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Geriatrie-typische Merkmalskomplexe, gefühlte Wahrheit oder Realität?
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Veröffentlicht: | 17. Juni 2024 |
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Fragestellung: Einzelne Geriatrie-typische Merkmalskomplexe (GtMK) haben unterschiedlichen Einfluss auf Komplikationen im Verlauf nach proximaler Humerusfraktur (PHF). Deckt sich die Meinung von Chirurg*innen mit der beobachteten Realität?
Methodik: Es wurde eine Umfrage erstellt, bei der teilnehmende Chirurg*innen Fragen zu geriatrischen Assessments vor allem zu Geriatrie-typischen Merkmalskomplexen beantworten sollten. Hierbei wurde ein besonderer Fokus auf die Betreuung von Patient*innen nach PHF gelegt. Die Antworten wurden mit retrospektiv analysierten Krankenkassendaten der BARMER aus dem Zeitraum 01/2011–12/2020 verglichen. Dafür wurden alle Patient*innen über 64 Jahre eingeschlossen, die konservativ oder operativ bei einer PHF Diagnose (ICD: S42.2) behandelt wurden. Die geriatrische Multimorbidität (GMM) wurde von Borchert et al. (2004) anhand der GtMKs quantifiziert. Für die GMM müssen mindestens 2 von 15 Komplexen vorhanden sein.
Die Endpunkte dieser Datenanalyse waren Gesamtüberleben (OS), schwere unerwünschte Ereignisse (MAE), thromboembolische Ereignisse (TE) und Verletzungsbedingte/chirurgische Komplikationen (SC). Eventraten wurden über Kaplan-Meier-Schätzer und kumulativen Inzidenzen, multivariable Analysten mit Cox-Regression und Fine-Gray-Modellen berechnet.
Ergebnisse: Insgesamt haben 17 Personen an der Umfrage teilgenommen, darunter waren 15 Männer, eine Frau und eine Person, die keine Angabe zum Geschlecht gemacht hat. 53% der Befragten waren im Alter von 30 bis 39 Jahren. Es gaben 41% an, zwischen 6–10 Jahren Berufserfahrung zu haben. 82% der Teilnehmer*innen gaben an, dass der GtMK „Sturzneigung“ einen relevanten Einfluss auf einen komplikationsreichen Verlauf mit PHF hat. Darüber hinaus gaben 76% der Chirurg*innen an, dass „kognitive Defizite“ und ein „hohes Komplikationsrisiko“ jeweils relevante Faktoren sind. Die Daten der BARMER zeigten, dass sich der GtMK „Sturzneigung“ mit einem höheren Vorkommen an SC (HR: 1,09; 1,03–1,15; p=0,002) sowie mit einem höheren Vorkommen an MAE (HR: 1,03; 1,01–1,06; p<0,001) assoziiert ist. Der Komplex „Störung im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt“ wurde von 17% der Teilnehmer*innen als relevanter Faktor für einen komplikationsvollen Verlauf angesehen. Dieser GtMK ist sowohl mit einem schlechteren Überleben (HR 1,37; 1,26–1,48; p<0,001), höheren Vorkommen an MAEs (HR 1,24; 1,21–1,28; p<0,001) sowie einem höheren Vorkommen an SC (HR 1,08; 1,01–1,14; p=0,014) assoziiert.
Schlussfolgerung: Bei Patient*innen mit einer PHF stellt – unabhängig der Therapie – die Anzahl sowie die individuellen GtMKs einen Risikofaktor für einen komplikationsvollen Verlauf dar. Allerdings konnten große Unterschiede in der Wahrnehmung der Risikofaktoren und den in der Cox-Regression ausgewerteten Komplexen identifiziert werden. Es sollte daher bei der Behandlung geriatrischer Patient*innen dringend ein ganzheitlicher Therapieansatz verfolgt werden.