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GMS German Medical Science — an Interdisciplinary Journal

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1612-3174

Ergebnisse einer Qualitätsüberprüfung bei Nicht-Interventionellen Studien

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Karl Wörz - Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Klinische Forschung, Frankfurt/Main, Deutschland
  • Ferdinand Hundt - Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Medical & Scientific Affairs, Berlin, Deutschland

GMS Ger Med Sci 2011;9:Doc21

doi: 10.3205/000144, urn:nbn:de:0183-0001444

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/journals/gms/2011-9/000144.shtml

Eingereicht: 8. Juni 2011
Überarbeitet: 27. Juli 2011
Veröffentlicht: 15. August 2011

© 2011 Wörz et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Nicht-Interventionelle Studien (NIS) sind seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Arzneimittelforschung nach der Zulassung. Schon Mitte der 1990er Jahre gab es zumindest ansatzweise Forderungen nach einer kontrollierbaren Datenqualität.

Beginnend mit den Empfehlungen des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Durchführung von Anwendungsbeobachtungen aus dem Jahr 1998, spätestens aber mit den Leitlinien und Empfehlungen zur Sicherung von Guter Epidemiologischer Praxis (GEP), den VFA (Verband der forschenden Arzneimittelhersteller) – Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität und Transparenz von NIS sowie den gemeinsamen Empfehlungen von BfArM und PEI (Paul-Ehrlich-Institut) zur Durchführung von NIS sind die pharmazeutischen Unternehmen in der Pflicht, projektbegleitend qualitätssichernde bzw. qualitätsüberprüfende Maßnahmen durchzuführen. Nach einer Umfrage bei pharmazeutischen Unternehmen 2010 führen bislang ungefähr ein Drittel der befragten Unternehmen solche Qualitätsüberprüfungen vor Ort bei teilnehmenden Studienzentren durch.

Über die Ergebnisse solcher qualitätsüberprüfender Maßnahmen bei 4 abgeschlossenen Projekten wird berichtet. Die im jeweiligen Beobachtungsplan festgelegten Überprüfungsquoten, die Dauer der Maßnahmen vor Ort sowie abgeleitete Maßnahmen wie bspw. Anpassung der Formulare, Reduzierung der Gesprächsdauer und notwendige organisatorische Änderungen werden beschrieben. Es wird ein hoher Übereinstimmungsgrad bei den erhobenen Daten mit den Original-Krankenakten konstatiert, vergleichbar dem Übereinstimmungsgrad bei klinischen Prüfungen.


1 Einleitung

Bereits in den 1990er Jahren wurde auf die begrenzte Aussagekraft und die schwer kontrollierbare Datenqualität bei Anwendungsbeobachtungen (AWB) hingewiesen. Die wesentlichen Qualitätskriterien einer AWB waren seinerzeit erfüllt, wenn ein Beobachtungs- und Auswertungsplan vorgelegen haben und die Repräsentativität des Beobachtungskollektivs untersucht worden war [1].

Die Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für AWB vom Nov. 1998 enthalten bereits die für epidemiologische Studien geltenden üblichen Qualitätsanforderungen, um die Vollständigkeit und Validität der Daten zu sichern und Mängel frühzeitig erkennen und beseitigen zu können [2].

Geeignete Qualitätssicherungsmaßnahmen, insbesondere zur Verifizierung der erhobenen Daten, sind Bestandteil der im Januar 2007 veröffentlichten Empfehlungen des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Gemäß diesen VFA-Empfehlungen [3] sollen Systeme zur Qualitätssicherung zum Einsatz kommen, welche die Validität und Repräsentativität der erhobenen Daten sicherstellen.

Der im Jahr 2004 von Mitgliedsunternehmen des VFA gegründete Verein „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.“ (FSA) hat im August 2008 diese Empfehlungen in seinen Kodex integriert: bei der Planung, Gestaltung und Durchführung von AWB sind die durch das BfArM veröffentlichten Empfehlungen und Leitlinien zu beachten. Planung, Leitung, Auswertung und Qualitätssicherung der NIS müssen innerhalb des Unternehmens im Verantwortungsbereich des Leiters der medizinischen Abteilung erfolgen. Die hierfür notwendigen innerbetrieblichen Prozessabläufe, insbesondere geeignete Qualitätssicherungsmaßnahmen zur Verifizierung der erhobenen Daten sind in unternehmenseigenen Standard Operating Procedures (SOP) näher zu konkretisieren [4].

Die Qualitätsstandards müssen insbesondere bezüglich der Datenqualität von Seiten des Arztes gewährleistet sein mit dem Ziel, valide Daten zu erhalten, die eine qualifizierte Auswertung ermöglichen [5]. Hierin wird die konsequente Einhaltung von speziellen SOP gefordert und mittels Checklisten für Qualitätsmerkmale eine Verbesserung der Datenqualität und -validität angestrebt.

In den Leitlinien und Empfehlungen zur Sicherung von Guter Epidemiologischer Praxis (GEP) geht es um die Etablierung eines Qualitätsstandards für epidemiologische Studien, um hierbei valide Forschungsergebnisse zu erzielen: so muss eine interne Qualitätssicherung aller relevanten Instrumente und Verfahren unabdingbarer Bestandteil jeder epidemiologischen Studie sein [6]. Zielvorgabe für die Qualitätssicherung sind die im Studienplan bzw. Qualitätsüberprüfungskonzept festgelegten zeitlichen, organisatorischen und technischen Durchführungsregelungen.

Lt. den Empfehlungen des BfArM und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) vom Juli 2010 [7] soll der Beobachtungs- und Auswerteplan eine Beschreibung der Maßnahmen zur Qualitätssicherung in „Anlehnung“ an geeignete GCP-Standards enthalten; dies steht jedoch in einem gewissen Widerspruch zum europäischen Recht: hier ist festgelegt dass GCP nicht auf pharmakoepidemiologische Beobachtungsstudien, wie bspw. AWB anwendbar ist (EudraLex Vol. 9A, chapter 1.5 Company-Sponsored Post-Authorisation Safety Studies) [8].

In zwei Umfragen unter den Mitgliedsunternehmen des VFA wurde der Stand der Umsetzung der VFA-Empfehlungen in den Jahren 2008 und 2010 untersucht und die Ergebnisse miteinander verglichen [9], [10]. Unabhängige Qualitätssicherungsmaßnahmen bei NIS wie bspw. stichprobenartige, systematische Überprüfungsmaßnahmen durch firmeninterne, unabhängige Qualitätssicherungseinheiten dienen bei der Mehrzahl der befragten Unternehmen einer ordnungsgemäßen und regelkonformen Studiendurchführung.

Mittlerweile führt nahezu 1/3 der befragten Unternehmen solche Qualitätssicherungsmaßnahmen auch vor Ort durch, welche ebenfalls im Handbuch „Registries for Evaluating Patient Outcomes“ der AHRQ (Agency for Healthcare Research and Quality), eine der 11 operativen Einheiten des amerikanischen Gesundheitsministeriums und Mitglied des Guidelines International Network, empfohlen werden [11].

Qualitätssicherungsmaßnahmen können in der Planungs-, Durchführungs- oder in der Auswertungs-Phase zur Anwendung kommen. Der auch von Theobald et al. [12] beschriebene Abgleich der Quelldaten (Qualitätskontrolle mittels Source Data Verification, SDV) ist Gegenstand dieser Publikation, in welcher über 4 Projekte berichtet wird, bei denen qualitätsüberprüfende Maßnahmen bereits abschließend durchgeführt und ausgewertet worden sind.


2 Methoden

2.1 Qualitätsüberprüfungs-Konzept

Orientierend an den VFA-Empfehlungen 2007 sowie den BfArM/PEI-Empfehlungen in ihrer Entwurfsfassung vom 9.5.2007 [13] und unter Berücksichtigung einer internen Richtlinie „Management of Observational Studies“ wurde im Mai 2009 ein erstes Qualitätsüberprüfungskonzept entwickelt.

Hierzu wurden projektspezifisch Formulare entwickelt: Besuchsbericht (Zentrum), Patientenüberprüfungsprotokoll (vgl. Tabelle 1 [Tab. 1]) sowie ein Besuchsprotokoll. Im Patientenüberprüfungsprotokoll, welches auszugsweise am Bsp. einer AWB aus dem Bereich Diabetologie dargestellt ist, wird neben den gelisteten Variablen (zu den verschiedenen Dokumentationszeitpunkten) ausdrücklich nochmals nach dem Auftreten von schwerwiegend unerwünschten Ereignissen (SUE) gefragt, um ggf. eine Überprüfung vornehmen zu können, ob sich hier eine schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung (SUAW) „versteckt“: so kann im Bedarfsfall die Meldung einer evtl. übersehenen SUAW umgehend vorgenommen werden.

2.1.1 Durchführung über firmeninternes NIS-Management

Die teilnehmenden Praxen/Kliniken, bei denen die Qualitätsüberprüfung vorgenommen werden soll, werden nach Zufallsprinzip (in diesem Bsp. mittels Microsoft Excel Analysis Tool Pak, ab MS Excel Version ’97) ausgewählt.

Der verantwortliche Arzt muss selbst bei der Qualitätsüberprüfung nicht unbedingt anwesend sein; in vielen Fällen ist das Praxispersonal bzw. die Studienassistentin ebenfalls bestens mit der Dokumentation der Krankenakten vertraut. Vor Ort werden nach Vorlage der unterschriebenen Patienteneinverständniserklärung (PAT-EV) und ggf. auch der Patientenidentifikationsliste die zu überprüfenden Items mit den Eintragungen in der elektronischen bzw. konventionellen Krankenakte abgeglichen und die Ergebnisse in den jeweiligen Formularen festgehalten.

Bei einem Register bzw. epidemiologischen Projekt sind „Qualitätsappelle“ auch in der Durchführungsphase eines Projektes problemlos möglich; so können zentrumsspezifisch bei einem abgeschlossenen Projekt Dokumentationsfehler bereits angesprochen werden. Bei AWB ist es jedoch unabdingbar, das Prinzip der Nicht-Intervention zu beachten (lat. intervenire = dazwischentreten, sich einschalten). Ein Einschalten in den laufenden Prozess wäre eine Abkehr von dem Prinzip der reinen Beobachtung: das muss bei der AWB also vermieden werden. Bei der gem. §67 Abs. 6 AMG durchzuführenden AWB kann man aber schon in der Durchführungsphase alle teilnehmenden Ärzte bspw. in Form eines Newsletters über die bis dato erkannten Dokumentationsprobleme/Fehler informieren; dabei ergibt sich auch die Möglichkeit, die Teilnehmer über den aktuellen Stand der Studie in Kenntnis zu setzen (vgl. Anhang 1 [Anh. 1]: QoLiTaX-Newsletter Nr. 2). Eine solche Form der Rückmeldung bei einem laufenden Projekt zeigt dem Arzt das unbedingte Interesse des pharmazeutischen Unternehmers an der Qualität der von ihm dokumentierten Daten und ist ein weiterer Motivationsfaktor für ihn, die Dokumentation konsequent weiter zu führen. Zudem erzeugen gerade solche Informationen in vielen Fällen erst das richtige Verständnis für die Überprüfung der Qualität der dokumentierten Daten.

Beim abschließenden Gespräch ist es deshalb von Vorteil, wenn der verantwortliche Arzt mit einbezogen wird. Über die vor Ort durchgeführten Maßnahmen wird ein kurzes Protokoll geschrieben, worin ggf. Unstimmigkeiten und größere Auffälligkeiten festgehalten werden. Der Projektleiter wird hierüber in Kenntnis gesetzt.

Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich veröffentlichten BfArM/PEI-Empfehlungen wurde das Qualitätsüberprüfungskonzept weiter angepasst.

Die frühzeitige Einschaltung aller firmeninternen Mitarbeiter in den gesamten Kommunikationsprozess mit dem ausgewählten Zentrum hat sich hier als sehr hilfreich erwiesen.

2.1.2 „Outsourcing“ von Qualitätsüberprüfungs (QÜ)-Maßnahmen

Nach der Erprobung des internen Qualitätsüberprüfungs-Konzeptes an 3 Projekten aus den Indikationsgebieten Neurologie, Onkologie sowie Diabetologie wurde parallel hierzu ein Konzept entwickelt, um diese qualitätsüberprüfenden Maßnahmen bei Bedarf an eine Kontraktfirma (Contract Research Organisation, CRO) übergeben zu können, damit diese im Auftrag des pharmazeutischen Unternehmers diese Maßnahmen durchführt. Es ist empfehlenswert, im Vorfeld genau zu prüfen, inwiefern bei der in Frage kommenden CRO einzelne Aufgaben (wie gerade eine solche Qualitätsüberprüfung bei NIS) im Fall einer Auftragsvergabe evtl. auf Sub-Unternehmer verlagert werden sollen [14].

Die Vorgehensweise hierbei ist detailliert vorgegeben: so erhält die CRO eine Liste jener Zentren, welche in einem internen Prozess per Zufallsprinzip für eine Qualitätsüberprüfung ausgewählt worden sind. Weiterhin werden Vorgaben zur genauen Protokollierung gemacht, vergleichbar dem internen Qualitätsüberprüfungs-Konzept (vgl. 2.1). Die Überprüfung vor Ort wird durch einen qualifizierten Mitarbeiter der CRO durchgeführt; die Überprüfung dieser Mitarbeiter wiederum sollte stets Bestandteil eines Qualifizierungsaudits sein. Eine zusätzliche Schulung der mit der Durchführung dieser Maßnahmen betrauten CRO-Mitarbeiter ist anzuraten; so sollte sichergestellt sein, dass man als Auftraggeber qualitativ gute Arbeit erhält. Die von den Autoren Theis und Hundt [15] vorgeschlagene Bewertung einer CRO durch die Fachabteilungen des Auftraggebers während und nach der Durchführung eines Projektes eröffnet zudem die Möglichkeit, bei Folgeprojekten schon vorab entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

2.2 Qualitätsüberprüfungs-Projekte

2.2.1 Projektbeschreibung

Seit Entwicklung des unter Pkt. 2.1 beschriebenen Qualitätsüberprüfungskonzeptes wurden im Zeitraum von ca. 20 Monaten bei 4 NIS-Projekten qualitätsüberprüfende Maßnahmen durchgeführt:

1.
Einsatz eines Chemotherapeutikums bei Patienten mit hormonrefraktärem Prostatakarzinom (Qualitätssicherungsprojekt in der Onkologie an Kliniken bzw. großen Facharztpraxen)
Die Qualitätsüberprüfung bei diesem Projekt fand von November 2008 bis Juni 2009 statt. Für viele Ärzte waren derartige Maßnahmen bei NIS eine völlig neue Erfahrung; hierbei musste im Vorfeld sowie beim Termin vor Ort noch viel erklärt werden. Die in einigen Fällen anfänglich geäußerte Skepsis wich dann doch der Bereitschaft, die Qualitätsüberprüfung im Bereich NIS/AWB durchführen zu lassen. Zum Zeitpunkt der Überprüfung waren sämtliche Patientendokumentationen bereits beendet.
2.
Krankheitsregister „Arbeitsunfähigkeit bei Patienten mit Multipler Sklerose“ in neurologischen Facharztpraxen
Die beim ersten Projekt gewonnenen Erfahrungen hinsichtlich Besuchsvorbereitung, Dauer, Terminvereinbarung und Formulargestaltung führten bei diesem Register zu weiteren Verfahrensverbesserungen. Die Qualitätsüberprüfung fand hierbei im Februar 2010 in neurologischen Facharztpraxen statt, wobei auch hier die Dokumentation der Patienten bereits abgeschlossen war.
3.
Nicht-Interventionelle Studie zur Erfassung der Lebensqualität bei Patienten mit soliden Tumoren in Kliniken bzw. Facharzt-Praxen
Zum Zeitpunkt der Qualitätsüberprüfung in Kliniken bzw. Facharzt-Praxen befand sich das Projekt noch in der Durchführungsphase. Es wurden z.T. abgeschlossene, z.T. noch nicht abgeschlossene Dokumentationen mit den Daten in den Krankenakten abgeglichen. Im Hinblick auf die zu erwartenden ca. 2.500 Patientendokumentationen wurden in 3 Durchgängen zwischen Juli 2009 und Januar 2010 in 24 teilnehmenden Zentren insgesamt 110 Patientendokumentationen überprüft.
4.
NIS bei Patienten mit insulinbehandelten Patienten mit Typ II – Diabetes Mellitus bei niedergelassenen Internisten und Allgemeinmedizinern
Diese prospektive Beobachtungsstudie wurde von März 2009 bis März 2010 bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Internisten durchgeführt.
Die qualitätsüberprüfenden Maßnahmen fanden von Januar bis August 2010 statt: auch hier gab es anfangs Probleme, die im Beobachtungsplan vorgegebene Qualitätsüberprüfung in den Praxen auch tatsächlich durchführen zu können (vgl. Ergebnisse). Bei dieser NIS mussten weitere Teilnehmer mittels Zufallszuteilung in den Überprüfungsprozess einbezogen werden, um die im Beobachtungsplan festgelegte Überprüfungs-Quote von 3% zu erreichen.

3 Ergebnisse

3.1 Überprüfungsquoten

Umfragen des VFA zufolge wurden bislang zumeist bei 2–5% der teilnehmenden Ärzte qualitätsüberprüfende Maßnahmen bei NIS durchgeführt [9], [10], [12]. Die lt. Beobachtungsplan vorgegebenen Quoten wurden bei den 4 beschriebenen Projekten jeweils erreicht: beim 1. Projekt wurde die vorgegebene Quote von 10% der abgeschlossenen Patienten erzielt; beim 2. Projekt lag die Überprüfungsquote bei 7.4% (Vorgabe zwischen 5 und 10% der beteiligten Zentren). Beim 3. Projekt liegt aktuell die Quote bei 5.8%, sollte sich aber bis zum Abschluss des Projektes auf 5% der Patienten einpendeln, da bei diesem Projekt (Laufzeit >24 Monate) insgesamt ca. 2.500 Patientendokumentationen erwartet werden. Hierbei war die Möglichkeit gegeben, neben den bereits abgeschlossenen auch die sich gerade im Dokumentationsprozess befindlichen Patientendokumentationen an den Studienzentren zu überprüfen, um systematische Fehler bei der Dokumentation zu entdecken und ggf. darauf aufmerksam machen zu können. Die Rückmeldung an alle teilnehmenden Ärzte erfolgt bei dieser AWB in Form von Newslettern (vgl. Anhang 1 [Anh. 1]; mittlerweile liegt die 3. Ausgabe dieses Newsletters vor).

3.2 Projektübersicht und Stellgrößen

Siehe Tabelle 2 [Tab. 2].

3.3 Dauer der Maßnahmen

Die Auswertung der 4 in Tabelle 2 [Tab. 2] gelisteten Projekte hinsichtlich der Gesprächsdauer hat ergeben, dass eine Überprüfungsdauer von 30 Min. bis max. 1 Stunde (abhängig von der Anzahl zu überprüfender Patientendokumentationen) sich auch für die Organisation der Praxis in einem vertretbaren Rahmen bewegt. Von entscheidender Bedeutung für einen reibungslosen Ablauf ist die Terminvorbereitung sowohl beim pharmazeutischen Unternehmen mit der Vorbereitung/Ausfüllen der Formulare sowie in der Praxis bzw. Klinik.

Die Dauer der qualitätsüberprüfenden Maßnahme(n) vor Ort ist bei der Honorargestaltung zu berücksichtigen und muss im Vertrag z. B. entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) berücksichtigt werden [16].

3.4 Übereinstimmungsgrad

Je nach Projekt werden studienzielrelevante Parameter sowie sicherheitsrelevante Daten überprüft. Geprüft wird, ob der angefragte Wert übereinstimmt, nicht übereinstimmt bzw. nicht verfügbar ist. Die Auswertung ergab das in Tabelle 3 [Tab. 3] gezeigte Bild.

Der hohe, 95%ige Übereinstimmungsgrad bei Projekt 2 wurde in neurologischen Facharztpraxen erzielt; im Bereich der niedergelassenen Internisten und Allgemeinmediziner lag dieser bei durchschnittlich 85%.

Vergleicht man Projekt 3 (überwiegend durchgeführt im Klinikbereich) mit Projekt 4 (AWB im niedergelassenen Sektor), so ist bei dieser im onkologischen Bereich durchgeführten AWB ein deutliches „Mehr an Erfahrung im Umgang mit Studien“ vorhanden.

Der logistische Aufwand (Terminanfragen, Terminabsagen, Benachrichtigungen, Rückfragen etc.) für die anstehende Qualitätsüberprüfung bei der ausschließlich im niedergelassenen Bereich durchgeführten AWB ist – verglichen mit dem Projekt, welches überwiegend im Klinikbereich durchgeführt worden war – mehr als doppelt so hoch: im Mittel mussten hierbei 1,5 Ärzte kontaktiert werden, um hierbei eine Qualitätsüberprüfung zeitnah durchführen zu können; in der im niedergelassenen Bereich durchgeführten NIS mussten durchschnittlich 3,5 Ärzte angesprochen werden, um einen passenden Termin zu finden (vgl. Tabelle 4 [Tab. 4]).

Interessanterweise war – bezogen auf alle Projekte – eine papierbasierte Krankenakte in etwa 1/3 der Fälle begleitend zur elektronischen Krankenakte mitgeführt worden.

Bei allen vor Ort durchgeführten qualitätsüberprüfenden Maßnahmen war bzgl. des Auftretens von schwerwiegend unerwünschten Ereignissen (SUE) nachgefragt worden. Lediglich bei 2 (von insgesamt 302 überprüften Fällen) war vom behandelnden Arzt vergessen worden, die gem. Beobachtungsplan vorgegebene UE/SUE-Dokumentation vorzunehmen. Die erforderliche Meldung war in beiden Fällen dann umgehend veranlasst bzw. nachgeholt worden.

3.5 Abgeleitete Maßnahmen

Bei Projekt Nr. 1 (AWB in der Indikation Prostatakarzinom) waren die durchgeführten qualitätsüberprüfenden Maßnahmen fälschlicherweise sehr stark GCP-orientiert gewesen. Die Formulare mit den zu überprüfenden Merkmalen bzw. Variablen waren sehr umfangreich, wodurch die Überprüfung in den teilnehmenden Zentren überaus viel Zeit in Anspruch nahm.

In der Anfangsphase waren wohl auch die Informationen an die teilnehmenden Ärzte über Dokumentationsnotwendigkeiten und Aufbewahrungspflichten nicht immer ausreichend gewesen; so ist zu erklären, dass entgegen der im Beobachtungsplan vorgegebenen 10-jährigen Aufbewahrungspflicht einige Ärzte die Patienteneinverständniserklärungen vernichtet hatten, wodurch eine Qualitätsüberprüfung, zumindest aber der Einblick in die Krankenakte aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr vorgenommen werden konnte.

In diesen Fällen war dann die Qualitätsüberprüfung mittels Interviewtechnik durchgeführt worden.

Die beim ersten Projekt gemachten Erfahrungen waren Grundlage für die Optimierung bei den Folgeprojekten 2, 3 und 4 bzgl. Formularanpassung und Reduzierung der Gesprächsdauer. Die offenkundig mangelhafte Aufklärung des Arztes bei der Vorstellung des Studienprojektes könnte künftig durch eine spezielle Schulung verhindert werden (Präsenzschulung bzw. mittels eLearning). In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, dieses Vorgehen in einer NIS-SOP zu verankern. Insbesondere bei Projekt 4, welches ausschließlich im niedergelassenen Bereich durchgeführt worden war, hat es sich bewährt, den zuständigen Mitarbeiter frühzeitig über die anstehende qualitätsüberprüfende Maßnahme in seinem Gebiet zu informieren. Bei Tagungen sollte es für den Projektleiter bei der Vorstellung einer neuen NIS zum Standard gehören, auf diese Aufgabe der lokal tätigen Mitarbeiter explizit hinzuweisen.


4 Diskussion

Bei der Durchführung von qualitätsüberprüfenden Maßnahmen bei Nicht-Interventionellen Studien (NIS) sollte das Prinzip der Nicht-Intervention stets oberstes Gebot sein. Vereinzelt wurden von teilnehmenden Ärzten bzw. deren Personal Vorschläge zur Konzeption von Dokumentationsbögen gemacht. Vielfach gab es ein positives Feedback zur Durchführung solcher Maßnahmen gerade für den Bereich der Nicht-Interventionellen Studien. Nach den bisherigen Erfahrungen bei der Terminplanung ist jedoch anzuraten, die zu überprüfende Klinik/Praxis bei jedem Kontakt im Vorfeld darauf hinzuweisen, für die bevorstehende Qualitätsüberprüfung die unterschriebenen Patienteneinverständniserklärungen herauszusuchen sowie die Krankenakten bereitzulegen; so kann eine Qualitätsüberprüfung vor Ort bei der stets knapp bemessenen Zeit in den Kliniken bzw. Praxen effizient (vor allem zeitsparend) durchgeführt werden. Der an einer NIS teilnehmende Arzt sollte bei Vertragsunterzeichnung explizit darauf hingewiesen werden, dass mit seiner Teilnahme möglicherweise auch eine Qualitätsüberprüfung seiner dokumentierten Daten verbunden ist und diese Maßnahme in seinem Zentrum mit Zeitaufwand verbunden ist. Die Dauer dieser qualitätsüberprüfenden Maßnahme ist bei den Honorarüberlegungen mit zu berücksichtigen [16].

Um eine umfassende Aufklärung hinsichtlich der Aufbewahrungsfristen von Studienunterlagen (bspw. Patienteneinverständniserklärungen) bzw. im Hinblick auf den Datenschutz zu erreichen, werden studienspezifische Schulungen bzgl. der Dokumentationsnotwendigkeiten vorgeschlagen. Da in vielen Indikationsgebieten (vor allem im Bereich der Onkologie) Kliniken und Praxen sowohl an Klinischen Prüfungen als auch an Nicht-Interventionellen Studien teilnehmen, könnten Prüfarztseminare um den Part „Durchführung von NIS“ erweitert werden Bei länger andauernden Projekten sollte der teilnehmende Arzt bspw. mittels eines Newsletters kontinuierlich über den Projektstand und eine evtl. geplante Qualitätsüberprüfung informiert werden.

Bei der Kontrolle der Krankenakten bzw. bei nochmaligem Nachfragen hat sich lediglich in 2 Fällen (<1%) herausgestellt, dass eine Meldung von schwerwiegend unerwünschten Ereignissen versehentlich unterblieben war. Die Ärzte kommen also auch bei der Durchführung von NIS ihrer Verpflichtung gemäß Berufsordnung nach, Nebenwirkungen zu melden.

Das „Mehr an Erfahrung“ in Kliniken und großen Facharztpraxen korreliert mit einem „Mehr an spezifischem Personal für die Dokumentation“. Der hohe Übereinstimmungsgrad (wenig fehlende Daten bzw. inkorrekte Daten) mit bis zu 95% bei Nicht-interventionellen Studien deckt sich – unerwartet – mit den Erfahrungen (Auditfindings) aus Klinischen Prüfungen, die einem Monitoring unterzogen worden waren [17]. Nach unseren bislang gemachten Erfahrungen entspricht damit die Qualität der Daten bei Nicht-Interventionellen Studien – auch wenn hierbei nur stichprobenartig überprüft wurde – annähernd der Datenqualität aus Klinischen (interventionellen) Prüfungen.

Mit Hilfe der in dieser Publikation beschriebenen Qualitätsmaßnahmen kann die in den GEP-Leitlinien geforderte Qualitätssicherung bei epidemiologischen Studien vollständig erfüllt werden [6].


Hinweis

Grundlage für diese Publikation ist – zumindest teilweise – die Studienarbeit „Qualitätssichernde Maßnahmen bei Nicht-Interventionellen Studien von Sanofi-Aventis – Deskriptive Auswertung der Qualitätsüberprüfung bei 4 Projekten“ von Frau Nadine Geisler, Bildungsgang Medizinische Dokumentation an der IB-GISmbH Medizinische Akademie, Rostock (Betreuer K. Wörz).

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

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