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53. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Erlangen, 12. - 14.09.2019

Weniger Opiate trotz Schmerz? Ärztliche Perspektiven auf die Reduktion von Opiatverordnungen bei chronischen Schmerzpatienten

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Kristin Gilbrich - Philipps-Universität Marburg, Abteilung Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland
  • Katrin Kuss - Philipps-Universität Marburg, Abteilung Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland
  • Kathrin Schlößler - Philipps-Universität Marburg, Abteilung Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland
  • Annika Viniol - Philipps-Universität Marburg, Abteilung Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland
  • Annette Becker - Philipps-Universität Marburg, Abteilung Allgemeinmedizin, präventive und rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland

53. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Erlangen, 12.-14.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV72-04

doi: 10.3205/19degam107, urn:nbn:de:0183-19degam1070

Veröffentlicht: 11. September 2019

© 2019 Gilbrich et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Verschreibungsraten für Opiate sind in den letzten 10 Jahren deutlich gestiegen. Demgegenüber stehen eine unzureichende Evidenz für die Langzeitversorgung, die hohe Rate psycho-sozialer Anteile im Schmerzgeschehen und die Empfehlung der LONTS-Leitlinie, spätestens nach 3 Monaten die Verordnung kritisch hinsichtlich ihrer Zielerreichung zu hinterfragen. Selbst bei Therapierespondern sollte nach 6 Monaten eine Dosisreduktion oder ein Auslassversuch angesprochen werden.

Fragestellung: Ziel der vorliegenden Studie war es, die Einstellung von HausärztInnen zur Dosisreduktion bei chronischen Schmerzpatienten unter Opiattherapie zu untersuchen und hieraus (in Hinblick auf zu entwickelnde Absetzstrategien) förderliche und hinderliche Faktoren für Absetzversuche von Opiaten abzuleiten.

Methoden: In einer qualitativen Studie wurde, mit dem Ziel einer inhaltlichen Sättigung bei maximaler Varianz, eine induktive Stichprobenziehung durchgeführt. Die HausärztInnen wurden in semistrukturierten Interviews befragt und die Interviews verbatim transkribiert, codiert und inhaltsanalytisch mithilfe einer Matrix-Analyse ausgewertet. Ein interpersoneller Abgleich der Auswertungsschritte und Ergebnisse erfolgte zwischen zwei Untersucherinnen und in einer qualitativen Forschungsgruppe.

Ergebnisse: 8 Hausärzte und 8 Hausärztinnen mit den Schwerpunkten Suchterkrankungen (n=2), Palliativversorgung (n=3), Homöopathie (n=3), Psychotherapie (n=1), Sportmedizin (n=4), Hämato-/Onkologie (n=1) und einer zusätzlichen, fachärztlichen Ausbildung in Orthopädie (n=1) und in Anästhesie (n=1) wurden befragt. Die Interviews dauerten zwischen 20 und 120 min. Es wurden u.a. Einflussfaktoren in den Bereichen Arzt-Patienten-Beziehung, Schmerzverständnis, Einstellung zum Opiat, ärztlichem Selbstbild identifiziert.

Diskussion: Schwierige Situationen im Absetzprozess sind die schwer zu fassende Grenze zwischen Schmerz- und Suchttherapie, die unterschiedlichen Schmerzrealitäten von Arzt/Ärztin und PatientIn und der Mangel an Ressourcen wie Zeit oder Psychotherapieplätze. Förderliche Faktoren sind eine ebenbürtige und vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung des Arztes/derÄrztin oder eine gute interdisziplinäre Vernetzung.

Take Home Message für die Praxis: Die Einstellung von ÄrztInnen zum Absetzen von Opiaten bei chronischen Schmerzpateinten variiert je nach deren Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung, der eigenen Rollendefinition sowie ihrer Selbstwirksamkeit. Der Übergang zur Sucherkrankung zeigt einen Wendepunkt in der Arzt-Patienten-Beziehung. Unterstützende Absetz-Angebote sollten individuell angepasst die hier identifizierten förderlichen und hinderlichen Faktoren berücksichtigen.