gms | German Medical Science

52. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

13.09. - 15.09.2018, Innsbruck, Österreich

Antimomien in Hausärztlicher Praxis – Am Beispiel der Attestierung von Arbeitsunfähigkeit bei Patienten mit psychischen Beschwerden

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • M. Herrmann - Uni-Magdeburg, Institut für Allgemeinmedizin, Magdeburg, Deutschland

52. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Innsbruck, Österreich, 13.-15.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18degam211

doi: 10.3205/18degam211, urn:nbn:de:0183-18degam2112

Veröffentlicht: 10. September 2018

© 2018 Herrmann.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Psychische Erkrankungen nehmen als Diagnosen für Arbeitsunfähigkeit (AU) und als Gründe für vorzeitige Berentungen zu. Allerdings gibt es nur wenige Untersuchungen darüber, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf den ärztlichen Praxisalltag hat.

Fragestellung: Im DFG-Projekt (GZ HE 5524 4-1) wurde der Frage nachgegangen, wie Hausärztinnen und Hausärzte (HÄÄ) in Sachsen-Anhalt bei Entscheidungen über Krankschreibung bei psychischen Beschwerden die Interessen ihrer Patienten vertreten, aber auch gleichzeitig als Gutachter wirken und die Anforderungen der Träger der sozialen Sicherung und weiterer Systembezüge zu berücksichtigen haben.

Methoden: Insgesamt 37 themenzentrierte halbstrukturierte Interviews mit HÄÄ wurden mit qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden (Grounded Theory und qualitative Inhaltsanalyse) analysiert (ländliche und städtische Regionen Sachsen-Anhalts, verschiedene Praxisformen (Einzel-, Gemeinschaftspraxen und MVZ), Altersspektrum 32-75 Jahre.

Ergebnisse: Der komplexe Entscheidungsprozess von AU-Attestierung unterliegt unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Geltungsbereichen (Antinomien), die bei konkreten Entscheidungen in Spannung treten. Verschiedene Antinomien wurden identifiziert zwischen: Sachorientierung und emotionaler Involviertheit aufgrund sich widersprechenden Beziehungslogiken; Fallbezug und Systembezügen; Begründungspflicht und Entscheidungszwang.

Diskussion: Werden Antinomien verleugnet, verdrängt, nicht wahrgenommen, besteht die Gefahr struktureller Fehlentscheidungen im Krankheitsverlauf und auch Gefahr der Deprofessionalisierung. Der Umgang mit Antinomien, gerade bei der der Attestierung von AU einer hochkomplexen ärztlichen Aufgabe, mit biopsychosozialen, ökonomischen und arbeitsplatzbezogenen Zusammenhängen, erfordert einen reflexiven Umgang z.B. durch Supervision, Balintgruppe oder Qualitätszirkel.

Take Home Message für die Praxis: Antinomien sind konstitutiv für professionelles Handeln, greifen weiter als Rollenkonflikte. Sie sind nicht aufhebbar, sondern nur reflexiv zu erschließen, prinzipiell unentscheidbar und nicht etwa durch Leitlinien kontrollierbar.