gms | German Medical Science

2. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V.

21.02.2014, Kassel

Die vaginale Untersuchung während der Geburt. Ein Eingriff zwischen Routinemaßnahme und Intimitätsverletzung

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. 2. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. Kassel, 21.-21.02.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. Doc14dghwiP5

doi: 10.3205/14dghwi11, urn:nbn:de:0183-14dghwi115

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/dghwi2014/14dghwi11.shtml

Veröffentlicht: 18. Februar 2014

© 2014 Rakos.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Hintergrund: Die vaginale Untersuchung während der Geburt ist eine wichtige Hebammenkompetenz und üblicher Bestandteil der geburtshilflichen Betreuung. Insbesondere durch die Einführung der Kontrolle des Geburtsfortschritts mittels Partogramm ist sie zur Routinemaßnahme geworden. Dass jede vaginale Untersuchung ein Eingriff in die Intimsphäre einer Gebärenden ist und als solcher möglicherweise unerwünschte Wirkungen hat, wird häufig nicht bedacht.

Ziele: Zunächst sollte erhoben werden, wie die vaginale Untersuchung als Diagnoseinstrument in Hebammenlehrbüchern dargestellt und in der Forschungsliteratur begründet ist. Weiter sollte die Frage beantwortet werden, wie Frauen vaginale Untersuchungen während der Geburt erleben und ob diese das Geburtserlebnis prägen.

Methode: Hebammenlehrbücher wurden hinsichtlich ihrer Darstellung der vaginalen Untersuchung verglichen. Im Rahmen einer Literaturrecherche wurden relevante Studienergebnisse zusammengefasst. Mittels qualitativer leitfadengestützter Interviews wurden Frauen dazu befragt, wie sie vaginale Untersuchungen während der Geburt erlebt hatten. Über ein Expertinneninterview fließt die Perspektive einer Hebammenforscherin mit ein.

Ergebnisse: Die Darstellung der vaginalen Untersuchung in den betrachteten Hebammenlehrbüchern ist verkürzt. Der Intimitätscharakter der Untersuchung und die psychosozialen Fähigkeiten, die dieser Eingriff erfordert, werden nur unzureichend thematisiert. In der Forschungsliteratur mehren sich Arbeiten, die dem Paradigma des Geburtsfortschritts und seinen Auswirkungen auf das geburtshilfliche Handeln kritisch gegenüber stehen. Auch dass vaginale Untersuchungen intimitätsverletzenden Charakter haben und den Geburtsprozess stören können, ist klar herauszulesen.

Die Interviews ergaben, dass die befragten Frauen vaginale Untersuchungen als notwendige Maßnahmen akzeptieren, diese jedoch häufig als unangenehm, manchmal als schmerzhaft, mitunter als traumatisierend empfinden. Vaginale Untersuchungen vermitteln ein Gefühl von Zeitdruck, sind Grundlage für geburtshilfliche Entscheidungen und prägen auch insofern das Geburtserlebnis. Aufklärung im Sinne eines shared decision making erfolgte in den vorliegenden Interviews nicht.

Diskussion: Die vaginale Untersuchung unter der Geburt ist nicht als Routinemaßnahme sondern als Intervention zu verstehen, die als solche einer Indikationsstellung bedarf, d.h. Indikationen und Kontraindikationen hat und ein achtsames Vorgehen erfordert. Das macht einen differenzierten und sensiblen Umgang mit derselben erforderlich. Die Tatsache, dass insbesondere die kontinuierliche Betreuung einer Gebärenden protrahierte Geburtsverläufe verhindert und der Geburtsfortschritt auch durch Beobachtung der Gebärenden eingeschätzt werden kann, relativiert die Notwendigkeit regelmäßiger vaginaler Untersuchungen.

Empfehlungen: In Hebammenlehrbüchern wären eine umfassendere Darstellung der vaginalen Untersuchung und die Integration anderer Parameter zur Einschätzung des Geburtsfortschritts anzustreben. Routinemäßige vaginale Untersuchungen in zeitlich festgelegten Intervallen und ohne Indikationsstellung verfügen über geringe Evidenzen und sind daher in Frage zu stellen. Der Durchführung einer vaginalen Untersuchung sollte ein Aufklärungs- und Entscheidungsprozess vorangestellt werden, der es der Gebärenden ermöglicht, einer solchen bewusst zuzustimmen oder diese abzulehnen.