gms | German Medical Science

55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Lübeck, 16. - 18.09.2021

Entwicklung eines Therapieempfehlungssystems für die Hypertoniemedikation: methodische Ergebnisse eines Pilotversuchs

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Arthur Mai - TU Dresden, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Deutschland
  • Jeannine Schübel - TU Dresden, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Deutschland
  • Falko Tesch - Universitätsklinikum C.G.Carus an der TU Dresden, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Deutschland
  • Felix Gräßer - TU Dresden, Institut für Biomedizinische Technik, Dresden, Deutschland
  • Karen Voigt - TU Dresden, Bereich Allgemeinmedizin, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Lübeck, 16.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocP-05-04

doi: 10.3205/21degam205, urn:nbn:de:0183-21degam2052

Veröffentlicht: 17. September 2021

© 2021 Mai et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Digitale Therapieempfehlungssysteme sollen klinische Entscheidungen unterstützen, indem Wissen aus individuellen Patientendaten kombiniert mit externer Evidenz, z. B. aus Leitlinien, zusammengeführt werden. Es liegen bereits Erfahrungen zur technischen Machbarkeit digitaler Therapieempfehlungssystem zu einzelnen Diagnosen vor (Sutton et al. 2020, Gräßer et al. 2017).

Fragestellung: Ob und inwiefern sind dokumentierte Patientendaten aus dem Praxisverwaltungssystem (PVS) eine valide Datenquelle für datenbasierte Empfehlungssysteme?

Methoden: Die Datenerhebung erfolgte in sieben hausärztlichen Arztpraxen mit 14 Ärzten. Mittels Krankenaktenanalyse wurden bei Patienten mit diagnostizierter Hypertonie und medikamentöser Ersteinstellung Daten (soziodemografische Merkmale, Diagnosen, Blutdruckmesswerte, Hypertoniekomplikationen, verordnete Medikamente, Therapieverlauf inkl. Nebenwirkungen der Hypertoniebehandlung) systematisch ab 2014 bis 2020 erfasst. Zur Bewertung des Therapieerfolgs wurden Blutdrucksenkung, Nebenwirkungen sowie Kontraindikationen bei Nebendiagnosen betrachtet. Nach dem Prinzip des nachbarschaftsbasierten kollaborativen Filterns wurden Prognosen für diese Parameter berechnet und Therapieoptionen danach bewertet. Als externe Evidenz wurden aktuelle Therapieempfehlungen aus der DEGAM-Leitlinie „Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention“ sowie Angaben aus Fachinformationen (Gelbe Liste) zugrunde gelegt.

Ergebnisse: Für die Entwicklung des Therapieempfehlungssystems wurden 298 von 5.931 Hypertonie-Patienten retrospektiv mit 900 Arzt-Patient-Kontakten (maximal 5 pro Patient) extrahiert werden. In 294 Fällen erfolgte die Messung des Blutdrucks mit unterschiedlichen Verfahren (24h-Blutdruckmessung, Praxismessung, Patientenmessung, andere im PVS hinterlegte Blutdruckmessbefunde). Die Datendokumentation zu Lebensstil- und/oder Lebensqualitätsänderungen nach medikamentöser Einstellung oder Adhärenz waren unzureichend. Therapieveränderungen (Wirkstoff, Dosis) waren teilweise nicht eindeutig nachvollziehbar. Eine Dosissteigerung bei guter Verträglichkeit wurde in Einzelfällen dem Patienten überlassen, deren individuelle Umsetzung wurde unzureichend dokumentiert.

Diskussion: Insgesamt spiegelten die retrospektiv erhobenen PVS-Daten eine heterogene und wenig standardisierte Dokumentation wider. Diese bietet teilweise nur unzureichende Verlaufsinformationen und zeigt sich aufgrund unzureichender Datenqualität nur als eingeschränkt für ein Empfehlungssystem verwendbar. Die (hausärztlichen) Dokumentationsstandards in PVS-Systemen müssen sich verändern, wenn sie als Datenquelle für Recommendersysteme genutzt werden sollen.

Take Home Message für die Praxis: Therapieempfehlungssysteme für ein hausärztliches Setting sind entwickelbar. Um aussagekräftige Empfehlungen technisch generieren zu können, bedarf es einer genaueren und standardisierten Dokumentation der Therapieverlaufsdaten.