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GMS Zeitschrift für Hebammenwissenschaft

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi)

ISSN 2366-5076

Integration internationaler Hebammen in geburtshilfliche Teams

Originalarbeit

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  • corresponding author Beate Blättner - Hochschule Fulda, Deutschland
  • Angela Rocholl - Hochschule Fulda, Deutschland

GMS Z Hebammenwiss 2020;7:Doc04

doi: 10.3205/zhwi000018, urn:nbn:de:0183-zhwi0000186

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zhwi/2020-7/zhwi000018.shtml

Eingereicht: 1. März 2020
Angenommen: 9. Oktober 2020
Veröffentlicht: 10. Dezember 2020

© 2020 Blättner et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Integration internationaler Hebammen scheint in einigen Bundesländern eine der Strategien zur Lösung des Hebammenmangels zu sein. Chancen und Grenzen des Integrationsprozesses bei Hebammen sind kaum erforscht.

Ziele: Erkenntnisse aus einem Projekt zur Integration internationaler Pflegekräfte wurden versuchsweise auf die Tätigkeit von Hebammen übertragen und damit Fragen aufgeworfen, welche Phänomene in der Praxis genauer untersucht werden müssten.

Methodik: In vier stationären und ambulanten Kranken- und Altenpflegeeinrichtungen wurden 19 Interviews mit Einrichtungs-, Pflegedienst- und Stationsleitungen sowie mit internationalen Pflegekräften und ihren Kolleg*innen im Stil der Grounded Theory durchgeführt und ausgewertet. Gesprächsnotizen mit Hebammenteams wurden zur Reflexion der Übertragbarkeit genutzt.

Ergebnisse: Die interviewten Arbeitsmigrant*innen fühlten sich eher unter dem Aspekt ihrer Defizite gesehen als in ihren Kompetenzen gewürdigt. Die integrierenden Teams fühlten sich von der Integrationsarbeit tendenziell überfordert und nehmen die Arbeitsmigrant*innen eher als „Problemfall“ wahr. Missverständnisse wurden als Sprachprobleme wahrgenommen. Die Integrationsarbeit wurde von den Institutionen wenig anerkannt.

Schlussfolgerung: Integrationsarbeit muss anerkannt, vorbereitet und honoriert werden. Kompetenzen internationaler Hebammen müssen als solche gesehen und in die Arbeitsroutinen der bestehenden Teams eingebunden werden können.

Schlüsselwörter: Hebammen, ausländisches Fachpersonal, berufliche Mobilität, Integration, Arbeitskräfte im Gesundheitswesen


Hintergrund

Die Ergebnisse der Befragung von Hebammen in der Studie „Geburtshilfliche Versorgung durch Hebammen in Nordrhein-Westfalen“ (HebAb) geben Hinweise auf einen Hebammenmangel: Jede vierte Befragte arbeitete in einem Kreißsaal, der im letzten Monat vorübergehend geschlossen wurde, davon in 70,6% aufgrund fehlenden Hebammenpersonals. Nur 6,8% der Hebammen gaben an, aktuell keine Überstunden geleistet zu haben [8]. In einer Befragung in Hessen gaben 88% der rückmeldenden Kliniken einen Mehrbedarf an festangestellten Hebammen in den nächsten drei Jahren an; 53% haben derzeit offene Stellen, im Mittel 1,9 offene Stellen pro Klinik. Die Dauer bis zur Wiederbesetzung offener Stellen wird mit durchschnittlich 18,5 Wochen angegeben [1]. Als Möglichkeiten, das Problem des Hebammenmangels zu kompensieren, werden u.a. die Erhöhung der Anzahl der Ausbildungsplätze, die Akademisierung der Hebammen und Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Berufes sowie die Anwerbung und Anerkennung ausländischer Fachkräfte diskutiert [2].

In der Anerkennung der Abschlüsse von im Ausland qualifizierten Hebammen muss zwischen EU-Ländern und sog. Drittstaaten unterschieden werden. Die Verfahren sind im Hebammengesetz (HebG) geregelt. Berufsqualifikationen aus Drittstaaten werden im Rahmen ihrer Gleichwertigkeit oder nach Anpassungsmaßnahmen wie Anpassungslehrgängen, Eignungs- oder Kenntnisprüfungen anerkannt (§ 54ff HebG). Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom März 2020 wird die Anwerbung und der Familiennachzug für Nicht-EU-Bürger*innen erleichtert. Für Mitgliedstaaten der EU, andere Vertragsstaaten oder gleichgestellte Staaten gilt eine automatische Anerkennung der Berufsqualifikationen (§ 46ff HebG).

Hebammen aus EU-Ländern bringen dennoch andere Kompetenzen mit als die in Deutschland Qualifizierten. Die EU-Richtlinie (2005/36/EG) setzt zwar Mindeststandards fest, die für eine wechselseitige Anerkennung von Abschlüssen gegeben sein müssen, der berufliche Sozialisationsprozess in der Qualifizierungsphase ist aber auf die Bedingungen im jeweiligen Land ausgerichtet.

Schon die Dauer der (akademischen) Ausbildung in Europa ist heterogen, zwischen drei und fünf Jahren. In Frankreich etwa ist ein Master-Abschluss für die Berufszulassung erforderlich [5]. In Italien z.B. reicht ein dreijähriges Studium an der Hochschule mit einem dem Bachelor gleichbedeutenden Abschluss „Laurea“, allerdings gibt es Modellprojekte, die ein fünfjähriges Studium anstreben [6]. In Polen ist ein Bachelor-Abschluss für eine Tätigkeit als Hebamme ebenfalls ausreichend, 17% der praktizierenden Hebammen im Jahr 2016 hatten aber einen Master-Abschluss und es gibt Spezialisierungsmöglichkeiten [12].

Auch die Tätigkeitsbereiche sind teilweise unterschiedlich: In den Niederlanden beispielsweise übernehmen die Hebammen gemeinsam mit Hausärzt*innen die Primärversorgung schwangerer Frauen, weil Gynäkolog*innen nur in Kliniken arbeiten [7]. In Frankreich dürfen Hebammen bestimmte Medikamente selbst verschreiben und Impfungen durchführen [5].


Forschungsstand

Der Umfang der Integration internationaler Hebammen in die deutschen Versorgungsstrukturen, welche Chancen und Hindernisse mit einer Integration in die bestehenden Teams verbunden sind und wie sich Unterschiede in der Ausbildung und in der Berufspraxis auswirken, ist bislang nicht erforscht. Auch international ist die Studienlage überschaubar.

In einer britischen Studie zur Anwerbung internationaler Fachkräfte für den NHS wurde die Anwerbung von Hebammen mit einbezogen, allerdings wurden dabei nur wenige Themen spezifisch für die Berufsgruppen ausgewertet. Als Ergebnis zeigte sich, dass Personalmangel behoben werden konnte, dies jedoch mit einem großen finanziellen und organisatorischen Aufwand verbunden war. Ermittelt wurde u.a. nach wievielen Jahren beruflicher Tätigkeit der Arbeitsmigrant*innen sich die Investition rechnete: Mit 3,1 Jahren lohnte sich der Aufwand bei Hebammen und Pflegekräften im Vergleich zu Ärzt*innen (3,8 Jahre für Klinik-Ärzt*innen und 4,6 Jahre für Allgemeinmediziner*innen) schneller. Hervorgehoben wurden die innovativen Ideen, die infrastrukturellen Vorteile und positive Einflüsse auf die Ausbildung durch die Integration internationaler Hebammen [16].

In Australien wurden 18 aus Großbritannien ausgewanderte Hebammen nach ihren Erfahrungen befragt. Die Autor*innen kamen zum Schluss, dass Hebammen im Vorfeld der Migration gut informiert sein müssen, um mit realistischen Erwartungen in die berufliche Tätigkeit einzusteigen. Das Management sollte sich bemühen, die Aufgaben der Hebammen auf deren vorhandene Kompetenzen abzustimmen [11].

In einer aktuelleren Studie in Australien wurden Interviews mit 11 internationalen Hebammen durchgeführt. Die unterschiedliche Kultur des Arbeitsumfelds, die Unterschiede in der Hebammenpraxis, die fehlende Autonomie und die wahrgenommene Diskriminierung beeinflussten demnach die Integration. Der Erfolg der Integration hing von der Fähigkeit der Arbeitsmigrant*innen ab, ein Zugehörigkeitsgefühl aufzubauen und Strategien anzunehmen, die den Umgang mit neuen Arbeitsplätzen erleichtern. Die Autor*innen schlussfolgern, dass ein strukturiertes Integrationsprogramm sowie ein Mentor*innenprogramm, das den Schwerpunkt auf die australische Hebammenbetreuung und -kultur legt, wirksame Strategien sein können, um die Integration zu erleichtern [9].


Ziel

Ziel der Forschung war es herauszufinden, welche Relevanz das Thema der Integration von international qualifizierten Hebammen in Deutschland hat und welche Herausforderungen damit in der Praxis verbunden sind.

Dafür wurden Daten zu Anerkennungsverfahren internationaler Hebammen aufbereitet und Erkenntnisse aus einem Projekt zur Integration internationaler Pflegekräfte versuchsweise auf die Tätigkeit von Hebammen übertragen. Daraus ergaben sich Fragestellungen zu Phänomenen, die es in der Praxis genauer zu untersuchen galt.

Ausgangsthese war, dass sich die Arbeitsinhalte und Verantwortungsbereiche von Hebammen und Pflegekräften grundlegend unterscheiden, die Integration internationaler Fachkräfte aber dennoch mit vergleichbaren Schwierigkeiten verbunden ist. Im Projekt interessierten weniger Fragen der Anwerbung, der Qualität von Vermittlungsagenturen, der für die Berufsanerkennung erforderlichen Sprachenkenntnisse oder der Gestaltung und Dauer der Anerkennungsverfahren. Der wissenschaftliche Fokus lag auf der Generierung von Informationen zu konkreten Leistungen von bestehenden Teams zur Integration in den Arbeitsalltag.


Methodik

In Anlehnung an den Forschungsstil der Grounded Theory [15], der es ermöglicht, Daten heterogener Art zu verknüpfen, die in unterschiedlichen Kontexten erhoben wurden, erfolgte in drei Schritten eine Annäherung an die interessierenden Fragen: der Erforschung von Integrationsprozessen in der Pflege, der Analyse der Relevanz des Themas für die geburtshilfliche Versorgung anhand statistischer Daten und der Übertragung der Erkenntnisse über die Integration von Pflegekräften auf die Berufsgruppe der Hebammen auf Basis eines Abgleichs mit weiterem Datenmaterial.

Als eines von zehn Umsetzungsprojekten (Integration Internationaler Pflegekräfte in regionale Einrichtungen – InTIP) des im Rahmen des Bund-Länderprogramms „Innovative Hochschule“ geförderten Transfer-Projektes [3], [4] mit zwei Kliniken und zwei Trägern stationärer und ambulanter Altenpflegeeinrichtungen geht es in dem noch laufenden Projekt um die Integration internationaler Fachkräfte, die am Beispiel von Pflegekräften untersucht und auf andere Berufsgruppen des Gesundheitswesen übertragen werden soll. Die beiden am Projekt teilnehmenden Kliniken verfügen über geburtshilfliche Abteilungen (Level 1 Haus, Geburtsklinik), allerdings nicht über nennenswerte Erfahrungen mit der Integration internationaler Hebammen, nur mit internationalen Pflegekräften.

Es wurden 19 leitfadengestützte Interviews mit Einrichtungs-, Pflegedienst- und Stationsleitungen sowie mit internationalen Pflegekräften und ihren Kolleg*innen durchgeführt. Gegenstand waren die bisherigen Erfahrungen mit dem Integrationsprozess internationaler Pflegekräfte. Die Interviews erfolgten durch geschulte Interviewerinnen, die bereits zum Thema Arbeitsmigration im Gesundheitswesen arbeiten und selbst Migrationshintergrund haben.

Ergänzend wurden drei Hospitationen in der Alten- und der Krankenpflege, eine Hospitation in einer von drei Schulungen mit internationalen Pflegekräften im Anerkennungsverfahren in einer der Kliniken sowie ein Interview mit der Leitung der Schulung durchgeführt. In regelmäßigen Abständen erfolgten individuelle und gemeinschaftliche Gespräche mit den jeweiligen Projektpartner*innen. Zur Ergebnissicherung wurden Feldnotizen, Beobachtungs- oder Erinnerungsprotokolle und Interview-Transkripte angefertigt. Das Datenmaterial wird im laufenden Projekt kontinuierlich ergänzt.

Von allen Interviewpartner*innen liegt eine schriftliche Einverständniserklärung vor.

Zur Auswertung des Datenmaterials wurde das Material offen, axial und selektiv kodiert und die Analyseergebnisse in theoriegenerierenden Memos festgehalten, deren Erkenntnisse wiederum die Erhebung neuen Materials inspirierten.

Für die Frage nach der Übertragbarkeit auf die Berufsgruppe der Hebammen wurde zunächst eine dafür angeforderte Sonderauswertung des statistischen Bundesamtes [13] unter dem Aspekt betrachtet, welche Relevanz internationale Hebammen für die Praxis der geburtshilflichen Versorgung derzeit haben.

In einem letzten Schritt wurden den Erkenntnissen zur Integration internationaler Pflegekräfte kontrastierend Memos gegenübergestellt, in denen die Arbeit mit internationalen Hebammen Gegenstand war. Diese Memos entstanden im Rahmen von Gesprächen mit Kooperationskliniken, sofern dort Bemerkungen zu internationalen Hebammen fielen, und Gesprächen zu Erfahrungen der Hochschule mit Anpassungsmaßnahmen für internationale Hebammen. In der Gegenüberstellung wurde wie beim selektiven Kodieren [15] nach Unterschieden und Ähnlichkeiten im Material gesucht und so die Fragestellung im Sinne der Bildung von Hypothesen beantwortet.


Ergebnisse

Relevanz in der Versorgung

In den Gesprächen mit den Kliniken entstand der Eindruck, dass sowohl der Hebammenmangel als auch die Integration international qualifizierter Hebammen in einigen hessischen Kliniken ein reales Problem der Praxis ist, während andere Kliniken im regionalen Umfeld (Hessen, Westthüringen, Nordbayern) damit bislang nicht konfrontiert waren. Die Beobachtungen sprachen für regionale Unterschiede.

Die Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes zeigte, dass im Jahr 2018 bundesweit 324 Anträge auf Anerkennung der Gleichwertigkeit der im Ausland erfolgten Ausbildung als Hebamme gestellt wurden [13]. In den Jahren 2013 bis 2015 waren es noch durchschnittlich 155 Anträge [13]. Eine andere Quelle listet für das Jahr 2018 Hebammen auf Platz 11 der bundesrechtlich geregelten häufigsten Berufe, in denen Anerkennungen beantragt wurden und nennt 381 Verfahren [14].

Die meisten der 324 Anträge (108) stammten erwartungsgemäß aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, Hessen stand mit 66 Anträgen an Platz zwei. Betrachtet man den Zeitraum 2016 bis 2018, so fällt auf, dass die Verfahren sich mehrheitlich (71,9%) auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen sowie Baden-Württemberg konzentrierten [13] (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Gemessen an der Bevölkerungszahl stand allerdings Hessen im Jahresdurchschnitt bei den Anträgen auf Platz eins, gefolgt von Rheinland-Pfalz und Bayern.

Von den 324 Anträgen im Jahr 2018 wurden 53,7% (n=174) von Hebammen aus dem EU-Ausland gestellt, weitere 25% von Hebammen aus dem übrigen Europa. Mit 17,5% nahm als Herkunftsgebiet der asiatische Kontinent, insbesondere der Iran, eine nicht unbedeutende Rolle ein, während Anträge aus Afrika, Nord- und Südamerika oder Australien eher Einzelfälle waren (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]). Unter den EU-Ländern dominierten 2018 Anträge aus Italien (56,9%), gefolgt von solchen aus Polen (12,1%). In den Jahren 2017 und 2016 war die Situation ähnlich, während in den Jahren 2013 bis 2015 bei insgesamt geringerer Antragslage noch Polen unter den EU-Ländern dominerte [13].

Nach Prüfung der Anträge in den Bundesländern wurde bei den im Jahr 2018 abgeschlossenen 222 Verfahren in 156 Fällen (70,3%) die volle Gleichwertigkeit bescheinigt, in 63 Fällen (28,4%) wurde eine Ausgleichmaßnahme auferlegt. Die Gleichwertigkeit wurde fast ausschließlich in EU-Ländern festgestellt, während die Ausgleichsmaßnahme für alle anderen Ländern die Regel ist [13].

Für Hessen lassen sich die Zahlen mit den Ausbildungsplätzen für Hebammen abgleichen: 120 Ausbildungsplätzen, die für die Zukunft der Hebammenversorgung im Bundesland nach mündlichen ministeriellen Vorgaben als für den Bedarf notwendig festgelegt wurden, standen im Jahresschnitt der Jahre 2016 bis 2018 knapp halb so viele (58) Anträge auf Anerkennung der Gleichwertigkeit der Ausbildung gegenüber. In durchschnittlich 31 Fällen wurde das Verfahren mit der vollen Anerkennung der Gleichwertigkeit abgeschlossen [13]. In den letzten Jahren decken in Hessen demnach international qualifizierte und in Deutschland anerkannte Hebammen im Verhältnis von etwa 1:4 zu den jährlich im Bundesland Ausgebildeten einen nennenswerten Teil des Potentials an qualifizierten Arbeitskräften ab.

Integration in die Versorgung

Der Erfahrungsstand zur Integration internationaler Health Professionals in den betrachteten Einrichtungen war sehr heterogen und dennoch zeigten sich Ähnlichkeiten bei den Schwierigkeiten der Integration in den Einrichtungen und zwischen Pflegekräften und Hebammen. Praxispartner berichteten, dass internationale Fachkräfte nach erfolgreicher Akquise ein bis zwei Jahre eingearbeitet werden müssen, bis sie in vollem Umfang alle Aufgaben erfüllen können.

Die interviewten internationalen Pflegekräfte fühlten sich auf die Arbeitsinhalte und Abläufe in der deutschen Gesundheitsversorgung nicht immer hinreichend vorbereitet und ihr Verständnis von der Tätigkeit wich von der Praxis in Deutschland ab. Dabei fühlten sie sich von den deutschsprachigen Kolleg*innen eher unter dem Aspekt ihrer Defizite gesehen als in ihren Kompetenzen gewürdigt. Sprachliche Hürden verstärkten dieses Phänomen, weil sie nicht immer ihre Kompetenzen hinreichend zum Ausdruck bringen und sich fachlich nicht so verständlich machen konnten wie in ihrer Muttersprache. Die Chance, innovative fachliche Kompetenzen in etablierte Arbeitsstrukturen einzubringen, erfuhren sie nicht.

Kolleg*innen der bestehenden Teams fühlten sich mit der Integration der internationalen Fachkräfte tendenziell überfordert: Einarbeitung, Kompensations- oder Mittlerdienste sowie Kommunikationsschwierigkeiten führten zu einer erhöhten Belastung in einer Situation des personellen Mangels. Internationale Fachkräfte wurden deshalb von ihnen teilweise als „Problemfall“ wahrgenommen und ihre Kompetenzen aus defizitärer Sicht betrachtet. Missverständnisse wurden dabei Sprachproblemen zugeordnet, auch wenn unterschiedliche Vorstellungen aufgrund einer unterschiedlichen Berufssozialisation als Ursache ebenfalls in Betracht kämen. Sprachkenntnisse und kulturelle Kompetenzen wurden als Ressourcen internationaler Fachkräfte in der Behandlung von Patient*innen aus anderen Kulturräumen genannt.

Auch bei den für den Integrationsprozess und die Anpassung Verantwortlichen oder Lehrenden überwog eine defizitäre Sichtweise. So wurden beispielsweise italienische Hebammen als „medizinlastig“ denkend und handelnd bezeichnet oder eine Hebamme aus einem Drittland als „für die Praxis nicht zumutbar“. Beispiele für Kompetenzen, die die Versorgung in Deutschland bereichern könnten, wurden auch auf die explizite Frage danach nicht genannt. Erwartet wurde die vollständige Anpassung an Verhaltensweisen, die rechtlich, organisatorisch oder als praktizierte Arbeitsroutine vorgegeben sind. Dies galt beispielsweise in der Pflege auch dann, wenn Hygienestandards in der deutschen Praxis nicht internationalen Standards und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts entsprachen.

Statt Entlastung zu bringen, war die Integration für die bestehenden Teams zunächst mit Mehrarbeit verbunden; einer Arbeit, die von den Institutionen wenig anerkannt und honoriert wurde. Einzelleistungen sozialer Integration waren attraktiv, solange sie einen gewissen Eventcharakter hatten, aber nicht mehr sobald es Routinetätigkeiten wurden.

Als Schlüsselkategorie zeigte sich in der Analyse der Daten Integrationsarbeit als zu leistende Tätigkeit. Integrationsarbeit meint dabei jegliche Form der organisatorischen Arbeit und der Interaktionsarbeit, die das Ziel hat, neue Mitarbeiter*innen in die Organisation, ihre Strukturen, in das Team sowie in den Berufsalltag einzubinden. Integrationsarbeit ist eine zielgerichtete Form des Handelns, die einem Handlungsplan folgt und ein bestimmtes Resultat anstrebt. Sie erfordert Kooperation mit anderen. Sie ist ein Prozess, an dem mehrere Akteure beteiligt sind und der eine Ausrichtung von Integrierenden und zu Integrierenden aneinander erfordert. Integrationsarbeit stellt für beide Seiten eine zusätzliche Anforderung dar.

Integrationsarbeit findet unabhängig von der Herkunft neuer Mitarbeiter*innen statt. Sie hat bei der Einarbeitung internationaler Fachkräfte aber zusätzliche Dimensionen. Diese beziehen sich vor allem auf potenziell heterogene Vorstellungen der Tätigkeit des jeweiligen Gesundheitsberufs, die abgeglichen werden müssen, sowie auf die Lösung sprachlicher, insbesondere fachsprachlicher Probleme, die durch regionale Sprachvarietäten und Fachjargons verschärft werden können.

Integrationsarbeit ist ein komplexer Prozess, der systematisch geplant und durchgeführt werden muss. Dies erfordert bei den bestehenden Teams u. a. die Entlastung von anderen Arbeiten, die Definition und Verteilung von Aufgaben sowie die Klärung von Zuständigkeiten, die Qualifizierung der Beschäftigten für diese Tätigkeit und die Honorierung der Leistung in irgendeiner Form. Zur Vorbereitung auf die Integrationsarbeit gehört eine institutionelle Bereitschaft, von den in anderen Ländern vermittelten Kompetenzen in der deutschen Versorgung profitieren zu wollen.

Wird Integrationsarbeit nicht vorbereitet, reflektiert und honoriert, so resultieren daraus defizitäre Sichtweisen auf die Kompetenzen der internationalen Fachkräfte, darauf weist die Analyse der Daten hin. Eine gemeinsame Arbeit auf Augenhöhe ist dann nicht möglich.


Diskussion

Die Integration international qualifizierter Hebammen in die geburtshilfliche Versorgung ist in Deutschland derzeit eine regional in unterschiedlichem Ausmaß bestehende Herausforderung mit dem Ziel, den Hebammenmangel zu reduzieren.

Die hier vorgestellten Daten wurden im Rahmen eines Transfer-Projektes erhoben, das auf internationale Pflegekräfte fokussiert und erst sekundär die Frage der Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf andere Berufsgruppen stellt. Die Überprüfung der Ergebnisse anhand von Daten aus geburtshilflichen Teams erfolgte eher sporadisch als systematisch. Deshalb hat die Arbeit ein stark exploratives Design, das primär neue Forschungsfragen aufwerfen will. Die Ergebnisse sind als in weiterer Forschung auf die Relevanz für Hebammen zu überprüfende Thesen zu verstehen.

Die Ähnlichkeit der Schwierigkeiten bei der Integration der Arbeitsmigrant*innen zwischen den Einrichtungen trotz ihrer variierenden Erfahrungen sowie die Parallelität der Unterschiede in Ausbildung und Berufsverständnis zwischen Pflegekräften einerseits und Hebammen andererseits lässt eine wahrscheinliche Übertragbarkeit auf die Berufsgruppe der Hebammen zu. Das zur Reflexion benutzte Datenmaterial lässt keine Hinweise auf eine mangelnde Übertragbarkeit auf die andere Berufsgruppe erkennen. Auch ein Abgleich mit der vorhandenen Literatur bestätigt die Ähnlichkeit der Erfahrungen [9], [11], [16].

Die Absicht von Geburtskliniken, die sich um die Integration internationaler Hebammen bemühen, ist es, einen Beitrag zur Lösung des Problems fehlender Hebammen zu leisten. Anzunehmen wäre, dass auch hebammengeleitete Einrichtungen wie Praxen oder Geburtshäuser zwar durchaus gerne mit internationalen Hebammen arbeiten würden, den Aufwand und die Kosten einer Anwerbung internationaler Kräfte aber nicht erbringen können. Für Anpassungsmaßnahmen ist derzeit die Anbindung an eine Hebammenschule, künftig an einen Hochschulstandort mit einem dualen Studienangebot notwendig. Bestandteil der Auflagen für die Anerkennung könnten aber auch Praxisphasen in der ambulanten Versorgung sein.

Mit der Gewinnung internationaler Hebammen ist grundsätzlich eine potenzielle Entlastung bestehender Hebammenteams in den Kliniken möglich. Allerdings kann es nicht darum gehen, solche Maßnahmen als Ersatz gegenüber Interventionen zur Erhöhung der Attraktivität des Berufs der Hebamme zu verstehen. Vielmehr wird Deutschland als Anwerbeland für Hebammen auf Dauer nur dann attraktiv sein, wenn zeitgleich die Attraktivität des Berufs für alle durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen erhöht wird.

Nach einer Berufsanerkennung ist die Integration in Arbeitsteams und Abläufe sowie der Umgang mit Sprachkompetenzen von weitreichender Bedeutung, um die internationalen Fachkräfte auch an Deutschland zu binden. Dies ist mit Herausforderungen von Seiten der Arbeitgeber und der internationalen Arbeitnehmer*innen verbunden. Oft scheint aber die betriebliche Integration ausschließlich über Re-Skilling der Arbeitsmigrant*innen erzwungen zu werden, statt Räume für den Austausch von Perspektiven zu schaffen. Bestenfalls können die neu migrierten Fachkräfte die Rolle von Lernenden einnehmen, die in den Einrichtungen bei der Neuausrichtung ihrer Berufsidentität begleitet werden [10]. Frustrationen bei den Migrant*innen, wenn sie sich als diejenigen sehen, die grundsätzlich im Spiegel ihrer Defizite, aber nicht ihrer Kompetenzen betrachtet werden, könnten eine Rückkehr ins Herkunftsland wahrscheinlicher machen.

Der Entlastung bestehender Hebammenteams steht zunächst die von den Teams zu leistende Integrationsarbeit als zusätzliche Aufgabe konträr gegenüber. Geht man von einer Parallelität der Einarbeitung internationaler Hebammen zu der von Personal in der Pflege aus und zieht Parallelen zur den neuen Regelungen des dualen Studiums von Hebammen, so kann angenommen werden, dass internationale Hebammen in ihrem ersten Jahr bei 25% ihrer Arbeitszeit durch eine dafür freigestellte und in Fragen der Interkulturalität geschulte Praxisanleiterin begleitet werden müssten. Soweit das Datenmaterial hierzu hinreichend Auskunft gibt, erfolgt in der Praxis die Anleitung der Arbeitsmigrant*innen aber eher nebenbei, ohne hinreichende Qualifizierung und ohne gesonderte Honorierung. Damit sind Spannungsfelder vorprogrammiert.

Über eine Reduzierung des Personalmangels hinaus könnte die Integration internationaler Hebammen folgende Vorteile haben: Grundsätzlich könnten sie einen Beitrag zur Überwindung sprachlicher und kultureller Barrieren in einer Geburtshilfe leisten, deren Klientel sich internationalisiert. Dies setzt allerdings voraus, dass der sprachliche und kulturelle Hintergrund von Professionals und Klientel vergleichbar ist. Mehr noch bietet ein internationaler Austausch grundsätzlich die Chance, von der Andersartigkeit der Geburtshilfe in verschiedenen Ländern zu lernen und so die eigene Disziplin theoretisch und praktisch weiterzuentwickeln, indem Gewohnheiten und Traditionen kritisch hinterfragt und mit der Evidenz verglichen werden. Dies erfordert aber eine entsprechende Bereitschaft der Institution.


Schlussfolgerungen

Die Integration internationaler Hebammen in bestehende Teams wird als Thema in Deutschland an Relevanz gewinnen, ist aber nicht hinreichend erforscht. Erkenntnisse aus der Forschung mit benachbarten Berufsgruppen verdeutlichen, dass Integration nur gelingen wird, wenn sie als Integrationsarbeit anerkannt, vorbereitet und honoriert wird. Gelingende Integrationsarbeit setzt voraus, dass die Kompetenzen internationaler Hebammen als solche gesehen und in die Arbeitsroutinen der bestehenden Teams eingebunden werden können.


Anmerkungen

Ethikerklärung

Die Ethikkommission der Hochschule Fulda hat die Durchführung der Studie befürwortet. Alle Interviewpartner*innen haben schriftlich ihr Einverständnis zur Teilnahme an der Studie erklärt.

Danksagung

Die Autorinnen danken Agnieszka Satola, Nadja Noll und Heinrich Bollinger für das Zurverfügungstellen von Datenmaterial und gemeinsame Analyseergebnisse sowie Lukas Slotala für die Beschaffung der Sonderauswertung des statistischen Bundesamtes zu den Anerkennungsverfahren für Hebammen.

Interessenkonflikte

Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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