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56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

15. - 17.09.2022, Greifswald

Unerwünschte anticholinerge Arzneimittelwirkungen von Amitriptylin – ein systematisches Multi-Indikations-Review und Meta-Analyse

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Maria-Sophie Brueckle - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Elizabeth Thomas - Centre for Evidence-Based Medicine, Nuffield Department of Primary Care Health Sciences, Großbritannien
  • Svenja Seide - Universität Heidelberg, Institut für Biometrie, Heidelberg, Deutschland
  • Maximilian Pilz - Universität Heidelberg, Institut für Biometrie, Heidelberg, Deutschland
  • Ana Isabel Gonza - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Truc Sophia Dinh - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Ferdinand M. Gerlach - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Sebastian Harder - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Klinische Pharmakologie, Deutschland
  • Paul Glasziou - Bond University, Faculty of Health Sciences and Medicine, Deutschland
  • Christiane Muth - Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland; Universität Bielefeld, AG 5 Allgemein- und Familienmedizin, Bielefeld, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Greifswald, 15.-17.09.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocSYM-04-03

doi: 10.3205/22degam262, urn:nbn:de:0183-22degam2625

Veröffentlicht: 15. September 2022

© 2022 Brueckle et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Etwa die Hälfte der Allgemeinbevölkerung nimmt anticholinerg wirksame Arzneimittel ein – Tendenz steigend. Potentielle unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) können zunehmen, wenn Arzneimittel mit starken anticholinergen Eigenschaften wie Amitriptylin verwendet werden oder die anticholinerge Belastung bei Multimedikation kumuliert. Risiko-Nutzen-Abwägungen sind jedoch häufig problematisch, da verlässliche UAW-Quantifizierungen fehlen.

Fragestellung: Welche Prävalenz haben (anticholinerger) UAWs bei Amitriptylin-Einnahme für jegliche Indikation in randomisierten Placebo-kontrollierten Studien (RCTs) bei Erwachsenen?

Methoden: In einer systematischen Literaturrecherche in elektronischen Datenbanken(bis 06/2021), Registern für klinische Studien (bis 02/2020) und Handsuchen wurden RCTs zu Amitriptylin vs. Placebo bei jeglicher Indikation identifiziert und eingeschlossen, wenn diese ≥100 erwachsene Teilnehmer:innen aufwiesen, unabhängig von Publikationssprache oder -datum. Die Auswahl erfolgte in unabhängigem Doppelreview. Eine Autorin extrahierte Studiendaten, Daten zu a priori als anticholinerg/nicht-anticholinerg klassifizierten UAWs und bewertete die Qualität der Studien, zwei weitere Autor:innen überprüften die Eingaben, in Metaanalysen wurden Odds Ratios (OR) ermittelt.

Ergebnisse: Aus 1.797 Treffern wurden 23 RCTs (im Mittel 5 mg–300 mg Amitriptylin/Tag) mit 4.217 Patient:innen (Durchschnittsalter 40,34 Jahre) einbezogen; 17/23 mit hohem Bias-Risiko durch hohe Abbruchraten. Die zwei am häufigsten berichteten aggregierten anticholinergen UAWs waren zu Fatigue (OR=3,94 [95%CI: 3,04–5,11]) und zu Mundtrockenheit (OR=11,10 [95%CI: 6,46–19,06]), Stürze o.ä. Ereignisse wurden nicht beobachtet. Die Gesamt-OR für anticholinerge UAWs von Amitriptylin betrug 7.41 [95%CI: 4.54–12.12; entsprechend NNH=2.9], ohne Dosisabhängigkeit in weiteren Analysen. Nicht-anticholinerge UAWs waren genauso häufig wie bei Placebo.

Diskussion: Die Verallgemeinerbarkeit von UAW-Prävalenz und -Spektrum für ältere Patient:innen ist begrenzt. Die fehlende Dosisabhängigkeit könnte auf das begrenzte Dosierungsspektrum in den Studien zurückzuführen sein.

Take Home Message für die Praxis: Anticholinerge UAWs sind auch bei jüngeren erwachsenen Patient:innen für fast jede dritte Verordnung von Amitriptylin zu erwarten. Es sind weitere Studien erforderlich, die insbesondere ältere Menschen mit einem erhöhten Risiko für anticholinerge Nebenwirkungen einschließen.