langfristigen Therapie lediglich die Triggerreize zu behandeln und eine symptomorientierte Stimm-Atemtherapie einzuleiten, sondern es sollte den Patienten das Angebot eines psychologischen Counsellings gemacht werden. Dieses eröffnet den Patienten die Möglichkeit, ihre besondere Form der Reaktion auf Konflikte zu verstehen und Veränderungen herbeizuführen.


Literatur

1.
Christopher KL, Wood RP, Ekert MD, Blager FB, Roy PD, Souram JF: Vocal-Cord Dysfunction Presenting as Asthma. N Engl J Med 1983; 308: 1566-1570
2.
Patel NJ, Jorgensen C, Kuhn J, Merati AL: Concurrent laryngeal abnormalities in patients with paradoxical vocal fold dysfunction. Otolaryngol Head Neck Surg 2004; 130: 686-689
3.
Mathers-Schmidt B: Paradoxical Vocal Fold Motion. Am J Speech Lang Pathol 200; 10: 111-125
4.
Kenn K, Hess MM: Vocal Cord Dysfunction - eine "nur pneumologische" Erkrankung? HNO 2004, 52: 103-109
5.
Homnick DN, Pratt HD: Respiratory Diseases with a Psychosomatic Component in Adolescents. Adolesc Med 2000; 11: 547-565
6.
Aronson AE. Clinical Voice Disorders. 3 ed. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag, 1990.