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20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12. bis 14.09.2003, Rostock

Sensitivitäts- und Spezifizitätsanalyse von 14 Testverfahren zur Untersuchung der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung

Vortrag

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  • corresponding author Bärbel Wohlleben - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin, Fabeckstr. 60-62, 14195 Berlin
  • Karsten Nubel
  • Manfred Gross

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 20. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Rostock, 12.-14.09.2003. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2003. DocV46

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2003/03dgpp094.shtml

Veröffentlicht: 29. Dezember 2003

© 2003 Wohlleben et al.
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Zusammenfassung

Für die auditiven Leistungen von 82 Kindern der 2. und 3. Klasse mit den Einschlusskriterien pancochleäre Hörschwelle < 20 dB HL, orientierende sprachfreie Intelligenz IQ > 90, Rechtschreibleistungen im DRT PR < 10, keine Sprachentwicklungsstörung wurden cut-off-Werte für verschiedene auditive Untersuchungsverfahren ermittelt. Es wurde jeweils der Wert genommen, der von 90% der Kinder erreicht wurde. Dadurch blieb die Risikogruppe AVWS" in dem schulisch unauffälligen Kollektiv in einer empirisch und auch durch internationale Studien belegbaren Größenordnung. Das Ergebnis zeigte, dass nur 45 % der Kinder in allen Tests die erforderlichen Leistungen erbrachten. Jedes Kind durfte in zwei Tests versagen, ohne als auditiv auffällig eingestuft zu werden. Die verwendeten Tests zur Einschätzung der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung entsprechen der in der Klinik für Audiologie und Phoniatrie verwendeten Untersuchungsbatterie. Auf der Grundlage dieser cut-off-Werte erfolgte die Einschätzung eines Patientenkollektivs (n = 37), das bezüglich Hörschwelle und Intelligenz vergleichbar war. Die an diesem Datensatz durchgeführte Überprüfung der Testverfahren in Bezug auf ihre Sensitivität und Spezifizität mittels ROC-Analysen ergab nur für die Tests PET/ZFG, HSET/IS, H-LAD kin. und H2 eine AUC > 0,8. Keines der Untersuchungsverfahren zeigte aber eine Spezifizität > 0,64. Die gewählten cut-off- Werte stellten sich auch in dieser Analyse als geeignet heraus.


Text

Einleitung

Nach unserem bisherigen Kenntnisstand stellen auditive Störungen kein eindimensionales Phänomen dar, sondern modellieren sich in einer Reihe unterschiedlicher Facetten, deren statistische Verteilung noch weitgehend unbekannt ist. Entsprechend ist von den heute verfügbaren Tests davon auszugehen, dass sie jeweils nur eine oder einige dieser Facetten bzw. Teildimensionen abzubilden in der Lage sind. Evaluierungen auditiver Testverfahren in Bezug auf ihre Trennschärfe für die Diagnose AVWS liegen nur in wenigen Untersuchungen vor [1], [2]. Auch wenn die in den amerikanischen Studien verwendeten Verfahren mit den im deutschsprachigen Raum zur Diagnostik auditiver Störungen eingesetzten Tests nur bedingt vergleichbar sind, lässt sich die Analyse und Bewertung nach den Kriterien der Clinical Decision Analysis [CDA] [3] auf die zur Diagnostik übliche auditive Testbatterie übertragen.

Methode

Für die auditiven Leistungen von 82 Kindern der 2. und 3. Klasse mit den Einschlusskriterien pancochleäre Hörschwelle < 20 dB HL, orientierende sprachfreie Intelligenz IQ > 90, Rechtschreibleistungen im DRT PR > 10, anamnestisch keine Sprachentwicklungsstörung, wurden cut-off-Werte für die auditiven Untersuchungsverfahren: Freiburger Sprachverstehenstest mit und ohne Störschall (FSV, FSVS), Verstehen Zeitkomprimierter Wörter, Kurzform des Dichotischen Hörens (nach Uttenweiler), Heidelberger Lautdifferenzierungstest H-LAD, 3 Untertests aus dem Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET): Zahlenfolgegedächtnis (ZFG), Laute verbinden (LV) Wörter ergänzen (WE) und Mottier-Test ermittelt. Es wurde zur Vereinheitlichung jeweils der Wert genommen, der von 90% der Kinder erreicht wurde. Dieser Wert lag für die einzelnen Verfahren knapp unter dem Wert von zwei Standardabweichungen. Diese Festlegung war notwendig, um die Risikogruppe „AVWS" in einem ansonsten unauffälligen Kollektiv in einer empirisch und auch durch internationale Studien belegbaren Größenordnung zu halten [4].

Auf der Grundlage dieser cut-off-Werte erfolgte die Einschätzung eines Patientenkollektivs (n = 37), das bezüglich Hörschwelle und Intelligenz vergleichbar war. Anhand des gesamten Datensatzes erfolgte eine Trennschärfen-Analyse.

Da die Wahl des cut-off Punktes bei gegebener Güte des Tests über dessen Sensitivität, Spezifität, etc. entscheidet, erfolgte eine Überprüfung des cut-points mittels ROC (Receiver Operating Charcteristic)-Kurven. Für die einzelnen Verfahren wird die Area under the Curve (AUC), bestimmt. Diese gibt Auskunft mit welcher Güte der jeweilige Test misst. Für jeden der Tests wurde an seiner ROC-Kurve der „optimale" cut-point festgelegt. Eine optimale Anpassung erlaubt, dass einerseits nur eine möglichst geringe Anzahl tatsächlich auffälliger Kinder fälschlicherweise als unauffällig bezeichnet und andererseits unauffällige Kinder möglichst keiner weiteren Behandlung unterzogen werden.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigten, dass bei Zugrundelegung der cut-off-Werte (90%-Kriterium) nur 45 % der gesunden Kinder in keinem auditiven Test versagten. Da die subjektiven Untersuchungsverfahren alle aufmerksamkeitsabhängig sind, wurden jedem Kind zwei „cut-off- Unterschreitungen" erlaubt, ohne dass es als auditiv auffällig eingestuft wurde. Mit dieser Einteilung lag der Prozentsatz auditiv auffälliger Kinder in der „gesunden" Gruppe bei 16% bei den Patienten waren es 86%.

Die an diesem Datensatz durchgeführte Überprüfung der Testverfahren in Bezug auf ihre Sensitivität und Spezifizität mittels ROC-Kurven ergab nur für die Tests PET/ZFG, HSET/IS, H-LAD kin. und H2 eine AUC > 0,8. Keines der Untersuchungsverfahren zeigte aber eine Spezifizität > 0,64. Die schwächste Trennschärfe mit einer AUC < 0,67 erzielten die Dichotischen Hörtests (rechts/links), bei einer Spezifizität < 0,4. Keinerlei Trennschärfe zeigte der Test Sprachverstehen ohne Störschall. Die gewählten cut-off- Werte des 90% Kriteriums stellten sich in dieser Analyse als geeignet heraus. Die Darstellung der ROC-Kurven s. [Abb. 1].

Diskussion

Die durchgeführten Analysen zeigen, dass die einzelnen Verfahren, der in der klinischen Routine eingesetzte Testbatterie bezüglich ihrer Trennschärfe kritisch bewertet werden müssen. Die bestehenden z.T. hohen Korrelationen der einzelnen Verfahren untereinander wurden dabei noch nicht berücksichtigt. Die Diagnose einer AVWS auch auf der Basis von mehr als zwei auffälligen Testleistungen erscheint vor diesem Hintergrund problematisch.

Es besteht die Notwendigkeit, die Trennschärfe der gesamten Diagnose durch eine besonders günstige Reihenfolge der Einzeltests zu optimieren (Singer et al.1998). Die konkrete Forschungsaufgabe besteht also darin, jene Reihenfolge der Anwendung der Einzeltests zu bestimmen, mit der bei minimaler Anzahl der durchgeführten Tests die Trennschärfe der gesamten Testbatterie maximal ist. Es muss analysiert werden, wie groß die erforderliche Anzahl der Tests sein muss und welche der Verfahren in Kombination eine optimale Testbatterie darstellen. Es ist zu erwarten, dass aufgrund einer gewissen Redundanz aller Tests nicht die komplette Batterie benötigt wird.


Literatur

1.
Humes LE, Coughlin M Talley L (1996): Evaluation of the use of a new compact disc for auditory perceptual assessment in the elderly, Journal of the American Academy of Audiology 7:419-427
2.
Singer, J, Hurley, RM, Preece, JP (1998): Effectiveness of Central Auditory Processing Tests With Children, American Journal of Audiology 7: 73-83
3.
Swets, JA (1988): Measuring the accuracy of diagnostic systems, Science, 240: 1285-1293
4.
Dornitz DM, Schow RL (2000): A new CAPD Battery-Multiple Auditory Processing Assessment: Factor Analysis and Comparison with SCAN, American Journal of Audiology 9: 101-111