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GMS Zeitschrift für Hebammenwissenschaft

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V. (DGHWi)

ISSN 2366-5076

Hebammenpräsenz und Qualität der Betreuung bei Klinikgeburten in Berlin: Ergebnisse einer Online-Befragung von Müttern

Originalarbeit

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  • corresponding author Verena Stengel - Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE), Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland
  • Theda Borde - Alice Salomon Hochschule Berlin, Deutschland

GMS Z Hebammenwiss 2019;6:Doc03

doi: 10.3205/zhwi000014, urn:nbn:de:0183-zhwi0000149

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/zhwi/2019-6/zhwi000014.shtml

Eingereicht: 30. April 2018
Angenommen: 18. März 2019
Veröffentlicht: 18. Dezember 2019

© 2019 Stengel et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund und Ziel: Studien belegen, dass eine 1:1-Betreuung durch Hebammen während der Geburt einen positiven Einfluss auf die Gesundheit von Müttern und Kindern hat. Vor dem Hintergrund zunehmender Kapazitätsengpässe bei Klinikgeburten in Berlin wurde in dieser Studie die retrospektive Sicht von Müttern auf die Hebammenpräsenz und die Betreuungsqualität untersucht.

Methodik: Mittels semi-quantitativem Online-Fragebogen wurden die Hebammenpräsenz (Anwesenheit der Hebamme) sub partu und die Bewertung des Betreuungsumfangs (als Maß für die Betreuungsqualität) durch Mütter mit Geburt in Berlin in den Jahren 2016/17 erfasst. Die Angaben von 567 Müttern mit spontanem Geburtsbeginn in der Regelversorgung wurden deskriptiv sowie mit χ2-Tests und einer logistischen Regression analysiert.

Ergebnisse: Bei 55% (n=311) der befragten Mütter lag die selbst eingeschätzte Hebammenpräsenz bei ≤50% der Zeit ab Kreißsaalaufnahme bis zur Geburt. Diese Mütter bewerteten den Betreuungsumfang um ein Vielfaches häufiger als zu gering im Vergleich zu Müttern, bei denen durchgehend eine Hebamme anwesend war (50% Hebammenpräsenz: OR 3,41 [KI 1,95-7,82], <50% Hebammenpräsenz: OR 8,95 [KI 4,52-18,86], p<0.001). Je länger die Hebamme anwesend war, desto positiver wurde die Betreuung bewertet.

Diskussion: Die Hebammenpräsenz war in dieser Untersuchung geringer und auch die Zufriedenheit mit der Betreuung fiel schlechter aus als in bisherigen Studien mit Daten aus deutschen Kliniken. Die wahrgenommene Anwesenheit einer Hebamme ist ein wesentliches Merkmal für die Zufriedenheit der Mütter mit der Betreuung während der Geburt.

Fazit: Die Ergebnisse weisen auf ein bestehendes Versorgungsproblem in Berlin hin. Weitere Studien zur Hebammenpräsenz mit Einbezug der Perspektiven von Müttern sind notwendig.

Schlüsselwörter: Hebammenpräsenz, Hebammenbetreuung, Betreuungsqualität, Klinikgeburt, Mütterbefragung


Hintergrund

Innerhalb von zehn Jahren (2006-2015) nahm die Geburtenzahl in Berliner Krankenhäusern um 29% zu [1]. 2016 betrug die Zahl 42.618 Geburten [29]. Gleichzeitig gibt es in Berlin, wie in Deutschland insgesamt, einen zunehmenden Mangel an geburtshilflich tätigen Hebammen1 [5], [29], [35].

In Deutschland haben Frauen sub partu einen gesetzlichen Anspruch auf Hebammenhilfe und ärztliche Betreuung (§24d Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V)) [31]. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die vorgibt, welcher Betreuungsumfang, d. h. Zeit, Inhalt und Art der Betreuung, einer Gebärenden zusteht. Laut perinatologischer Leitlinie sollte in Kliniken zu mehr als 95% der Zeit eine 1:1-Betreuung der Gebärenden durch eine Hebamme gewährleistet sein [2].

Die 1:1-Betreuung beschreibt das Verhältnis von einer Gebärenden zu einer Hebamme während der Geburt, steht jedoch nicht automatisch für eine ununterbrochene Anwesenheit der Hebamme. Die Autorinnen gehen aber davon aus, dass die 1:1-Betreuung in der Regel für ein hohes Maß der Anwesenheit einer Hebamme steht und deren sofortige Verfügbarkeit bei Bedarf der Gebärenden garantiert.

Das Potential der 1:1-Betreuung durch Hebammen ist international untersucht und führt zu weniger Interventionen und besseren Geburtsergebnissen z. B. weniger operativen Entbindungen und höherer Zufriedenheit der Frauen mit dem Geburtserlebnis [11], [12], [15], [18], [19], [24]. Eine hohe Arbeitsbelastung und geringe Hebammenpräsenz haben dagegen einen negativen Einfluss z. B. erhöhte Ängstlichkeit bei Gebärenden, geringere Möglichkeiten zur Überwachung des Geburtsverlaufs und geringere Unterstützung der Gebärenden durch die Hebamme, selbst bei Anwesenheit der Hebamme [16], [21], [34].

In Deutschland ist eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme nur bei außerklinischen und Begleit-Beleggeburten2 die Regel. Im Schichtsystem von Kliniken liegt der Betreuungsschlüssel derzeit bei zwei bis mehr als vier Gebärenden pro Hebamme [25]. Die Klinikgeburt im Schichtsystem entspricht der Regelversorgung3, da in diesem Fall die Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt sind.

Für den deutschen Versorgungskontext gibt es nur wenige Studien zur Hebammenpräsenz während der Geburt. In einer Studie von Ayerle et al. [3] war eine Hebamme bei rund 60% der Frauen zu mehr als 75% der Zeit anwesend. Knape et al. [12] untersuchten die Auswirkungen von Hebammenpräsenz und -arbeitsbelastung: Im Mittel war die Hebamme zu 46% der Zeit anwesend und 81% der betreuten Mütter gaben acht Wochen nach der Geburt an, mit der Anwesenheit der Hebamme zufrieden gewesen zu sein. Die Übertragbarkeit internationaler Ergebnisse ist aufgrund unterschiedlicher Versorgungsstrukturen eingeschränkt [13]. Bisher liegen noch keine Daten zur Hebammenpräsenz in Berliner Kreißsälen vor. In der diesem Artikel zugrunde liegenden Untersuchung werden aktuelle Daten aus einem Zeitraum mit Geburtenanstieg berichtet.


Ziel

Vor dem Hintergrund von Geburtenzuwachs und Hebammenmangel in Berlin soll erstens ermittelt werden, wie viel Zeit Hebammen in der Regelversorgung bei Gebärenden mit spontanem Geburtsbeginn anwesend sind, zweitens inwieweit Mütter bestimmte qualitative Betreuungsaspekte erfüllt sehen, sowie drittens, wie diese den Betreuungsumfang durch Hebammen sub partu retrospektiv bewerten. Abschließend soll viertens untersucht werden, wie sich insbesondere diese subjektiv erfasste Hebammenpräsenz auf die Bewertung des Betreuungsumfangs durch Mütter auswirkt.


Methodik

Design

Alle zur Beantwortung der Forschungsfrage verwendeten Daten stammen aus der Berliner Mütterbefragung 2016/2017 [32], einem Online-Survey (Querschnittserhebung) zur Versorgung mit Hebammenhilfe rund um die Geburt in Berlin. Diese Befragung wurde als Projekt im Rahmen einer Masterthesis im Fach Public Health von der Autorin durchgeführt und von der Ludwig-Maximilians-Universität München finanziell gefördert.

Zugang und Datenerhebung

Die Datenerfassung erfolgte anonym mittels strukturiertem Online-Fragebogen, mit der Befragungssoftware Unipark [20]. Es wurde ein semi-quantitativer Fragebogen4 [32] entwickelt, der auf Expertinneninterviews, einer Literaturanalyse sowie Veröffentlichungen zu in Deutschland oder international durchgeführten Mütterbefragungen basiert [4], [6], [7], [30]. Da für diese Studie keine validierten Fragebögen im Original zur Verfügung standen, waren die Frageformulierungen explorativ. Der Fragebogen wurde auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Türkisch angeboten. Es erfolgte ein Pretest mit Müttern, die ihre Kinder vor dem Jahr 2016 geboren hatten, davon sieben in deutscher Sprache und jeweils ein Pretest in den weiteren angebotenen Sprachen. Fragebogen und Durchführung wurden von der Datenschutzstelle Berlin geprüft und von der Ethikkommission der Ludwig-Maximilians-Universität München (Projekt Nr.: 17-383 UE) als unbedenklich eingestuft.

Der Erhebungszeitraum umfasste knapp sechs Wochen, vom 18.04.2017 bis 28.05.2017. Information und Zugang zur Befragung erfolgten über eine Webseite und soziale Medien sowie systematisch über mehrsprachige, vorwiegend in Kinderarztpraxen und Mütterzentren verteilte Informations-Flyer. Eine mehrfache Teilnahme konnte durch die Software ausgeschlossen werden.

Die vollständige Beantwortung des Fragebogens dauerte im Mittel neun Minuten (Median). Die Rekrutierung war fast ausschließlich auf Posts von Teilnehmerinnen in den sozialen Medien zurückzuführen. Detaillierte Aussagen zum Zugangsweg waren aus Datenschutzgründen nicht ermittelbar.

Auswahl der Stichprobe

Die Studienpopulation der Berliner Mütterbefragung 2016/2017 bilden Mütter mit Geburt mindestens eines Kindes in Berlin zwischen Januar 2016 und Mai 2017. Insgesamt nahmen 1271 Mütter an der Berliner Mütterbefragung teil. In die Analysen des vorliegenden Artikels wurden 567 der befragten Mütter (60% der Teilnehmerinnen insgesamt) eingeschlossen. Ausschlusskriterien waren ein geplanter Kaiserschnitt oder eine Geburtseinleitung, um die Analyse möglichst auf Mütter zu beschränken, die bei Kreißsaalaufnahme bereits unter der Geburt waren. Ebenfalls ausgeschlossen wurden befragte Mütter mit außerklinischer Geburt und Mütter, die eine außerklinische Geburt geplant hatten sowie Mütter mit Begleit-Beleghebamme5. Elf (2%) der Teilnehmerinnen aus der Regelversorgung, die die sonstigen Einschlusskriterien erfüllten, beantworteten nicht alle Fragen zur Hebammenbetreuung und wurden deshalb aus den Analysen ausgeschlossen.

In der Befragung erhobene Variablen

Die Hebammenpräsenz wurde in folgenden Kategorien erfasst: durchgehend (100%), überwiegend (>50% und <100%), etwa die Hälfte der Zeit (ca. 50%), überwiegend alleine bzw. mit Begleitperson alleine (<50%), nicht von einer Hebamme, aber von einer Hebamme in Ausbildung betreut, keine Erinnerung an die Hebammenpräsenz. Die Variable Hebammenpräsenz steht für die Zeit der Anwesenheit der Hebamme bei der Gebärenden und enthält keine Information über Betreuungsinhalte, z. B. unterstützende Maßnahmen.

Der Begriff Bewertung entspricht der Einschätzung der Qualität auf einer Likert-Skala durch die befragten Mütter. Diese bewerteten drei Aussagen zur Art der Hebammenbetreuung, d. h. drei qualitative Betreuungsaspekte, auf einer fünfstufigen Likert-Skala. Die Skala enthielt die Punkte „stimmt“, „stimmt überwiegend“, „teils, teils“, „stimmt überwiegend nicht“, „stimmt nicht“ zur Bewertung der folgenden Aussagen: (1) inwieweit sie die Hebammenbegleitung6 als kompetent wahrnahmen, (2) die Hebamme sie in Entscheidungen einbezog und (3) auf ihre Bedürfnisse einging. Bei einer Betreuung durch mehrere Hebammen sollte die Teilnehmerin Bezug nehmen auf die Hebamme mit der längsten Betreuungszeit, da deutliche Unterschiede in der Art der Betreuung zwischen Hebammen bestehen [22], [36]. Unter Betreuung wird die Überwachung, Leitung und Unterstützung (durch emotionalen Beistand bzw. praktische Maßnahmen) der Gebärenden und des Geburtsprozesses verstanden.

Nach ihren Angaben zur Hebammenpräsenz und den qualitativen Betreuungsaspekten bewerteten die befragten Mütter den Betreuungsumfang durch Hebammen und ggf. ärztliches Personal während der Geburt auf einer fünfstufigen Likert-Skala. Die Skala enthielt die Punkte: „viel zu viel“, „zu viel“, „genau richtig“, „zu wenig“, „viel zu wenig“. Die Variable Betreuungsumfang wurde als Maß für die Betreuungsqualität aus mütterlicher Sicht herangezogen und soll deren Zufriedenheit sowohl mit dem zeitlichen und inhaltlichen Umfang als auch mit den qualitativen Aspekten der Betreuung abbilden. Die Begriffe „Bewertung“ und „Betreuungsumfang“ wurden gewählt, da die Frage nach der Zufriedenheit mit der Hebammenbetreuung die Hebammenpräsenz nicht ausreichend berücksichtigt. Weiterhin zeigte sich in anderen Studien, dass Frauen, die einen Betreuungsmangel empfinden, nicht automatisch mit der Hebammenbetreuung an sich unzufrieden sind und aufgrund der wahrgenommenen Arbeitsbelastung der Hebammen eine hohe Akzeptanz für eine geringe Hebammenpräsenz besteht [15]. Die Erweiterung der Bewertung des Betreuungsumfangs auf ärztliches Personal erfolgte aufgrund mehrfacher Anmerkungen im Pretest, dass ärztliche Betreuung mangelnde Hebammenbetreuung ausgleichen könne.

In einer Freitextantwort hatten die Teilnehmerinnen die Möglichkeit ihre Bewertung des Betreuungsumfangs zu erläutern. Zusätzlich in Kategorien erfasst wurden folgende Variablen: Alter, Parität, höchster beruflicher Ausbildungsabschluss, Versichertenstatus, Migrationshintergrund und das Empfinden einer komplizierten Schwangerschaft sowie die Aufenthaltsdauer im Kreißsaal bis zur Geburt.

Datenanalyse

Die Datenanalyse erfolgte mit MS Excel und R (3.4.0) [33]. Zur Untersuchung des Effekts der Hebammenpräsenz (Exposition) auf die Bewertung des Betreuungsumfangs (Outcome) sowie des Einflusses weiterer Variablen wurden zunächst bivariate Analysen durchgeführt. Mittels χ2-Tests, mit einem Signifikanzniveau von p<0.05, wurden signifikante Zusammenhänge zwischen allen soeben genannten erhobenen Variablen und der Bewertung des Betreuungsumfangs geprüft. Im Falle von Kategorien mit Fallzahlen n≤5 wurden diese mit der benachbarten kleineren Kategorie zusammengefasst.

Im Anschluss erfolgte mit allen bivariat signifikanten Variablen eine binäre logistische Regression, unter Berücksichtigung möglicher Interaktionen. Die Modellannahmen der logistischen Regression wurden durch die Verwendung zweier subjektiv erfasster Variablen (selbst erfasste abhängige und unabhängige Variable) nicht verletzt, da diese nur die Unabhängigkeit der befragten Frauen erfordern (Frau A muss unabhängig von Frau B sein). Des Weiteren wurde keine Adjustierung des a-Niveaus aufgrund des multiplen Testens vorgenommen, da es sich bei den Angaben im Fragebogen nicht um Zufallsvariablen handelt und eine Korrektur auf Grundlage einer universellen Nullhypothese daher nicht zu befürworten ist [23]. Zur Integration in das logistische Regressionsmodell wurde das Outcome dichotomisiert. Die Fälle von „(viel) zu viel“ Betreuung (n=5, <1%) wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Die Kategorien „zu wenig“ und „viel zu wenig“ zur Kategorie „zu wenig“ zusammengefasst und der Angabe „genau richtig“ gegenübergestellt. Zur Auswahl des Modells mit der höchsten Anpassungsgüte, d. h. demjenigen Modell in dem alle enthaltenen Variablen signifikanten Einfluss auf das Outcome hatten, wurde eine Rückwärts-Selektion der Variablen vorgenommen.

Die Freitextantworten zur Erläuterung der Bewertung des Betreuungsumfangs wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring [17] ausgewertet. Die Kategorienbildung erfolgte zunächst deduktiv anhand des vierten Teils der Forschungsfrage und wurde durch induktive Unterkategorien ergänzt.


Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

Die Merkmale der Stichprobe sind in Tabelle 1 [Tab. 1] beschrieben. Die Ausschlusskriterien waren geplanter Kaiserschnitt, Geburtseinleitung, außerklinische Geburt, außerklinisch geplanter Geburtsort bei Geburt in der Klinik, Betreuung durch eine Begleit-Beleghebamme sowie fehlende Angaben zur Hebammenbetreuung.

Hebammenpräsenz bei der Gebärenden

Ein Drittel (n=187, 33%) der befragten Mütter gab an, dass die betreuende Hebamme sub partu nach Aufnahme im Kreißsaal zu weniger als 50% der Zeit anwesend war.

Bei weiteren 124 (22%) befragten Müttern war die Hebamme in etwa der Hälfte der Zeit anwesend (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Qualitative Betreuungsaspekte

Die Angaben der befragten Mütter zu qualitativen Aspekten der Betreuung sind in Abbildung 2 [Abb. 2] zusammengefasst. Die Betreuung durch die Hebamme nahmen die befragten Mütter zu 77% (n=438) als (überwiegend) kompetent wahr. 69% (n=395) gaben an, dass die Hebamme sie (überwiegend) in Entscheidungen einbezog und 74% (n=421), dass die Hebamme auf ihre Bedürfnisse einging.

Bewertung des Betreuungsumfangs

Mit 58% (n=330) bewertete der überwiegende Anteil der befragten Mütter den Betreuungsumfang als genau richtig. 41% (n=232) beurteilten den Betreuungsumfang als zu gering.

202 (36%) der befragten Mütter erläuterten ihre Bewertung des Betreuungsumfangs mit eigenen Worten anhand der Freitextstellen. „Zu viel“ Betreuung empfanden Frauen bei zu vielen Personen im Raum, zu wenig Ruhe sowie autoritärem Verhalten der Betreuenden, das zu einem Verlust ihrer Selbstbestimmung führte. Zu einer Betreuung, die „genau richtig“ war, gehörte die Verfügbarkeit der Hebamme bei Bedarf (n=36). Auch gaben 31 befragte Mütter an, die gute Betreuung bzw. ein geringes Geburtenaufkommen parallel zu ihrer Entbindung als Glück zu empfinden und stellten häufig (n=16) zwischen beidem eine Verbindung her. Teilnehmerinnen mit 1:1-Betreuung (n=13) beschrieben die Wirkung der ununterbrochenen Verfügbarkeit als ideale Bedingung für den Gebärprozess und maßen der Hebamme einen großen Einfluss auf den Verlauf und das eigene Erleben der Geburt zu.

Die meisten Erläuterungen gaben Teilnehmerinnen, die die Betreuung als „zu wenig“ bewertet hatten (53% aller Kommentare). Zentral waren hierbei Beschreibungen von überlasteter Kapazität, d. h. ein Mangel an Hebammen und Geburtsräumen und ein hohes Geburtenaufkommen (n=123). Einige befragte Mütter (n=15) erlebten die Weitergabe von Zeitdruck durch die Betreuenden und empfanden dies als negativen Einfluss auf den Geburtsverlauf. Auch wurde geäußert, dass bei Komplikationen während und nach der Geburt ein Gefühl des Alleingelassenseins bestand (n=37) und dass der Mangel an Betreuung und die Sorge darum den Gebärprozess behinderte (n=47). Ein Mangel an ärztlicher Betreuung wurde im Zusammenhang mit der fehlenden Verfügbarkeit einer Periduralanästhesie genannt (n=2). Dass ärztliches Personal den Mangel an Hebammenpräsenz ausglich, berichtete eine Frau.

Die Rolle von nicht professionellen Begleitpersonen wie beispielsweise dem Partner bzw. der Partnerin wurde unterschiedlich bewertet. Während zwei befragte Mütter die Unterstützung durch Begleitpersonen als Ausgleich für den Mangel an Betreuung durch die Hebamme empfanden, betonten vier, dass diese die professionelle Betreuung durch die Hebamme nicht ersetzen konnte. Konkret empfanden befragte Mütter außerdem einen Mangel an praktischer und emotionaler Unterstützung, ein Fehlen an Individualität und einen Mangel an Kommunikation, insbesondere an Aufklärung zum Geburtsverlauf und den geburtshilflichen Maßnahmen. Diese Kritik kam auch bei als ausreichend bewerteter Verfügbarkeit der Hebamme vor (n=4).

Zusammenhänge zwischen der Hebammenpräsenz, der Bewertung des Betreuungsumfangs und den qualitativen Betreuungsaspekten

Die Zusammenhänge zwischen der Bewertung des Betreuungsumfangs und der Hebammenpräsenz sind mit einer Kreuztabelle der abhängigen und den weiteren in der logistischen Regression signifikanten unabhängigen Variablen in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt. Je weniger die Hebamme anwesend war, je weniger sie auf Bedürfnisse einging, je weniger kompetent die Hebammenbetreuung empfunden wurde und je eher die Geburt als kompliziert wahrgenommen wurde, umso eher wurde der Betreuungsumfang als zu gering bewertet.

Qualitative Betreuungskriterien wurden umso seltener positiv bewertet, je weniger die Hebamme anwesend war. Beispielsweise gaben 24% (n=45) der befragten Mütter, bei denen die Hebamme weniger als 50% der Zeit anwesend war an, dass die Hebamme nicht auf ihre Bedürfnisse eingegangen war im Vergleich zu 2% (n=4) der befragten Mütter mit durchgehender bzw. überwiegender Hebammenpräsenz.

Die Angabe von Komplikationen während der Geburt war in der Stichprobe mit einer geringeren Hebammenpräsenz assoziiert. Der Anteil der befragten Mütter, der überwiegend nicht betreut wurde, betrug bei jenen mit Geburtskomplikationen 40% (n=78) und bei jenen ohne Komplikationen 29% (n=107). Durchgehend oder überwiegend betreut wurden dagegen 35% (n=67) der befragten Mütter mit Komplikationen und 45% (n=164) ohne Komplikationen.

Weder die Parität noch die Aufenthaltsdauer im Kreißsaal bis zur Geburt waren für die Bewertung des Betreuungsumfangs signifikante Einflussfaktoren, obwohl mit zunehmender Aufenthaltszeit die Betreuung eher als zu gering empfunden wurde. Gleichzeitig nahm jedoch die Hebammenpräsenz ab. Bei kurzer Aufenthaltszeit von bis zu drei Stunden waren 19% (n=45 von 242) der Frauen überwiegend alleine bzw. nur mit ihrer Begleitperson. Bei einer Aufenthaltsdauer von 5-10 Stunden gaben 80% (n=56 von 70) an, überwiegend ohne Hebamme gewesen zu sein.


Diskussion

Alle Daten dieser Studie wurden durch die Befragung von Müttern erhoben.

Hebammenpräsenz bei der Gebärenden

Die Hebammenpräsenz in der Regelversorgung von Berliner Krankenhäusern lag bei 55% der befragten Mütter dieser Untersuchung bei 50% der Aufenthaltszeit im Kreißsaal während der Geburt. Dieses Ergebnis liegt weit unter der in der Studie von Ayerle et al. [3] identifizierten Hebammenpräsenz von rund 60% bei mehr als 75% der Geburtsdauer. Auch in der Studie von Knape et al. [12] war die Hebammenpräsenz mit 46% im Mittel höher.

Eine mögliche Erklärung der Unterschiede wäre, dass die Daten in der Studie von Ayerle et al. 2005 in niedersächsischen Geburtskliniken und in der Studie von Knape et al. zwischen 2007 und 2009 im Rahmen der Einführung von hebammengeleiteter Geburtshilfe in vier Kliniken in Hamburg, Bremerhaven und Bad Cannstatt erhoben wurden. Regionale Unterschiede können durch eine unterschiedliche Auslastung geburtshilflicher Abteilungen bedingt sein, z. B. aufgrund unterschiedlicher Geburtenraten oder der Entfernung zur nächstgelegenen geburtshilflichen Abteilung. Eine höhere Auslastung geht i. d. R. mit einer höheren Anzahl von Geburten pro Hebamme und damit einer vermutlich geringeren Hebammenpräsenz einher. Auch das Setting könnte die Hebammenpräsenz beeinflusst haben. So könnte die Hebammenpräsenz im Hebammenkreißsaal z. B. aufgrund des besonders hoch bemessenen Wertes der Hebammenbetreuung durch die Gebärende oder auch die Hebamme höher sein, als im Setting eines ärztlich geleiteten Kreißsaals. Die deutlich geringere Hebammenpräsenz in der Berliner Mütterbefragung könnte aber auch insbesondere durch den Geburtenzuwachs der letzten Jahre und den zunehmenden Mangel an geburtshilflich tätigen Hebammen (z. B. durch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen) [25] bedingt sein. Auch diese beiden Faktoren haben eine höhere Zahl an Geburten pro Hebamme zur Folge.

Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Erfassung der Hebammenpräsenz und der unterschiedlichen Stichproben eingeschränkt. In den beiden zum Vergleich herangezogenen Studien dokumentierten die Hebammen ihre Präsenz während der Geburt und die eingeschlossenen Gebärenden wiesen keine bzw. nur geringe perinatale Risiken auf. Bekannte perinatale Risiken (z. B. Hypertonie) können einen erhöhten Überwachungsbedarf während der Geburt erforderlich machen, wodurch die Hebammenpräsenz erhöht sein könnte. In der Berliner Mütterbefragung erfolgte die Erfassung der Hebammenpräsenz retrospektiv durch eine Einschätzung der befragten Mütter. Das Vorliegen von perinatalen Risiken war kein Ausschlusskriterium.

Qualitative Betreuungsaspekte

Die Angaben zu den qualitativen Betreuungsaspekten fielen deutlich überwiegend positiv aus. Zu 77% nahmen die Mütter die Hebamme als (überwiegend) kompetent wahr, 69% gaben an, dass die Hebamme sie (überwiegend) in Entscheidungen einbezog und 74%, dass die Hebamme auf ihre Bedürfnisse einging.

Bewertung des Betreuungsumfangs

Ein weiteres Ergebnis dieser Analyse ist, dass die befragten Mütter den Betreuungsumfang durch Hebammen während der Geburt überwiegend als angemessen, zu 41% aber als zu gering bewerteten. Eine Onlinebefragung zur Hebammenversorgung in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2016 kam zu vergleichbaren Ergebnissen [6]. In der Befragung gaben etwas mehr als die Hälfte der befragten Mütter an, dass sie sich mehr Betreuung unter der Geburt gewünscht hätten und nur sehr wenige Mütter mit weniger Betreuung zufrieden gewesen wären. In Baden-Württemberg gab es 2016 die höchste Geburtenzahl seit 1999. Diese stieg zwischen den Jahren 2010 und 2015 um 11% [14]. Die Zahlen sind vergleichbar mit den eingangs genannten für Berlin. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass ein großer Teil der Mütter in Zeiten mit hohem Geburtenaufkommen zu wenig Betreuung durch Hebammen während der Geburt erhalten.

Zusammenhänge zwischen der Hebammenpräsenz, der Bewertung des Betreuungsumfangs und den qualitativen Betreuungsaspekten

Die Ergebnisse der Regressionsanalyse zeigen, dass bei geringer Hebammenpräsenz, von 50% der Aufenthaltszeit im Kreißsaal oder weniger, die Bewertung des Betreuungsumfangs um ein Vielfaches schlechter war, während es keinen signifikanten Unterschied machte, ob die Hebamme durchgehend oder überwiegend bei der Gebärenden war. Demnach erscheint die wahrgenommene Hebammenpräsenz entscheidend für die wahrgenommene Betreuungsqualität zu sein, wobei mehr Hebammenpräsenz mit höherer Betreuungsqualität einhergeht.

Auch zwei der erfragten qualitativen Aspekte der Betreuung hatten in der vorliegenden Untersuchung einen signifikanten Effekt auf die Bewertung des Betreuungsumfangs. Ging die Hebamme (überwiegend) nicht auf die Bedürfnisse der befragten Mütter ein, bewerteten diese den Betreuungsumfang knapp viermal so oft als zu gering, im Vergleich zu den befragten Müttern, die angaben, dass die Hebamme (überwiegend) auf ihre Bedürfnisse einging. Fast ebenso stark war der Effekt auf die Bewertung des Betreuungsumfangs (OR 3,6), wenn die befragten Mütter die Betreuung durch die Hebamme als (überwiegend) nicht kompetent wahrnahmen im Vergleich zu den befragten Müttern mit (überwiegend) kompetenter Hebammenbetreuung.

Die vorliegende Untersuchung zeigt außerdem, dass die erfragten qualitativen Aspekte der Betreuung umso eher erfüllt waren, je höher die Hebammenpräsenz war. Auch Ross-Davie et al. [21], [22] fanden in ihrer Studie, dass Hebammen Gebärende umso weniger unterstützen, je mehr sie sich außerhalb des Raumes befinden und geben die kontinuierliche Hebammenpräsenz selbst als Kernelement dafür an, dass sich die Gebärende unterstützt fühlt.

In der Studie von Knape et al. [12] erhielten 87% der Frauen unterstützende Maßnahmen durch die Hebamme (z. B. Massage). Auf welche Art eine Hebamme unterstützt hängt entscheidend von ihrem Selbstverständnis und auch der vorherrschenden Betreuungskultur ab [13]. Vermutlich waren die unterstützenden Maßnahmen für die hohe Zufriedenheit mit der Hebammenpräsenz von über 80% mitverantwortlich.

Die Aufenthaltsdauer im Kreißsaal und die Parität hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Bewertung des Betreuungsumfangs. Dies ist vermutlich bedingt durch die höhere Hebammenpräsenz bei kürzerem Aufenthalt bzw. schnellerer Geburt [8]. Auch bei Ayerle et al. [3] bestand die Annahme, dass eine hohe Hebammenpräsenz mit schnellen oder bei Aufnahme bereits weit fortgeschrittenen Geburten in Zusammenhang stand. Quantitative und qualitative Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten darauf hin, dass Frauen mit längeren Geburtsverläufen, damit auch Erstgebärenden im Vergleich zu Mehrgebärenden, häufiger ein Betreuungsdefizit empfanden. Dies legt nahe, dass die Anwesenheit der Hebamme nicht nur zum Ende der Geburt hin von Bedeutung ist.

Zur Rolle von nicht professionellen Begleitpersonen brachte diese Studie unterschiedliche qualitative Ergebnisse hervor. International wird der Einfluss der kontinuierlichen Betreuung durch Laien positiv bewertet [9], es gibt jedoch keine Studie, die diese Unterstützung mit der professionellen Betreuung durch Hebammen in den deutschen Verhältnissen entsprechenden Settings vergleicht.

Hebammenpräsenz und Komplikationen während der Geburt

Es wird vermutet, dass Hebammenpräsenz und -unterstützung vom Geburtsverlauf abhängen und Hebammen auf risikobelastete oder pathologische Verläufe mit erhöhter Präsenz und Unterstützung reagieren, jedoch ist dies nicht belegt [12]. In der Studie von Ayerle et al. [3] änderte sich die Hebammenpräsenz bei Vorkommen medizinischer Interventionen (als Indikator für eine Abweichung vom physiologischen Verlauf) nicht im Vergleich zu keinem Vorkommen medizinischer Interventionen.

In der vorliegenden Untersuchung zeigte sich sogar, dass Hebammen bei Gebärenden, bei denen es während der Geburt zu Komplikationen kam, weniger präsent waren als bei jenen ohne Komplikationen. Befragte Mütter mit Komplikationen sub partu bewerteten den Betreuungsumfang auch signifikant häufiger als zu gering (OR 1,65) im Vergleich zu befragten Müttern ohne Komplikationen. Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer geringeren Hebammenpräsenz und dem Auftreten von Komplikationen kann aufgrund des Studiendesigns nicht belegt werden. Es ist auch möglich, dass das Auftreten von Komplikationen die Wahrnehmung der Hebammenpräsenz und die Bewertung der Betreuung durch die befragten Mütter beeinflusst hat (reverse causation). Ableiten lässt sich aus diesem Ergebnis jedoch, dass insbesondere der evtl. erhöhte Betreuungsbedarf beim Auftreten von Komplikationen nicht gedeckt war. Denkbar ist, dass aus Kapazitätsmangel trotz Komplikationen keine deutliche Erhöhung der Hebammenpräsenz stattfinden konnte oder dass die Hebammen die Abweichungen des physiologischen Verlaufs aufgrund geringer Präsenz nicht rechtzeitig erkannten.


Methodenkritik und Limitationen

Die Online-Befragung zeigte sich als geeignete Methode zur Befragung von Müttern mit ausreichenden Deutschkenntnissen [4]. Die Verwendung eines nicht validierten Fragebogens ist grundsätzlich als Limitation zu bewerten. Dieser erwies sich aufgrund der hohen Anzahl plausibler Antworten zwar als geeignet, es besteht jedoch Weiterentwicklungs- und Validierungsbedarf, v. a. bei der Operationalisierung der Hebammenpräsenz und der Erfassung der qualitativen Aspekte der Betreuung.

Des Weiteren ist die Stichprobe nur eingeschränkt repräsentativ und insbesondere durch einen überdurchschnittlich hohen Bildungsstatus gekennzeichnet [26]. Mütter mit Migrationshintergrund und Mehrgebärende waren für Berlin unterrepräsentiert [10], [27]. Der Anteil der Mütter mit vaginal-operativen Geburten lag leicht über und der Anteil mit Kaiserschnittgeburten leicht unter der Rate in Berlin [27]. Zusätzlich ist ein Self-Selection Bias durch eine stärkere Betroffenheit wahrscheinlich und aufgrund des Designs besteht die Gefahr eines Recall-Bias. Die Wahrnehmung eines Betreuungsdefizits könnte in dieser Untersuchung retrospektiv zu einer Unterschätzung der Hebammenpräsenz durch die Mütter geführt haben.

Es kann kritisiert werden, dass die retrospektiven und subjektiven Aussagen von Müttern keine objektiven Analysen zulassen. Der Betreuungsbedarf und die Bewertung sind auch von der Persönlichkeit und Haltung der Mutter abhängig. Jedoch waren beim Test des Assessmentinstruments bei Ross-Davie et al. [22] zur quantitativen und qualitativen Unterstützung durch Hebammen die Angaben der Mütter und beobachtenden Untersuchenden hoch korreliert. Letztendlich kann die Qualität von Betreuung ohne die Einschätzung der Betreuten nicht beurteilt werden [22]. Jedoch sind objektive Kriterien zur Erfassung der Betreuung essentiell, um Zusammenhang und Unterschiede zwischen Betreuung und Betreuungserleben methodisch korrekt zu untersuchen. Grundsätzlicher Nachteil retrospektiver Querschnittsdesigns ist, dass aus den Ergebnissen keine Kausalität abgeleitet werden kann.

Ein Nachteil der Befragungsmethode ist außerdem, dass relevante Befunde für den Geburtsverlauf, wie perinatale Risiken, nicht valide messbar sind, wie in einer professionellen Dokumentation. Diese könnten Einfluss sowohl auf die mütterliche als auch die Hebammenperspektive nehmen und stehen u. U. in Zusammenhang mit dem Geburtsverlauf.

Bei der Einordung der Ergebnisse der logistischen Regression ist zu bedenken, dass die subjektive Erfassung sowohl der unabhängigen als auch der abhängigen Variablen durch die gleiche Person Korrelationen der Variablen untereinander wahrscheinlich macht. Die Höhe der Effektmaße und die Signifikanz der Ergebnisse können dadurch beeinflusst sein.


Fazit

Die Ergebnisse dieser Befragung legen nahe, dass die Hebammenpräsenz in der Berliner Regelversorgung derzeit als zu gering zu bewerten ist. Aus Sicht der Mütter besteht ein erhebliches quantitatives und qualitatives Betreuungsdefizit, das in Zusammenhang mit dieser geringen Hebammenpräsenz steht. Besonders benachteiligt scheinen Erstgebärende sowie Frauen mit langen oder komplizierten Geburten. Unsere Daten zeigen außerdem, dass die wahrgenommene Anwesenheit einer Hebamme ein wesentliches Merkmal für die Zufriedenheit der Mütter mit der Betreuung während der Geburt ist.

Aufgrund des Mangels an Studien im deutschen Versorgungskontext besteht weiterer Forschungsbedarf zur tatsächlichen Hebammenpräsenz in der Regelversorgung und deren Auswirkungen, sowohl auf die Betreuung selbst (z. B. Zahl und Art der Interventionen) als auch auf das Outcome von Müttern und Kindern. Für eine umfassende Untersuchung ist sowohl die objektive Messung der Hebammenpräsenz und die Erfassung perinataler Risiken mittels Dokumentation, als auch eine Befragung von Müttern notwendig. Bei Mütterbefragung zur Zufriedenheit mit der Hebammenbetreuung sollten Zeit, Inhalt und Art der Betreuung berücksichtig werden.


Politische Implikationen

In Berlin wurde ein Runder Tisch Geburtshilfe aufgrund des Hebammenmangels eingerichtet. An diesem Runden Tisch sind neben Vertreterinnen und Vertretern der Politik, der Krankenkassen, der Ärzteschaft und der Geburtskliniken sowohl in Berlin geburtshilflich tätige Hebammen als auch der Berliner Hebammenverband e. V. vertreten. Der Runde Tisch hat zum 1. Februar 2018 ein Maßnahmenpaket beschlossen, das u. a. die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Hebammen, auch durch Erhöhung des Personaleinsatzes in Kliniken, zum Ziel hat. Des Weiteren wurden die Ausbildungskapazitäten erhöht und die Akademisierung des Hebammenberufs soll aktiv gestaltet werden [28]. Eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten ohne ausreichende Anzahl examinierter Hebammen in den Kreißsälen ist u. a. aufgrund der Gefahr, dass Auszubildende bzw. Studierende anstelle von examinierten Hebammen eingesetzt werden sowohl für die Qualität der Ausbildung als auch für die Qualität der Geburtshilfe kritisch zu sehen. Ein erster Evaluationsbericht über die Umsetzung und die Auswirkungen des Maßnahmenpaketes wird derzeit erstellt7.


Anmerkungen

1 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel nur die weibliche Form Hebamme verwendet, es sind jedoch immer auch Entbindungspfleger gemeint.

2 Die Begleit-Beleggeburt ist definiert durch die Betreuung durch eine Begleit-Beleghebamme. Diese Hebamme erbringt ihre Leistung nicht in einem Dienst- oder Schichtsystem oder im Bereitschaftsdienst eines Krankenhauses, sondern begleitet die ihr bekannte Schwangere zur geplanten Geburt ins Krankenhaus.

3 Der Begriff der Regelversorgung wurde im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt (§ 75 SGB V). Eine allgemeingültige Definition der Regelversorgung für die weiteren Leistungsbereiche besteht nicht. In der Regel steht dieser Begriff für die kollektivvertragliche Versorgung und demnach für die Leistungen, die allen gesetzlich Versicherten, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Krankenkasse, zustehen. Nicht zur Regelversorgung gehören dieser Definition nach beispielsweise Satzungsleistungen, wie ein Zuschuss zur Hebammenrufbereitschaftspauschale.

4 Der Fragebogen zur Berliner Mütterbefragung 2016/2017 kann im Anhang des Ergebnisberichts zur Befragung eingesehen werden.

5 Zur Definition siehe Begleit-Beleggeburt.

6 Der Begriff Betreuung wurde auf Anregungen im Pretest in der Formulierung des Items durch Begleitung ersetzt, um den begleitenden Charakter der Hebammenbetreuung zu betonen, der sich an den Bedürfnissen der Gebärenden orientiert. Begleitung steht in dieser Aussage synonym für Betreuung.

7 Antwort der Pressestelle der Senatsverwaltung für Gesundheit. Pflege und Gleichstellung vom 15.02.2019 auf eine Anfrage zum Stand der Ergebnisse des Maßnahmenpaketes.


Interessenkonflikte

Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Förderung

Die vorliegende Studie wurde durch Mittel zur Stärkung der Forschungsorientierung und zur Durchführung studentischer Forschungsprojekte der Ludwig-Maximilians-Universität München gefördert.


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