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GMS Onkologische Rehabilitation und Sozialmedizin

Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie e. V. (DGHO)

ISSN 2194-2919

Verbesserung der Lebensqualität und des Rezidiv-freien Überlebens bei Tumorpatienten. Wie funktioniert Sport? Eine Hypothesengenerierung

Improving the quality of life and recurrence-free survival in cancer patients. How does sport work? Hypothesis development

Übersichtsarbeit Cancer Survivorship

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GMS Onkol Rehabil Sozialmed 2014;3:Doc08

doi: 10.3205/ors000016, urn:nbn:de:0183-ors0000161

Veröffentlicht: 4. Juni 2014

© 2014 Seifart.
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Zusammenfassung

Insgesamt ist festzustellen, dass die Ursache des positiven Effektes von Sport auf eine Tumorerkrankung derzeit nicht erklärbar ist. Möglicherweise ist die Ursache in molekularbiologischen Veränderungen (Reduktion von IGF-1), Aktivierung von BDNF oder durch eine kontinuierliche Gewichtsreduktion bzw. durch eine Wandel im Lebensstil (s. Ernährung) oder aber durch die verbesserte soziale Integration von Tumorpatienten zu erklären. Studien, die diese Hypothesen überprüfen, sind dringend zu fordern.

Abstract

Actually we have to consider, that activity or sport of tumor patients will have a positive effect on the prognosis of their illness, while the mechanism of action is poorly understood. In the literature few explanations are discussed in the moment. One of them is the role of insulin growth factor (IGF-1), the activation of brain derived neurotropic brain factor (BDNF) or weight reduction. Another explanation may be the better social reintegration of tumor patients due to their sport activity. All this factors are discussed in the article, while none of them is able to explain the effect of sport on the tumor prognosis at least.


Einleitung

In der Vergangenheit konnten mehrere Studien [1], [2], [3], [4] zeigen, dass regelmäßig körperliche Aktivität eine Verbesserung des tumorspezifischen, aber auch Gesamtüberlebens von 40–50% erreichen kann.

Trotz dieser beeindruckenden Zahlen werden diese Daten sehr kritisch diskutiert. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist der, dass der Wirkmechanismus von Sport auf den Verlauf einer Tumorerkrankung bis dato nicht erklärbar ist. Dieser Artikel soll zur Hypothesengenerierung dienen.


IGF-1 (Insulin Growth Factor)

Eine mögliche Erklärung für die Prognoseverbesserung der Tumorerkrankung durch Sport, könnte sich durch die Reduktion von IGF I (Insulin-Growth-Factor-I) und die Induktion von IGFBP-3 (Insulin-Growth-Factor-bindenden Protein-3) im Zusammenhang mit körperlichem Sport ergeben. In einer Arbeit von Slattery et al. [5] zeigt sich eine signifikante Interaktion zwischen körperlicher Aktivität, IGF-1-Genotyp und einem Koloncarzinom und zwischen IGFBP-3-Genotyp und einem rektalem Karzinom. Patienten, die körperlich äußerst aktiv waren und einen 192/192 IGF-1-Genotyp trugen, hatten ein signifikant geringes Risiko an einem Kolonkarcinom zu erkranken verglichen mit den anderen Genotypen. Umgedreht schien eine geringe körperliche Aktivität und ein hoher BMI in der Anwesenheit des AC oder AA IGFBP-3-Genotyp mit einem erhöhten Kolonkarzinomrisoko zu korrelieren.

Für Patienten mit einer Tumorerkrankung konnten Knols et al. [6] in einer Metaanalyse zeigen, dass Patienten von Sport im Hinblick auf körperliche Fitness, Lebensqualität und Fatigue profitierten. Als mögliche Erklärung diskutieren die Autoren ebenfalls eine Reduktion von IGF-1, da sich die oben beschriebenen Unterschiede zwischen der Sportgruppe und der Kontrollgruppe fanden.

Diese Daten wurden von Irvin et al. [7] bestätigt. In dieser Studie wurden 75 postmenopausale Frauen mit einem maximal fortgeschrittenen Mammakarzinom in eine Sportgruppe bzw. Kontrollgruppe randomisiert. Auch hier zeigte sich eine deutliche Reduktion von IGF-1 zwischen der Sportgruppe und der Kontrollgruppe (Tabelle 1 [Tab. 1]).

IGF-1 aktiviert in Tumor-, aber auch in gesunden Zellen, bei Bindung an den gleichnamigen Rezeptor, eine Enzymkaskade über RAS zu ERK1 bzw. ERK2 die zur Proteinsynthese bzw. zum Zellwachstum führt.

Die Überlegung, dass die Unterbrechung dieses Pathways die Proliferation von Tumorzellen reduziert, wurde auch bereits medikamentös genutzt. So wurde in einer Phase-II-Studie Ganitumab, ein monoklonaler Antikörper gegen den IGF-1-Rezeptor an Patienten mit fortgeschrittenen Weichteilsarkomen geprüft. Hier zeigte sich ein deutlicher therapeutischer Effekt [8].


Reduktion von Körperfett

Ein weiterer Erklärungsansatz könnte die Reduktion von Körperfett sein.

Pal et al. [9] beschreiben in ihrer Publikation eine gemeinsame Ursache zwischen Adipositas und Tumorentstehung durch die Mutation von PTEN.

Die Hypothese wird gestützt durch verschiedene Studien [10], [11], die zeigen konnten, dass Übergewicht ein Risikofaktor für die Entstehung von Krebserkrankungen sein kann.

Darüber hinaus stellen Fettzellen möglicherweise eine Energiequelle für Tumorzellen dar. In experimentellen Untersuchungen [12], [13] konnte gezeigt werden, dass Tumorzellen möglicherweise aus den sie umgebenden Fettzellen Energieträger in Form von Fettsäuren und Ketonen beziehen. Diese Energieträger werden im Sinne eines reversen Warburg-Effektes sowohl für die Energiegewinnung der Tumorzelle, aber auch für den Aufbau von Zellmembranen genutzt, so dass hier möglicherweise eine Assoziation zwischen den die Tumorzellen umliegenden Fettzellen und den proliferierenden Tumorzellen besteht. Aus diesem Grunde liegt der Schluss nahe, dass, wenn durch regelmäßig sportliche Aktivität Fettzellen bzw. Fettsäuren reduziert werden, Tumorzellen weniger effektiv auf Energielieferanten zurück greifen können und hierüber in ihrer Proliferation eingeschränkt werden.


Ernährung und Sport

Neben den rein molekularbiologischen Erklärungen des Effektes von Sport sollte aber bei der ätiologischen Diskussion des oben beschriebenen Effektes nicht vergessen werden, dass die erhebliche Verbesserung der Prognose der Tumorerkrankung nicht allein nur durch Sport, sondern in der Regel auch durch eine verbesserte Ernährung zustande kam. Insbesondere in der Studie von Pierce et al. [2] konnte der Effekt von Sport insbesondere bei Patientinnen nachgewiesen werden, die sich gesund („5 am Tag“) ernährten.

Diese Untersuchungen werden bestätigt von der Gruppe um Meyerhardt et al. [14], die zeigen konnten, dass für Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen kolorektalen Karzinom das Rezidiv-Risiko bei einer sogenannten Western-Diät um das 3½-fach anstieg gegenüber Patienten, die sich gesund ernährten.


Soziale Funktion von Sport

Möglicherweise liegt der positive Effekt von Sport aber auch in der sozialen Funktion von regelmäßigen sportlichen Aktivitäten. Sport spielt eine der wichtigsten sozialen integrativen Faktoren unserer Gesellschaften dar, umgedreht ist auch bekannt, dass Patienten, die sozial gut integriert sind, eine deutliche reduzierte Tumormortalität aufweisen [15].

Diese Beobachtungen werden gestützt durch die Beobachtung des „Hispanic Paradox“. Patel et al. [16] konnten zeigen, dass bei amerikanischen NSCLC-Patienten mit hispanischen Migrationshintergrund (Ersteinwanderer), die Erkrankung zwar in einem höheren Stadium diagnostiziert wird, die Patienten aber dennoch ein um 15% besseres Überleben bieten als Amerikaner die in den USA geboren sind. Dieser Effekt verliert sich in der Folgegeneration. Die Autoren erklären diesen Effekt mit der besseren sozialen Integration der Patienten [16].

Einen möglichen molekularbiologischen Erklärungsansatz bieten tierexperimentelle Untersuchungen von Cao et al. [17]. Die Arbeitsgruppe konnte eine direkte Beziehung zwischen sozialer Stimulation und Expression von BDNF (brain derived neurotropic factor) zeigen. Diese Expression wiederum war mit einem signifikant kleineren Tumorwachstum bei Mäusen assoziiert.


Anmerkungen

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.

Zusammenhang

Der Artikel ist die Zusammenfassung eines Vortrags anlässlich der Veranstaltung der Wilsede-Schule „Cancer Survivorship – oder wie sieht das Leben nach der Krebserkrankung und deren Behandlung aus“, 26.09.–28.09.2013 (https://www.wilsede-schule-akademie.de/cancersurvivorship.html).


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