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GMS Zeitschrift für Hebammenwissenschaft

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi)

ISSN 2366-5076

Kassenzulassung von Nichtinvasiven Pränatalen Tests (NIPTs)

Positionspapier

  • corresponding author Annekatrin Skeide - Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Deutschland
  • Dorothea Tegethoff - Evangelische Hochschule, Berlin, Deutschland
  • Lea Beckmann - Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, Deutschland
  • Martina Schlüter-Cruse - Hochschule für Gesundheit Bochum, Deutschland

GMS Z Hebammenwiss 2021;8:Doc01

doi: 10.3205/zhwi000020, urn:nbn:de:0183-zhwi0000201

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zhwi/2021-8/zhwi000020.shtml

Eingereicht: 2. März 2019
Angenommen: 8. April 2019
Veröffentlicht: 10. Juni 2021

© 2021 Skeide et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

In ihrem Positionspapier zur Kassenzulassung von sogenannten Nichtinvasiven Pränatalen Tests (NIPTs) spricht sich die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) für eine Kostenübernahme der Tests durch die gesetzliche Krankenversicherung aus, da auf diese Weise die notwendige staatliche Steuerung und psychosoziale und medizinische Beratung und Begleitung gewährleistet werden kann. Gleichzeitig drängt die DGHWi auf strukturelle Maßnahmen, die die Kassenzulassung von NIPTs begleiten sollten. Dazu gehört vor allem eine umfassende staatliche Unterstützung von Familien mit Kindern mit besonderen Bedarfen. Die Kassenzulassung von NIPTs sollte umfänglich sozialwissenschaftlich begleitet werden, um diese komplexe Technologie und ihre ethischen, politischen und sozialen Effekte besser zu verstehen.


Hintergrund

Nichtinvasive Pränatale Tests (NIPTs) ermöglichen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter genetischer Eigenschaften des ungeborenen Kindes auf der Basis einer Blutentnahme der Schwangeren zu treffen. Von besonderem Interesse sind dabei derzeit die autosomalen Trisomien 13, 18 und 21. Besonders hoch scheinen die ‚Erkennungsraten‘ des Down-Syndroms (Trisomie 21) zu sein. Seit 2012 sind NIPTs für Schwangere als Eigenleistung verfügbar ([6], S. 10). Im Bericht von 2018 legte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), beauftragt durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), seinen Abschlussbericht zu einem Methodenbewertungsverfahren „zur Bestimmung des Risikos“ der genannten Trisomien bei „Risikoschwangerschaften“ vor [5]. Die Ergebnisse der Untersuchung sollen helfen zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen NIPTs zu den regulären Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen gehören sollen. Dieses Verfahren erregte nicht nur öffentliche ([6], S. 10), sondern auch parlamentarische Aufmerksamkeit [3]. In den andauernden Kontroversen geht es um die ethischen Implikationen der Anwendung von NIPTs im Besonderen und um die Berücksichtigung ethischer Aspekte in der Bewertung pränataler Testverfahren im Allgemeinen. Im Folgenden möchte die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) ihre Position in Bezug auf eine Kostenübernahme von NIPTs durch gesetzliche Krankenkassen darlegen. Dabei wird gleichzeitig dafür plädiert, ethische Fragen nicht von sozialen, technischen oder politischen zu trennen.


NIPT als Kassenleistung – nur unter bestimmten Bedingungen

Seit einigen Jahren stehen NIPTs in Deutschland zur Verfügung und werden von schwangeren Frauen genutzt. Es ist davon auszugehen, dass die Tests in zukünftig weiter wachsendem Umfang eingesetzt werden. Derzeit ist der Zugang zu NIPTs lediglich dadurch reguliert, dass sie privat finanziert werden müssen, wodurch Paare mit geringen finanziellen Ressourcen benachteiligt werden. Es ist bekannt, dass hohe Kosten nicht unbedingt ein Hindernis für die Nutzung (tatsächlich oder vermeintlich) gesundheitsbezogener Angebote auf Seiten der Nutzer*innen darstellen ([4], S. 90). Die Möglichkeit des Erwerbs von NIPTs per Direktbestellung im Internet führt dazu, dass Frauen sowohl die Anwendung des Verfahrens als auch das Tragen möglicher Konsequenzen der Testergebnisse allein überlassen wird. Diese Situation sollte nicht länger aufrechterhalten werden. Doch auch die vom G-BA vorgeschlagene Lösung, die Kostenübernahme durch die Krankenkassen ausschließlich für sogenannte Risikoschwangerschaften zu übernehmen, erscheint unbefriedigend, da das Kriterium des Risikos in hohem Maße vieldeutig und unzuverlässig ist. Darüber hinaus schließt dieses Vorgehen nicht aus, dass Frauen und Familien, denen kein Risiko attestiert wird, weiterhin von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Test selbst zu finanzieren. Dadurch stünde die beschriebene Problematik für die meisten Frauen und Familien letztlich unverändert fort.

Die dritte, und unter den gegebenen Umständen sinnvollste, Option wäre, NIPTs unter bestimmten Bedingungen als Kassenleistung anzubieten. Dies stellt die einzige Möglichkeit dar, Zugänge zu dieser Untersuchung zu regulieren und den Umgang damit zu begleiten und zu steuern.


Die Kassenzulassung von NIPTs birgt Risiken aber auch Chancen

Es ist anzunehmen, dass die Übernahme der Kosten für NIPTs durch die gesetzlichen Krankenkassen dazu führt, dass immer weniger Menschen mit Down-Syndrom geboren werden. Ob und inwiefern diese mögliche Entwicklung im Widerspruch zu der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) – insbesondere Artikel 8 Bewusstseinsbildung – steht, in der sich die Vertragsstaaten verpflichten, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen in der gesamten Gesellschaft zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und Würde zu fördern [2], sollte Gegenstand einer andauernden kritischen Auseinandersetzung mit der Kassenzulassung des Testverfahrens und deren Konsequenzen sein. Den Werbestrategien der NIPT-Anbieter kann hingegen tatsächlich attestiert werden, dass sie reduktionistische und defizitorientierte Diskurse zum Leben mit Behinderungen nähren, und einen Begriff von Gesundheit bzw. Normalität suggerieren, der Menschen mit Trisomie 21 sowie 13 und 18 ausschließt [1]. Die Chancen einer Kassenzulassung bestehen darin, dass frühzeitige und umfassende Auseinandersetzungen mit dem Test sowie dessen Sicherheits- und Gesundheitsversprechen dazu führen können, dass das in der UN-BRK geforderte Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen geschärft wird, während Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken bekämpft werden. Ganz konkret können unterstützende Maßnahmen getroffen werden, die betroffenen Kinder optimal zu versorgen, falls ihre besonderen Versorgungsbedarfe bereits präpartal bekannt sind. Um diese Ziele zu erreichen, sind einige strukturelle Begleitmaßnahmen unerlässlich.


Strukturelle Maßnahmen sollten die Kassenzulassung begleiten

Zunächst sollte das Angebot an möglichst unabhängigen Informationen über und einschlägigen Beratungen zu NIPTs ausgebaut und gestärkt werden. Das professionelle und flächendeckende Netzwerk an psychosozialen Beratungsstellen und relevanten Patient*innen-Organisationen sollte dabei konsequent miteinbezogen werden. Es erscheint notwendig, die Durchführung des Tests an diese Beratung zu koppeln. Frauen und Familien, die sich um Kinder mit besonderen Bedarfen kümmern, benötigen umfassende staatliche Unterstützung. Hier sind sozialpolitische Maßnahmen gefragt, die die berufliche Tätigkeit und gesellschaftliche Teilhabe der versorgenden Personen ermöglichen. Als Beispiel sei der niedrigschwellige Zugang zu inklusiv arbeitenden Kindertagesstätten und Schulen genannt. Die Lebenssituationen von Menschen mit Behinderungen sind weiter zu verbessern, um das gemeinsame Zusammenleben zu stärken. Schließlich sollten Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch, wie z.B. die Möglichkeit das Kind auszutragen und zur Adoption freizugeben, gestärkt werden.

Nicht zuletzt sollte die Kassenzulassung von NIPTs umfänglich sozialwissenschaftlich begleitet werden, um Verständnisse für diese Technologie und ihre ethischen, politischen und sozialen Effekte entwickeln zu können.

Unter diesen Bedingungen sowie unter Begleitung einer andauernden öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Verfahren ist eine vorläufige Zulassung von NIPTs denkbar.


Anmerkungen

Das Positionspapier stand den Mitgliedern der DGHWi vom 03.03.2019 bis zum 01.04.2019 zur Kommentierung zur Verfügung und wurde anhand der Kommentare überarbeitet.

Das Positionspapier ist zum 31.07.2024 zur Überarbeitung vorgesehen.

Interessenkonflikte

Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Baldus M, Dickmann M, Gasiorek-Wiens A, Gossen R, Hager M, et al. Praenataldiagnostik im Diskurs. 23 Thesen. Tutzing: Akademie für politische Bildung; 2016 [accessed 2019 April]. Available from: https://www.tutzinger-diskurs.de/wp-content/uploads/2018/01/Praenataldiagnostik-im-Diskurs-DE-Maerz-2017.pdf Externer Link
2.
Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, editor. Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Stand Nov. 2018. 2018 [accessed 2019 April]. Available from: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/a729-un-konvention.pdf?__blob=publicationFile&v=1 Externer Link
3.
Beek J, Henke R, Kappert-Gonther K, Kober P, Rüffer C, et al. Vorgeburtliche Bluttests – Wie weit wollen wir gehen? Interfraktionelles Positionspapier. 2018 [accessed 2019 April]. Available from: https://www.corinna-rueffer.de/wp-content/uploads/2019/03/181012-Interfraktionelles-Positionspapier-NIPD.pdf Externer Link
4.
Heinrichs JH. Grundbefaehigungsgleichheit im Gesundheitswesen. Ethik in Der Medizin. 2005;17(2):90-102. DOI: 10.1007/s00481-005-0368-8 Externer Link
5.
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), editor. Nicht invasive Pränataldiagnostik (NIPD) zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 bei Risikoschwangerschaften. Abschlussbericht S16-06. 2018 [accessed 2019 April]. (IQWiG-Berichte; 623). Available from: https://www.iqwig.de/download/s16-06_nicht-invasive-praenataldiagnostik-nipd_abschlussbericht_v1-0.pdf?rev=117386 Externer Link
6.
Kolleck A, Sauter A. Aktueller Stand und Entwicklungen der Praenataldiagnostik. Endbericht zum Monitoring. TAB Arbeitsbericht Nr. 184. 2019 [accessed 2019 April]. Available from: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/090/1909059.pdf Externer Link