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Hausärztliche Koordination in Bayern vor und nach Abschaffung der Praxisgebühr – eine Analyse kassenärztlicher Routinedaten im Zeitraum von 2011 bis 2016
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Veröffentlicht: | 11. September 2019 |
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Hintergrund: Im deutschen Gesundheitssystem haben Patienten freien Zugang zur ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung. Versicherte können einen Spezialisten ohne hausärztliche Überweisung konsultieren. Um eine bessere hausärztliche Steuerung der Patientenwege zu erzielen, wurde im Jahr 2004 die Praxisgebühr eingeführt, jedoch bereits 2012 wieder abgeschafft.
Fragestellung: Welche Auswirkungen hatte die Abschaffung der Praxisgebühr auf die hausärztliche Koordination der Patienten in Bayern? Kam es zu einer Zunahme von unkoordinierten fachärztlichen Behandlungen und Mehrfachinanspruchnahmen?
Methoden: Es erfolgte eine retrospektive Analyse von Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). In die Analysen mit aufgenommen wurden alle gesetzlich versicherten Patienten in Bayern im Zeitraum 2011 und 2012 (mit Praxisgebühr) sowie 2013 bis 2016 (ohne Praxisgebühr). Ein Patient galt als hausärztlich gesteuert, wenn alle steuerungsrelevanten Facharztkontakte mit hausärztlicher Überweisung abgerechnet wurden. Zudem erfolgte eine Untersuchung nach Patientenmerkmalen sowie sozioökonomischer Deprivation, basierend auf dem Bayerischen Index Multipler Deprivation (BIMD).
Ergebnisse: Nach Abschaffung der Praxisgebühr kam es zu einer deutlichen Abnahme der hausärztlich koordinierten Patientenanteile, mit 49,6% Anfang des Jahres 2011, 25,2% 2013 und 15,5% 2016. Höhere Steuerungsanteile zeigten sich bei älteren Patientengruppen sowie in Regionen mit höherer Deprivation. Ein leichter Anstieg von Mehrfachinanspruchnahmen zeigte sich bei Orthopäden (von 4,0 auf 5,0%), Hautärzten (1,5 auf 2,0%) und Augenärzten (3,5 auf 4,0%).
Diskussion: Nach Abschaffung der Praxisgebühr fand nur noch ein geringer Teil der Facharztbesuche auf Basis einer hausärztlichen Überweisung statt, insbesondere bei jüngeren Patienten und in Regionen mit geringer Deprivation.
Take Home Message für die Praxis: Es ist zu hinterfragen, ob das derzeitige System mit Überweisungsscheinen noch dazu geeignet ist, eine funktionierende hausärztliche Koordination der Versorgung im deutschen Gesundheitswesen aufrecht zu erhalten.