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52. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

13.09. - 15.09.2018, Innsbruck, Österreich

Ärztliche emotionale Reaktionen nach diagnostischen (Fehl)Entscheidungen

Meeting Abstract

  • B. S. Müller - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • N. Donner-Banzhoff - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland
  • M. Beyer - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • J. Haasenritter - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Marburg, Deutschland
  • C. Seifart - Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Humanmedizin, Ethikkommission, Marburg, Deutschland

52. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Innsbruck, Österreich, 13.-15.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18degam128

doi: 10.3205/18degam128, urn:nbn:de:0183-18degam1284

Veröffentlicht: 10. September 2018

© 2018 Müller et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Das Gefühl des Bedauerns („regret“) stellt sich ein, wenn einem Individuum bewusst wird, dass die aktuelle Situation besser sein könnte, wenn eine Entscheidung anders getroffen worden wäre. Erlebtes sowohl als auch erwartetes Bedauern beeinflusst Entscheidungen. Dieser Einfluss auf (diagnostische) Entscheidungen in der Medizin ist bislang wenig untersucht worden.

Fragestellung: Welche Rolle spielt das Bedauern nach diagnostischen Entscheidungen in der hausärztlichen Praxis?

Methoden: In dieser qualitativen Studie setzten wir einen online Fragebogen bei einer Gelegenheitsstichprobe (Hausärztinnen und Hausärzten) ein. Die Teilnehmenden beschrieben einen Fall der letzten 5 Jahre, in dem die zunächst vermutete Diagnose anders war als die finale Diagnose. Als Konsequenz verzögerte sich zumindest die Behandlung. Der Fall musste keinen weiteren Patientenschaden oder juristische Konsequenzen beinhaltet haben.

Ergebnisse: Zehn Ärztinnen und 19 Ärzte beschrieben 29 Fälle mit 14 Patientinnen und 15 Patienten (Alter 1,5-80 Jahre). In 28 von 29 Fällen war die finale Diagnose schwerwiegender als (26 von 29) oder ähnlich schwerwiegend wie (2 von 29) die vermutete Diagnose. Klinischer Verlauf und Reaktionen der Beteiligten differierten stark. In einem Drittel der Fälle ließ sich eine vermeidbare diagnostische Fehlentscheidung vermuten. Trotzdem äußerten 27 von 29 Teilnehmenden starke Gefühle des Bedauerns.

Diskussion: Nach einer diagnostischen (Fehl)Entscheidung treten emotionale Reaktionen wie Bedauern auf, die die Ärztin/den Arzt zum zweiten Opfer („second victim“) machen können. Weitere Studien sollten eruieren, wie emotionale Reaktionen gerade bei unvermeidbaren und/oder nicht zu verantwortenden Verläufen besser verarbeitet werden können.

Take Home Message für die Praxis: Auch nicht abwendbare und/oder nicht durch die Ärztin/den Arzt zu verantwortende schwere Verläufe nach diagnostischen Entscheidungen können schwerwiegende emotionale Folgen für die Behandelnden haben.