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Bedeutung von Altersbildern in der medizinischen Versorgung hochaltriger Menschen
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Veröffentlicht: | 23. September 2024 |
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Hintergrund: Traditionelle Vorstellungen vom Alter wandeln sich mit steigender Lebenserwartung, sozialem Wandel und zunehmenden medizinischen Möglichkeiten. Vormals „normale“ Alterserscheinungen werden zunehmend als Erkrankung aufgefasst und behandelt. Gerade in der medizinischen Regelversorgung eröffnet diese Entwicklung ein Spannungsfeld von „Bagatellisierung“ und „Pathologisierung“, indem Handlungsbedarfe bezüglich bestimmter Alterungsprozesse diskutiert werden.
Fragestellung: Welche Bedeutung haben ärztliche Vorstellungen von „normalen“ Alterungsprozessen und vom Alter (≥75 Jahre) für medizinische Entscheidungen?
Methoden: In fünf Fokusgruppendiskussionen mit Ärzt:innen verschiedener Fachrichtungen (n=24) wurden medizinische Maßnahmen im hohen Lebensalter bzw. am Lebensende diskutiert. Die Diskussionen wurden angestoßen durch zwei Fallvignetten, die geriatrische Behandlungsentscheidungen illustrierten. Die Datenauswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse.
Ergebnisse: Während das kalendarische Alter allein als Entscheidungskriterium aufgrund großer individueller Unterschiede der körperlichen und geistigen Fitness aus ärztlicher Sicht abgelehnt wird, werden bestehende Krankheiten in Abhängigkeit vom Alter unterschiedlich bewertet. Entscheidungen bezüglich medizinischer Maßnahmen werden dabei in einem Spannungsfeld ausgehandelt, in dem Patientenwille und -autonomie konstant gegen die Idee nachlassender oder eingeschränkter Entscheidungskompetenzen abgewogen wird. Damit einher gehen Vorstellungen von Aufgaben und Mitwirkungspflichten seitens der Patient:innen, die abnehmenden Erwartungen an die Selbstfürsorgepflichten und -möglichkeiten gegenüberstehen.
Diskussion: Die qualitativen Daten deuten darauf hin, dass bestimmte Vorstellungen vom Alter(n) in medizinische Entscheidungen miteinfließen. Mit steigendem Patient:innenalter werden eingeschränkte Entscheidungskompetenzen assoziiert, aus denen Forderungen nach Vorausverfügung abgeleitet werden. Die Daten verdeutlichen, dass Möglichkeiten und Grenzen von Behandlungsvorausplanung diskutiert werden sollten.
Take Home Message für die Praxis: Vorstellungen eines „normalen“ Alter(n)s beeinflussen Entscheidungen über medizinische Maßnahmen. Während kalendarisches Alter als alleiniges Entscheidungskriterium abgelehnt wird, gilt es Patientenautonomie gegen fragliche Entscheidungskompetenzen der Patient:innen abzuwiegen. Aufseiten der Ärzt:innen kann die Auseinandersetzung mit eigenen Altersbildern hilfreich sein, eigene Behandlungsprioritäten zu reflektieren.