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21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

10. bis 12.09.2004, Freiburg/Breisgau

Der Einfluss einer Fluency Shaping Stotter-Therapie auf die kortikale Plastizität

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV32

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2004/04dgpp58.shtml

Veröffentlicht: 9. September 2004

© 2004 Neumann et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Neuroimaging-Techniken haben ausgedehnte rechtshemisphärische Hirnaktivierungen und linksseitige Deaktivierungen als hirnphysiologische Korrelate des Stotterns detektiert. Da Abnormitäten in weißen Fasern linkshemisphärischer Sprachregionen gefunden wurden, scheinen rechtsseitige Mehraktivierungen für die strukturellen Defizite zu kompensieren. Mittels fMRT wurden die Auswirkungen einer Fluency-Shaping-Therapie auf die Hirnaktivitätsmuster stotternder Personen (SP) untersucht.

Methoden: 16 SP und 16 nicht stotternden Personen (NSP) unterzogen sich in einer fMRT einer sprechmotorischen und einer linguistischen Aufgabe. An einem Teil dieser SP wurden zudem Effekte einer Fluency-Shaping-Therapie vor, direkt nach und zwei Jahre posttherapeutisch untersucht.

Ergebnisse: Eine Region im rechten frontalen Operculum erwies sich sowohl während motorischer als auch linguistischer Aufgaben als stotterspezifisch. Prätherapeutisch war eine ausgedehntere Hirnaktivierung bei SP als bei NSP zu verzeichnen, die nach der Therapie noch ausgedehnter war und einen Shift auf die linke Seite aufwies, insbesondere in die Nachbarschaft der kürzlich bei SP beschriebenen Regionen abnormer weißer Fasermassen. Hingegen wiesen aufgabenspezifische Deaktivierungen auf permanente Dysfunktionen hin.

Damit scheinen sprechflüssigkeitsinduzierende Techniken eine gestörte Signalübertragung zwischen linkshemisphärischen auditorischen, Sprechmotorik-Planungs- und -Ausführungs-Regionen zu synchronisieren.


Text

Einleitung

Neuroimaging-Techniken haben ausgedehnte rechtshemisphärische Hirnaktivierungen und linksseitige Deaktivierungen als hirnphysiologische Korrelate des Stotterns detektiert [1], [2]. Da Abnormitäten in weißen Fasermassen linkshemisphärischer Sprachregionen gefunden wurden [7], ist anzunehmen, dass rechtsseitige Mehraktivierungen einen Kompensationsmechanismus für die strukturell defizitären Verbindungen darstellen. Nach Entwicklung eines geeigneten Designs, das die Untersuchung von Hirnaktivierungen bei offener Sprache stotternder Personen (SP) zuließ [6], wurden mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) hirnphysiologische Korrelate für solche Kompensationsmechanismen exploriert. Weiterhin wurde untersucht, ob die Auswirkungen einer Fluency Shaping -Therapie auf die Hirnaktivitätsmuster von SP mit (1) einer stärkeren Einbeziehung der rechten Hemisphäre, (2) zusätzlichen Kompensationsmechanismen, die nicht an unbehandelten SP auftreten oder (3) einem (Wieder-)Auftreten linkshemisphärischer, ansonsten bei SP gestörter Aktivierungen assoziiert sind.

Material und Methode

16 SP und 16 nicht stotternde Personen (NSP) unterzogen sich in einer fMRT einer sprechmotorischen Aufgabe. Zudem waren in einer linguistischen Aufgabe still semantische Entscheidungen zu treffen. An neun der SP wurden zudem Effekte einer Fluency Shaping-Therapie vor und direkt nach Intensivtherapie untersucht. Fünf SP wurden zudem nach einem zweijährigen Follow-up Programm untersucht. Die statistischen Gruppenanalysen wurden sowohl als Fixed effects-Analyse als auch als restriktivere Random effects-Analyse durchgeführt.

Ergebnisse

Eine Region im rechten frontalen Operculum erwies sich sowohl während motorischer als auch linguistischer Aufgaben als stotterspezifisch ([Abb. 1], Pfeile), [5]. Vor einer Fluency shaping-Therapie war eine ausgedehntere Hirnaktivierung bei SP als bei NSP zu verzeichnen, die nach der Therapie noch ausgedehnter war und einen Shift auf die linke Seite aufwies [Abb. 1] [3].

Insbesondere wurden posttherapeutisch Aktivierungen in der Nachbarschaft der kürzlich bei SP beschriebenen Regionen abnormer weißer Fasermassen detektiert [4]. Hingegen wiesen aufgabenspezifische Deaktivierungen auf permanente Dysfunktion hin [Abb. 2].

Diskussion

Die posttherapeutischen linksseitigen Mehraktivierungen legen nahe, dass sprechflüssigkeitsinduzierende Techniken eine gestörte Signalübertragung zwischen linkshemisphärischen auditorischen, Sprechmotorik - Planungs- und -Ausführungs-Regionen synchronisieren. Der therapeutische Mechanismus könnte also neuronale Verbindungen nahe der Quelle der Dysfunktion remodellieren, anstatt eine großflächige Kompensation über homologe kontralaterale neuronale Netzwerke zu verstärken.


Literatur

1.
Braun AR, Varga M, Stager S, Schulz G, Selbie S, Maisog JM., et al. (1997) Altered patterns of cerebral activity during speech and language production in developmental stuttering: An H215O positron emission tomography study. Brain, 120, 761-784.
2.
Fox PT, Ingham RJ, Ingham JC, Hirsch TB, Downs JH, Martin C., et al. (1996) A PET study of the neural systems of stuttering. Nature, 382, 158-161.
3.
Neumann K, Euler HA, Wolff von Gudenberg A, Giraud AL, Lanfermann H, Gall V, Preibisch C (2003) The nature and treatment of stuttering as revealed by fMRI. A within- and between-group comparison. Journal of Fluency Disorders, 28, 381-410.
4.
Neumann K, Preibisch C, Euler HA, Wolff von Gudenberg A, Lanfermann H, Gall V, Giraud AL (2004) Cortical plasticity associated with stuttering therapy. Journal of Fluency Disorders. In press.
5.
Preibisch C, Neumann K, Raab P, Euler HA, von Gudenberg AW, Lanfermann H, Giraud AL (2003) Evidence for compensation for stuttering by the right frontal operculum. NeuroImage, 20, 1356-1364.
6.
Preibisch C, Raab P, Neumann K, Euler HA, von Gudenberg AW, Gall V, Lanfermann H, Zanella F (2003) Event-related fMRI for the suppression of speech-associated artifacts in stuttering. NeuroImage, 19, 1076-1084.
7.
Sommer M, Koch MA, Paulus W, Weiller C, Büchel C (2002). Disconnection of speech-relevant brain areas in persistent developmental stuttering. The Lancet, 360, 380-383.