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Wider alle Vernunft – volkswirtschaftliche und gesundheitsökonomische Analyse der operativen Behandlung der schweren Adipositas anhand eines Fallbeispiels
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Veröffentlicht: | 23. September 2024 |
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Hintergrund: Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr Grad II oder höher (WHO) bei Patienten von 18 Jahren und älter (E66.99G) ist eine schwer behandelbare Gesundheitsstörung. Häufiger betroffen sind ressourcenärmere Personenkreise. Rein diätetische Behandlungsversuche scheitern, erfolgsversprechend ist die operative Behandlung. Kontrovers diskutiert wird die medikamentöse Therapie mit Semaglutid bzw. anderen GLP-1-Rezeptor-Agonisten, insbesondere die mögliche Erstattung durch die GKV. Die gegenwärtige Situation mit Zugang zur Medikation für Selbstzahler verschärft den sozialen Gesundheitsgradienten.
Fragestellung: Welche direkten und externen indirekten Kosten und Nutzen sollten in eine erweiterte Analyse einfließen, um darauf eine rationalere Abwägung möglicher Kostenerstattung aufzubauen?
Methoden: Illustration anhand eines Fallbeispiels: Eine über 50-jährige Patientin mit assoziierten Begleiterkrankungen u.a. Hypertonie (I10.90G), chronischen Schmerzen (R52.2G), Steatosis hepatis (K76.0G), Gonarthrose beidseitig (M17.0GB), generalisierter Angststörung (F41.1G). Der BMI betrug 39,4 kg/m2. Sie war arbeitslos. Sechs Monate nach laparoskopischer Sleeve Gastrektomie betrug der BMI 25,5 kg/m2, die Patientin war wieder beschäftigt mit geringen Ausfallzeiten, die Hypertonie hatte sich normalisiert.
Ergebnisse: Der entscheidende Unterschied für die Kosten-Nutzen-Analyse entsteht aus dem Wechsel von Bezug von Sozialleistungen zu Beitragen zur Sozialversicherung. Je nach eingesetzten Kosten, Annahmen zu ersparten Kosten für das Gesundheitswesen, Diskontierungssatz und Annahmen zum sozialversicherten Lohn übersteigt der Nutzen durch Wiederaufnahme der Arbeit bereits nach sechs bis zwölf Monaten die Gesamtkosten der Behandlung.
Diskussion: Das Beispiel illustriert, dass der volkswirtschaftliche Nutzen einer operativen Behandlung der Adipositas den Nutzen durch eingesparte Kosten im Gesundheitssystem bedeutsam übersteigen kann. Eine chirurgische Therapie ist wenig realistisch für alle Patientinnen und Patienten mit schwerer Adipositas. Angesichts des sozialen Gesundheitsgradienten sollte die Frage der möglichen Erstattung medikamentöser Intervention auch unter reeller Berücksichtigung externer Nutzen diskutiert werden. Dafür fehlen aktuell repräsentative empirische Daten aus Deutschland.
Take Home Message für die Praxis: Nicht alle Patientinnen und Patienten profitieren derart von einer chirurgischen oder auch medikamentösen Behandlung der schweren Adipositas. Der reine Blick auf die Kosten im Gesundheitswesen greift angesichts hohen möglichen volkswirtschaftlichen Nutzens zu kurz.