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GMS Onkologische Rehabilitation und Sozialmedizin

Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e. V. (DGHO)

ISSN 2194-2919

Leitlinienadhärenz in der Rehabilitation von Patientinnen mit Mammakarzinom: Auswirkungen auf die Lebensqualität

Adherence to rehabilitation-specific guidelines in patients with breast cancer: effects on quality of life

Originalarbeit

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  • corresponding author Ulf Seifart - Klinik Sonnenblick, Marburg, Deutschland
  • F. J. Ruß - Klinik für Gynäkologie, gynäkologische Endokrinologie und Onkologie, Brustzentrum Regio, Universitätsklinikum Giessen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Deutschland
  • Jürgen Barth - Rehabilitations-Klinik Nordfriesland, St. Peter-Ording, Deutschland
  • Ute Albert - Klinik für Gynäkologie, gynäkologische Endokrinologie und Onkologie, Brustzentrum Regio, Universitätsklinikum Giessen und Marburg GmbH, Standort Marburg, Deutschland

GMS Onkol Rehabil Sozialmed 2015;4:Doc01

doi: 10.3205/ors000021, urn:nbn:de:0183-ors0000218

Veröffentlicht: 27. Januar 2015

© 2015 Seifart et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Einleitung: 2010 wurden für die Rehabilitation von Brustkrebspatientinnen bundesweit Therapiestandards (RTS) definiert. Eine Evaluation in Hinblick auf die Lebensqualität der Patientinnen erfolgte bis dato nicht. Die vorliegende Untersuchung ist die erste, die diesen Effekt untersucht.

Material und Methoden: Innerhalb von 10 Monaten konnten 256 Patientinnen rekrutiert werden. Die Evaluation der Lebensqualität erfolgte mittels Fragebogen (EORTC QLQ-C30 und Brustkrebszusatzmodul BR23) zu Beginn (T1) und am Ende der Rehabilitation (T2).

Resultate: Die hier untersuchten Patientinnen zeigten eine signifikante Verbesserung der globalen Lebensqualität, der physischen (p=0,0001) und emotionalen Funktion (p=0,0001), der erfassten Müdigkeit (p=0,0001) und der gemessenen Brustsymptome (p=0,0001)

Schlussfolgerung: Die hier erhobenen Daten zeigen, dass eine RTS-konforme Rehabilitation, in der Lage ist, die globale Lebensqualität von Patientinnen mit Brustkrebs zu verbessern.

Schlüsselwörter: Lebensqualität, Rehabilitation, Therapiestandard, Therapiemodule, Brustkrebs

Abstract

Introduction: 2010 standards of therapy (RTS) have been defined with the aim to optimize the level of treatment for the rehabilitation of breast cancer patients. An evaluation of an RTS compliant rehabilitation in regard to the quality of life of patients is not yet available. The present study is the first to examine this effect.

Material and methods: Over a period of 10 months 256 patients were recruited. Evaluation of quality of life was done by questionnaire (EORTC QLQ-C30 and the breast cancer plug BR23) at the beginning (T1) and at the end of rehabilitation (T2).

Results: Patients showed a significant improvement in global quality of life, physical (p=0.0001) and emotional function (p=0.0001), the sensed fatigue (p=0.0001) and the measured breast symptoms (p=0.0001).

Conclusion: A rehabilitation that meets the requirements of the RTS is able to improve the global quality of life of breast cancer patients.

Keywords: quality of life, rehabilitation, standards of therapy, breast cancer


Einleitung

Das Mammakarzinom stellt mit einer Inzidenz von ca. 72.000 Neuerkrankungen pro Jahr weiterhin die häufigste Neoplasie der Frau dar [1]. Aufgrund der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten überleben ca. 86% der an Brustkrebs erkrankten Frauen 5 Jahre nach Stellung der Erstdiagnose [1], [2]. Somit steigt die Bedeutung der sogenannten Langzeittoxitäten (z.B. Lymphödem) und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patientinnen.

Diese Langzeittoxizitäten zu detektieren und wenn möglich zu behandeln und zu verbessern ist das Ziel der medizinischen Rehabilitation [3], [4], [5].

Speziell für die Rehabilitation von Patientinnen mit Brustkrebs wurden evidenzbasierte Therapiemodule (ETM) geschaffen (s. Tabelle 1 [Tab. 1]). Für jedes dieser Module wurde ein Mindestanteil der zu behandelnden Rehabilitanden festgelegt. Ebenso wurden die Mindesthäufigkeit bzw. -dauer der Therapien determiniert. Die Summe dieser Module wird als „Rehabilitationsstandard Brustkrebs“ [6] im Sinne einer Therapieempfehlung subsumiert. Die Erfüllung dieses Therapiestandards wird im nationalen Qualitätssicherungssystem der Deutschen Rentenversicherung Bund als Qualitätsmerkmal erfasst und geht in das nationale Benchmarking der Rehabilitationskliniken ein.

Wenngleich die Therapiemodule als evidenzbasiert bezeichnet wurden, so ist die vorhandene Evidenz vieler Maßnahmen nicht oder nur mit einem geringen Evidenzlevel belegt [7].

Aus diesem Grunde erschien es sinnvoll den Effekt Rehabilitation, der den selbstgesteckten Ansprüchen dieses Programmes entspricht, zu evaluieren. Die vorliegende Untersuchung ist die erste, die die Auswirkungen einer „Therapiestandard“ getreuen Behandlung in der Rehabilitation auf die Lebensqualität der Patientinnen mit einem Mammakarzinom untersucht.


Material und Methoden

Über einen Zeitraum von 10 Monaten konnten 274 Patientinnen gemäß u.g. Ein- und Ausschlusskriterien in die Studie aufgenommen werden. Zu den festgesetzten Erhebungszeitpunkte (T1= Beginn der Rehabilitation, T2= Ende der Rehabilitation) wurde bei allen Patientinnen folgende Messungen durchgeführt:

  • Anamnese
  • Klinische Untersuchung: Diese umfasste neben einer gründlichen internistischen Untersuchung eine Funktionsprüfung der oberen Extremität und eine Beurteilung und Bewertung, ob bzw. in welchem Stadium ein Lymphödem nach AWMF vorliegt.
  • Fragebogen zur Lebensqualität (EORTC QLQ-C30 sowie das Brustkrebszusatzmodul BR23)

Die tumorspezifischen Daten (Erstdiagnose mit Tumorstadium, Therapie etc.) wurden anhand der vorliegende Krankenakten dokumentiert.

Aus den evidenzbasierten Therapiemodulen wurden folgende Leistungen dokumentiert:

ETM 01 Bewegungstherapie:

  • Physiotherapie (einzeln) (B016)
  • Physiotherapie (Gruppe) (B036)

ETM 02 Lymphtherapie:

  • Manuelle Lymphdrainage (K322)
  • Bandagierung (K321)
  • Komplexe phys. Entstauungstherapie (K321)

Als weitere Therapien wurden in diesem Modul Marnitzmassage (K230) sowie Strumpfversorgung (H180) erfasst.

In dieser Arbeit wurden die Patientinnenkollektive zweier Rehabilitationskliniken analysiert. Hierzu wurden jeweils die Bezeichnungen „Gruppe 1“ und „Gruppe 2“ benutzt. In Gruppe 1 befanden sich 114 Patientinnen, in Gruppe 2 160 Patientinnen.

Zur statistischen Auswertung der Daten wurde das Statistikprogramm SPSS Version 17.0 eingesetzt.

Das Studienprotokoll wurde durch die Ethikkommission der Universitätsklinik Marburg positiv bewertet.

Ein- und Ausschlusskriterien

Als Einschlusskriterien wurden festgelegt:

  • Stationäre Rehabilitation
  • Unilaterales Mammakarzinom
  • Nach Aufklärung und Information schriftliches Einverständnis zur Teilnahme an der Studie

Ausschlusskriterien stellten folgende dar:

  • Bilaterales Mammakarzinom
  • Minderjährige Patientinnen
  • Patientinnen, die im Bereich der Unterarme Hauterkrankungen und -veränderungen wie z.B. Narben, Entzündungen, Infektionen, Mycosis fungoides, Melanom, Basaliom, squamöses Zellkarzinom, Kaposi-Sarkom, Zyste, Hämangiom, aktinische Keratose, seborrhoeische Keratose, Psoriasis, Sklerodermie, lymphomatoide Papulosis, Miscellaneous, Morbus Bowen aufwiesen (s.a. [8])
  • Patientinnen, die an den Unterarmen mit Cortison behandelt werden
  • Schwer demente oder/und unter Psychose leidende Patientinnen

Ergebnisse

Von den primär 274 Patientinnen konnten aufgrund fehlender oder inkompletter Daten 256 ausgewertet werden (n= 18 missing data).

Das mediane Alter der Patientinnen lag bei 52 Jahren.

Ein Drittel der Patientinnen hatte ein Tumorstadium I nach UICC, ein weiteres Drittel ein Stadium II A. Die restlichen 30% verteilten sich auf die Stadien IIb–IV, wobei nur 1,1% der Patientinnen eine hämatogen metastasierte Erkrankung aufwiesen.

Knapp drei Viertel der Studienteilnehmerinnen (71,4%) erhielten eine brusterhaltende Operation. Bei den restlichen 28,6% der erkrankten Frauen wurde eine Ablatio Mammae durchgeführt.

Bei 71,7% der Probandinnen wurde das Tumorgebiet im Anschluss an die Operation bestrahlt. Eine adjuvante Chemotherapie erhielten 68,2% der Frauen, während 71,1% eine antihormonelle Therapie durchführten. 8,2% wurden mit einem Antikörper und 9,5% der Patientinnen mit einem Bisphosphonat behandelt. Aufgrund der multimodalen Therapieoptionen waren hier Mehrfachnennungen möglich.

Bei 88 der 256 Frauen (32,1%), wurde ein Lymphödem nach AWMF diagnostiziert. Von diesen wiesen 87,5% bzw. 77 Patientinnen ein Lymphödem im Stadium I nach AWMF [9] auf. Lediglich 11,4% (10 Patientinnen) zeigten ein Stadium II, und nur bei einer Patientin (1,1%) wurde ein Stadium III diagnostiziert. Die Verteilung zwischen den beiden Rehabilitationskollektiven weist für die Häufigkeit eines Lymphödems einen signifikanten Unterschied (p=0,001) auf (s. Abbildung 1 [Abb. 1]).

Die globale Lebensqualität war zu Beginn der Rehabilitation mit einem Mittelwert von 57,44 im EORTC C 30 in beiden Gruppen vergleichbar (s. Abbildung 2 [Abb. 2]).

Selbiges gilt für die physische Funktion (Mittelwert: 92,2), die emotionale Funktion (Mittelwert: 54,73), Müdigkeit (Mittelwert: 50,21) und die erfragten Brustsymptome (Mittelwert: 31,54).

Die durchgeführten Therapien in der Rehabilitation zeigt Abbildung 3 [Abb. 3]. Zwischen den beiden Gruppen zeigt sich ein statistisch signifikanter Unterschied für den Bereich der manuellen Lymphdrainage (MDL (p=0,005), Einzelphysiotherapie (p=0,0001) und der manuellen Therapie nach Marnitz (p=0,0001). Für alle anderen Therapien ergaben sich keine Unterschiede in Häufigkeit und Dauer der Therapien.

Bezogen auf die Vorgaben der evidenzbasierten Therapiemodule (ETM) zeigt sich für die Physiotherapie, die für 75% aller Patienten gefordert wird, eine Erfüllung von 92,5% (Gruppe 1) bzw. 96,9% (Gruppe 2), so dass die Anforderungen an diese Therapie als erfüllt angesehen werden kann. Gleiches gilt für den Bereich der MDL. Hier wird gefordert, dass 10% der Patienten eine MDL während der Rehabilitation erhalten. Dies wird mit 47,2% bzw. 30,2% in beiden Kliniken erbracht.

Die Veränderung der Lymphödemstadien zeigt Abbildung 4 [Abb. 4]. Bei insgesamt 22,7% (20 Patientinnen) konnte somit durch die durchgeführten Therapien eine Verbesserung um mindestens ein Lymphödem Stadium erreicht werden konnte. Dieser Unterschied ist zum Eingangsbefund signifikant (p=0,0001).

Ebenfalls signifikant ist die Verbesserung der globalen Lebensqualität zwischen T1 und T2 (Abbildung 5 [Abb. 5]). Hier zeigt sich bei 60% der Patientinnen eine Verbesserung, die im Durchschnitt bei 10,91 Punkten lag, erreicht werden konnte. Auch dieser Unterschied ist mit einem p=0,0001 signifikant. Gleiches gilt für die physische Funktion (Abbildung 6 [Abb. 6]) (p=0,0001), die emotionale Funktion (Abbildung 7 [Abb. 7]) (p=0,0001), die erfasste Müdigkeit (Abbildung 8 [Abb. 8]) (p=0,0001) und die gemessenen Brustsymptome (Abbildung 9 [Abb. 9]) (p=0,0001).


Diskussion

Die vorliegende Untersuchung ist die Erste, die den Effekt einer den Vorgaben der Therapiestandards der Deutschen Rentenversicherung Bund [6] entsprechenden Rehabilitation auf die Lebensqualität von Patientinnen mit einem Mammakarzinom untersucht.

Aus den hier vorliegenden Daten kann der Schluss gezogen werden, dass eine Rehabilitation, die die Vorgaben der Therapiestandards der Deutschen Rentenversicherung Bund (in den hier gemessenen ETMs) erfüllt, in der Lage ist die globale Lebensqualität von Patientinnen mit Brustkrebs zu verbessern.

Dies gilt auch für die anderen hier evaluierten Parameter wie Lymphödem, emotionale und physische Funktion, Müdigkeit und Brustsymptome.

Inwieweit eine Rehabilitation, die die hier dargestellten Therapievorgaben nicht umsetzt, diese Effekte nicht oder gleich gut erzielt, lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht beantworten, da hierzu eine entsprechende Kontrollgruppe fehlt. Aufgrund der vorliegenden Literatur wie z.B. bei Hartmann et al. [10] ist anzunehmen, dass ein vergleichbarer Effekt auch durch eine qualitativ hochstehende Rehabilitation erreicht werden kann, die die Vorgaben des Therapiestandrads nicht vollständig erfüllt. Hier wäre eine vergleichende Studie wünschenswert.

Aufgrund der Erfahrungen der Autoren erscheint ein Bias durch eine Patientenselektion eher unwahrscheinlich. Das Patientenkollektiv entspricht einem „typischen“ Rehabilitationskollektiv dieser Indikation entsprechend. Das mediane Alter ist ca. 10 Jahre jünger als der Bundesdurchschnitt [1], [2]. Dies ist mit dem Umstand zu erklären, dass „ältere“ Patienten weniger oft eine Rehabilitation beantragen. Auch die Häufung lokal begrenzter Tumorstadien gegenüber fortgeschrittenen Erkrankungen entspricht dem „Alltag“ einer Rehabilitationsklinik. Auch hier wird postuliert, dass Patientinnen mit fortgeschrittenen Stadien bzw. Patientinnen in der metastasierten Situation weniger häufig eine Rehabilitation beantragen. Verlässliche Daten zu beiden Punkten sind den Autoren nicht bekannt.

Bedingt durch die Dominanz lokal beschränkter Tumore ergibt sich, der S3 Leitlinie Mammakarzinom [11] entsprechend, eine überproportional häufige brusterhaltende Therapie (BET) und daraus resultierende adjuvante Therapie. Auffällig ist allerdings, dass in der Gruppe 1 trotz 69,3% BET nur 48,2% der Patienten adjuvant bestrahlt wurden. Dies steht im Gegensatz zu den Therapieempfehlungen der Fachgesellschaften [11]. Die Ursachen sind aus den uns vorliegenden Daten nicht zu eruieren. Ebenfalls ungewöhnlich ist der Umstand, dass in dieser Gruppe, die weniger häufig bestrahlt wurde, mehr Lymphödeme auftraten. Auch dieses Phänomen, das den Daten der Literatur wiederspricht, kann mit den uns zur Verfügung stehenden Analysen nicht erklärt werden.

Aufgrund des niedrigeren Altersdurchschnitt der Population und den Tumorstadien erklärt sich die Frequenz der adjuvanten Chemotherapie, der antihormonellen, der Antikörper- und Bisphosphonattherapie.

In der Analyse der Effekte der einzelnen Therapien auf die oben dargestellten Effekte lässt sich folgendes konstatieren:

Ziel der Arbeit war es, den Effekt einer den Therapiestandard entsprechenden Rehabilitation auf die Lebensqualität zu untersuchen. Wie oben dargestellt konnte dies im Gesamtkollektiv erreicht werden. Um mögliche einzelne Therapien zu detektieren, die diesen Effekt erreichen, wurden die oben aufgeführten Therapien als binäre unabhängige Variable in das Regressionsmodell aufgenommen. Für keine der hier untersuchten Therapien konnte ein statistisch belastbarer Effekt nachgewiesen werden. Dies Ergebnis stützt den multimodalen Ansatz der Rehabilitation und die Auffassung, dass eine erfolgreiche Rehabilitation nur im multiprofessionellen Team erfolgreich sein kann.

Betrachtet man demgegenüber die Parameter physische Funktion, emotionale Funktion, Müdigkeit und Brustsymptome finden sich sehr wohl statistisch nachweisbare Effekte einzelner Therapien.

So zeigte die manuelle Lymphdrainage (β=,208; p=,003) und Physiotherapie (einzeln) (β=,136; p=,046) einen signifikanten Einfluss auf die physische Funktion. Für den Parameter emotionale Funktion waren die Therapien MLD und Einzel-Physiotherapie signifikant (β=,140; p=0,048 bzw. β=,161; p=0,024) wirksam. Überraschend war, dass für das Symptom Müdigkeit lediglich die manuelle Lymphdrainage (β=,144; p=,042) signifikant bedeutsam war. Postulierend, dass die beklagte Müdigkeit der Patientinnen im Sinne eines Fatigue Syndroms zu deuten ist, wäre ein positiver Effekt der Krankengymnastik zu erwarten gewesen [12], [13]. Durch die Gesamtheit der Therapien in der Rehabilitation konnte aber eine signifikante Verbesserung der Müdigkeit erreicht werden, was in unseren Augen dahingehend zu interpretieren ist, dass andere Therapien, die in dieser Studie nicht erfasst wurden, wie z.B. die Sporttherapie, diesen Effekt erklären. Warum in dieser Studie die MLD die Müdigkeit der Patienten verbessert, lässt sich aus unseren Daten nicht erklären. Auch andere Studien [14], [15], [16] zeigen diesen Effekt nicht, bzw. haben dieses Item nicht gesondert analysiert. Die im BR23 des EORTC Q30 erfassten Brustsymptome konnten in der vorliegenden Untersuchung gebessert werden. Als einzige signifikante Therapiemaßnahme erwies sich die MLD mit p=0,035 bei einem β von 0,152. Diese Beobachtung ist am ehesten dadurch zu erklären, dass die erfassten Brustsymptome durch ein Lymphödem der Brust bzw. postoperative oder postradiogene Reizungen bedingt sind, die durch die aktuellen Operations- bzw. Strahlenkonzepte vermehrt auftreten.

Um den Effekt der manuellen Lymphdrainage auf die diagnostizierten Lymphödeme zu evaluieren, führten wir eine lineare Regressionsanalyse durch. Nach Schneider et al. [17] darf die Zahl der unabhängigen Variablen maximal einem Zwanzigstel der Fallzahl entsprechen. Aus diesem Grunde können höchstens vier unabhängige Variablen in das Modell aufgenommen werden, was eine gemeinsame Testung aller vorhandenen Variablen nicht möglich macht. Als unabhängige, binäre Variable wurde die manuelle Lymphdrainage gewählt. Eine Veränderung der Lymphödemstadien durch MDL lässt sich im statistischen Test nicht belegen (R2=,004; β=,063; df=1; p=,567). Diese Beobachtung entspricht der durchaus uneinheitlichen Datenlage zur Therapie des Lymphödems durch MLD. So konnten Andersen et al. [18] ebenfalls keinen positiven Effekt der MLD auf ein postoperatives Lymphödem bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom nachweisen. Demgegenüber beschreiben Williams et al. [14] und Johannsson et al. [15] einen positiven Effekt der manuellen Lymphdrainage. In dem hier dargestellten Kollektiv konnte aber durch die konsequente Anwendung des ETM 01 und 02 eine signifikante Verbesserung des Lymphödems erreicht werden. Dies ist unserer Auffassung nach mit dem Effekt der Bewegungstherapie [16] in Kombination mit dem multimodalen Therapieansatz zu erklären. Diese Auffassung wird durch die vorliegenden Studien [16] gestützt. Fernerhin ist zu diskutieren, inwieweit die geringe Ausprägung des Lymphödems in unserem Kollektiv diesen Effekt hervorgerufen hat. Möglicherweise setzt der messbare Effekt der MLD eher in den höheren Stadien eines Lymphödems ein. Vergleichende Studien zu dieser Thematik (MLD in unterschiedlichen Stadien des Lymphödems) existieren unserem Wissen nach nicht.

Die Schwäche der Studie liegt sicher darin, dass nicht alle Therapiemodule und somit nicht alle Therapien evaluiert werden konnten. Dies wäre sicher eine Aufgabe von nachfolgenden Projekten. Fernerhin erfasst die Untersuchung überwiegend Patientinnen der DRV Bund und somit eher Frauen mit körperlich leichteren Tätigkeiten. Inwieweit die beschriebenen Effekte auf Frauen mit schwereren körperlichen Berufen zu übertragen sind, bleibt dahin gestellt und sollte in weiteren Studien untersucht werden. Fernerhin konnten trotz der Erfassung einer größeren Studienpopulation nur 88 Lymphödem-Patientinnen rekrutiert werden. Diese wiesen zudem überwiegend ein Stadium I des Lymphödems nach AWMF auf, so dass in weiteren Studien die beschrieben Effekte an Patientinnen mit stärker ausgeprägten Lymphödemen zu überprüfen wären.


Anmerkungen

Interessenkonflikt

Es besteht kein finanzieller oder persönlicher Interessenskonflikt, der Einfluss auf die Unabhängigkeit der an der Studie beteiligten Personen haben könnte.

Danksagung

Die Autoren danken Komen Deutschland e.V. für die Kofinanzierung der Studie.


Literatur

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