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55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Lübeck, 16. - 18.09.2021

Definitionen der Multimorbidität und ihr Einfluss auf die Prävalenz (eine retrospektive Analyse allgemeinmedizinischer Routinedaten)

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Katharina Schmalstieg-Bahr - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Hamburg, Deutschland; Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Deutschland
  • Wolfgang Himmel - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Deutschland
  • Johannes Hauswaldt - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Lübeck, 16.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocV-25-01

doi: 10.3205/21degam136, urn:nbn:de:0183-21degam1360

Veröffentlicht: 17. September 2021

© 2021 Schmalstieg-Bahr et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Multimorbidität ist häufig in allgemeinmedizinischen Praxen und stellt Ärzt:innen vor Herausforderungen. Die Prävalenz der Multimorbidität hängt jedoch von ihrer Definition und möglicherweise davon ab, ob ein Zeitfenster zur Definition herangezogen wird. Wer einmal multimorbide ist, ist dies möglicherweise nicht lebenslang.

Fragestellung: Wie unterscheiden sich Prävalenzraten in allgemeinmedizinischen Praxen unter Verwendung unterschiedlicher Multimorbiditäts-Definitionen? Wirkt sich ein definiertes Zeitfenster auf die Prävalenzraten aus? Wie korrelieren Zahl der Praxiskontakte und Multimorbidität?

Methoden: Analysiert wurden elektronische Routinedaten von 236.038 Patient:innen aus 142 allgemeinmedizinischen Praxen über einen Zeitraum von 55 Quartalen. Errechnet wurden Prävalenzraten unter Zugrundelegung von vier Multimorbiditäts-Definitionen – mit und ohne Einfluss eines 1-Jahres-Fensters. Die Anzahl der Praxiskontakte von Patient:innen wurde als Indikator der Arbeitsbelastung von Ärzt:innen gewertet und mit dem Vorliegen von Multimorbidität und dem Alter der Patienten:innen korreliert.

Ergebnisse: Je nach Definition lag die jährliche Multimorbiditäts-Prävalenzrate zwischen 84% („mindestens zwei Erkrankungen“) und 16% („mindestens drei chronische Erkrankungen“) bzw. 74% und 13%, wenn ein Zeitfenster berücksichtig wurde. Vergleichweise hatten multimorbide Patient:innen pro Jahr doppelt so viel Praxiskontakte wie Nicht-Multimorbide. Bei Definitionen, die mehr oder chronische Krankheitsbilder umfassten, erhöhte sich die Zahl der Praxiskontakte, das Verhältnis zwischen beiden Gruppen blieb gleich. Die Korrelation zwischen Kontakten und Multimorbidität lag in allen Modellen etwa bei 0,2. Die Zahl der Kontakte korrelierte mäßig mit dem Alter (0,35). Die Korrelation zwischen Alter und Multimorbidität stieg von 0,1 bis 0,28 bei umfassenderen Definitionen.

Diskussion: Basierend auf diesen Daten dürfte die Prävalenz der Mulitmorbidität geringer sein, als oft beschrieben – insbesondere bei Zugrundelegung einer umfassenderen Definition. Ein Zeitrahmen ist sinnvoll, um zu verhindern, dass Patient:innen dauerhaft als multimorbid gelten, v.a. wenn als Multimorbiditäts-Kriterien akute Erkrankungen herangezogen werden, die das Konsultationsgeschehen nur kurz- oder mittelfristig beeinflussen.

Take Home Message für die Praxis: Unabhängig von der Definition beanspruchen multimorbide Patient:innen aufgrund häufigerer Kontakte mehr ärztliche Aufmerksamkeit, aber es ist die Kopplung von Alter und Multimorbidität, die mit besonders häufigen Konsultationen verbunden ist.