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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Frühdiagnostik kindlicher Sprachentwicklungsstörungen

Poster

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  • author presenting/speaker Christian Kothe - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Hamburg, Deutschland
  • Delia Möller - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Poliklinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde, Hamburg, Deutschland
  • Susanne Fleischer - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Poliklinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde, Hamburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppP21

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2004/04dgpp65.shtml

Veröffentlicht: 9. September 2004

© 2004 Kothe et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: In einer prospektiven Studie haben wir untersucht, ob man bereits im 2. und im 3. Lebensjahr auf eine Sprachentwicklungsstörung schließen kann.

Methode: 16 Patienten (6 Mädchen und 10 Jungen) im Alter von 17-35 Monaten und einem Durchschnittsalter von 26 Monaten wurden im Zeitraum August 2002 bis Mai 2004 untersucht. Bei allen Kindern waren keine Risikofaktoren für eine Sprachentwicklungsstörung bekannt. Der Sprachstatus wurde anhand eines Elternfragebogens (ELFRA-1 bzw. ELFRA-2) und einer eingehenden logopädischen Untersuchung erhoben. Nach einem Zeitraum von 3-8 Monaten wurden die Kinder erneut logopädisch untersucht.

Ergebnisse: Bei 9 Kindern, bei denen wir bei der ersten Untersuchung die Verdachtsdiagnose Sprachentwicklungsstörung stellten, bestätigte sich die Diagnose bei der nachfolgenden Verlaufskontrolle. 7 Patienten zeigten bei der Eingangsuntersuchung einen altersentsprechenden Befund, der sich im Verlauf bei 5 Patienten bestätigte. In 2 Fällen wurde erst bei der Kontrolluntersuchung eine Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert.

Diskussion: Anhand eines Elternfragebogens und einer logopädischen Untersuchung kann eine Sprachentwicklungsstörung frühzeitig diagnostiziert werden. Es sind jedoch Kontrolluntersuchungen notwendig, um auch bei Kindern mit zunächst unauffälligem Sprachstatus eine Sprachentwicklungsstörung aufdecken zu können.


Text

Einleitung

Sprachentwicklungsstörungen zählen zu den häufigsten umschriebenen Entwicklungsstörungen im Kindesalter, wobei die in der Literatur angegebene Prävalenz zwischen 1% und 32% schwankt [1], [2], [3]. Vielfach gehen Sprachentwicklungsstörungen mit Teilleistungsstörungen wie z.B. Lese- Rechtschreibstörungen, Rechenstörungen oder Beeinträchtigungen von motorischen Funktionen einher [4]. Als Sprachentwicklungsstörungen werden primäre Störungen des Spracherwerbs, die durch Defizite in der Produktion bzw. dem Verstehen der Lautsprache gekennzeichnet sind, definiert. Für das Auftreten von Sprachentwicklungsstörungen können beispielsweise Hörstörungen (Schalleitungsschwerhörigkeiten, Schallempfindungsschwerhörigkeiten bzw. auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen), genetische Dispositionen, frühkindliche Hirnschäden, eingeschränkte kognitive Fähigkeiten, Frühgeburten, Geburtsgewicht < 1500g, psycho-soziale und sozio-kulturelle Faktoren usw. verantwortlich sein [5], [6], [7], [8], [9] In vielen Fällen lassen sich jedoch trotz intensiver Suche keine Ursachen für das Vorliegen einer Sprachentwicklungsstörung nachweisen. Wir haben anhand eines Elternfragebogens und einer logopädischen Untersuchung analysiert, ob man bei Kindern im 2. und 3. Lebensjahr bereits auf eine Sprachentwicklungsstörung schließen kann.

Material und Methoden

In einer prospektiven Studie wurden 16 Patienten, 5 Mädchen und 11 Jungen im Zeitraum von August 2002 bis Juni 2004 untersucht. Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung lag das Alter der Kinder zwischen 17-35 Monaten bei einem Durchschnittsalter von 26 Monaten [Tab. 1]. Die Patienten wurden in der Poliklinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde aufgrund des Verdachtes auf eine nicht altersgemäße Sprachentwicklung vorgestellt. Es wurden in diese Studie nur Patienten eingeschlossen, bei denen anamnestisch und nach einer HNO-ärztlichen Untersuchung keine Ursachen für eine Sprachentwicklungsstörung zu finden und bei denen auch sonst keine anderen Erkrankungen oder Entwicklungsstörungen bekannt waren. Bei allen Kindern war die durchgeführte subjektive Audiometrie altersgemäß und die TEOAE beidseits ausreichend reproduzierbar. Anhand eines Elternfragebogens, ELFRA-1 bzw. ELFRA-2 (Hogrefe-Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen) und einer eingehenden Untersuchung durch eine erfahrene Logopädin wurde der Sprachstatus erhoben. Der Elternfragebogen ELFRA dient der Erfassung des erreichten Sprachentwicklungsstandes und der Abklärung von Entwicklungsstörungen. Vom 12. bis zum 23. Lebensmonat wurde der ELFRA-1 Fragebogen verwendet, der den erreichten Entwicklungsstand bei der Sprachproduktion, das Sprachverständnis, das gestische Verhalten sowie die Feinmotorik des Kindes misst. Beim Elternfragebogen ELFRA-2, der vom 24. bis zum 35. Lebensmonat zum Einsatz kam, stehen der produktive Wortschatz sowie die Syntax und die Morphologie im Vordergrund. Bei der logopädischen Untersuchung wurde das Sprachverständnis und die expressiven Sprachleistungen (syntaktisch-lexikalische bzw. syntaktisch-morphologische Ebene) in einer 45 minütigen Untersuchung beurteilt. Nach einem Zeitraum von 3-8 Monaten wurden die Kinder von derselben Logopädin erneut untersucht. Das Ergebnis der Erstuntersuchung wurde mit dem der Folgeuntersuchung verglichen und ausgewertet.

Ergebnisse

Tabelle 2 [Tab. 2] und 3 [Tab. 3] stellen die erreichten Punkte im ELFRA zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung dar. Die Verdachtsdiagnose Sprachentwicklungsstörung, die wir bei 9 Kindern bei der Erstuntersuchung stellten, bestätigte sich bei der nachfolgenden Verlaufskontrolle. Von 7 Patienten, die bei der Eingangsuntersuchung einen altersentsprechenden Befund zeigten, war bei 5 Kindern auch die Kontrolluntersuchung unauffällig. Trotz eines normalen Befundes bei der Erstuntersuchung konnte bei 2 Kindern bei der nachfolgenden Verlaufskontrolle eine Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert werden.

Diskussion

Bei der Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen im Kindesalter stehen standardisierte Tests wie beispielsweise der Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET) und die logopädische Diagnostik im Vordergrund [10]. Screeningverfahren zur Beurteilung des Sprachentwicklungsstandes kommen in der pädiatrischen Praxis vor allem im Zusammenhang mit der U8 und der U9 zur Anwendung [2]. Die Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen und die frühzeitige Einleitung einer Therapie sind jedoch wichtig um möglichst früh eine normale Sprachentwicklung zu erreichen, aber auch um Begleitsymptome wie beispielsweise psychische Auffälligkeiten, die häufig bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen zu beobachten sind, baldmöglichst behandeln zu können [11]. In Abhängigkeit vom jeweiligen Störungsbild kommen neben der gezielten logopädischen Therapie und Elternberatung auch weitere Maßnahmen wie beispielsweise Ergotherapie, Physiotherapie, Psychotherapie, Veränderungen des sozialen Umfeldes und eine vermehrte sprachliche Anregung des Kindes in Betracht [12], [9], [13], [14]. In unserer Studie konnte anhand eines Elternfragebogens und durch eine logopädische Untersuchung eine Sprachentwicklungsstörung bereits im 2. und im 3. Lebensjahr erkannt werden. Im frühen Kindesalter sind jedoch Kontrolluntersuchungen notwendig, um auch bei Kindern mit zunächst unauffälligem Sprachstatus eine Sprachentwicklungsstörung aufdecken zu können.


Literatur

1.
Law J, Boyle J, Harris F, Harness A, Nye C (1998) Screening for speech and language delay: a systematic review of the literature. Health Technol Assess 2: 1-184
2.
von Suchodoletz W (2003) Kinder mit Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen. MMW Fortschr Med 145: 630-635
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Busari JO, Weggelaar NM (2004. How to investigate and manage the child who is slow to speak. BMJ 328: 272-276
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O´Brien EK, Zhang X, Nishimura C, Tomblin JB, Murray JC (2003) Association of specific language impairment (SLI) to the region of 7q31. Am J Hum Genet 72: 1536-1543 3. Busari JO, Weggelaar NM (2004) How to investigate and manage the child who is slow to speak. BMJ 328: 272-276
6.
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7.
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8.
Jansson-Verkasolo E, Valkama M, Vainionpää L, Pääkkö E, Iikko E, Lethihalmes M (2004) Language development in very low birth weight preterm children: a follow-up study. Folia Phoniatr Logop 56: 108-119
9.
Schönweiler R, Ptok M, Radü HJ (1998) A cross-sectional study of speech- and language-abilities of children with normal hearing, mild fluctuating conductive hearing loss, or moderate to profound sensoneurinal hearing loss. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 44: 251-258
10.
von Suchodoletz W, Höfler C (1996) Stellenwert des Heidelberger Sprachentwicklungstests (HSET) in der Diagnostik von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 24: 4-11
11.
Beitchman JH (1998) Summary of the practice parameters for the assessment and treatment of children and adolescents with language and learning disorders. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 37: 1117-1119
12.
Kiese-Himmel C (1997). Sprachgestörte Kinder im Vorschulalter: Knapp vier Jahre später. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 25: 73-81
13.
Seidner W (1997) Sprachstörungen in der HNO-Praxis. Laryngo Rhino Otol 76: 268-271
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Tyler AA, Lewis KE, Haskill A, Tolbert LC (2003) Outcomes of different speech and language goal attack strategies. J Speech Lang Hear Res 46: 1077-1094