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GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

AWMF-Checkliste zur Evaluation der medizinischen Lehre

Mitteilung

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  • corresponding author presenting/speaker Christoph Herrmann-Lingen - Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsmedizin Göttingen; AWMF-Kommission Leistungsevaluation in Forschung und Lehre Externer Link

GMS Mitt AWMF 2019;16:Doc1

doi: 10.3205/awmf000321, urn:nbn:de:0183-awmf0003213

Eingereicht: 7. Mai 2019
Veröffentlicht: 10. Mai 2019

© 2019 Herrmann-Lingen.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Zur Sicherstellung einer hohen Qualität medizinischer Lehre werden an allen medizinischen Fakultäten in Deutschland Lehrevaluationen durchgeführt. Vielfach werden auch Anreize für qualitativ hochwertige Lehre bereitgestellt. Die Evaluations- und Anreizsysteme sind jedoch sehr heterogen, vielfach nicht evidenzbasiert und erreichen nicht immer die erwünschten Steuerungseffekte. Mit der hier dargestellten Checkliste stellt die AWMF den Fakultäten Kriterien zur Optimierung der Evaluationsmethodik sowie der Rahmenbedingungen und Anreizsysteme für gute Lehre zur Verfügung und lädt dazu ein, existierende Evaluationen und Anreizsysteme vor diesem Hintergrund weiterzuentwickeln.


Text

Mitglieder der AWMF-Kommission für Leistungsevaluation in Forschung und Lehre haben im Jahr 2015 eine Übersicht zur Evaluation im Medizinstudium vorgelegt. Dort heißt es u.a.: „Das Medizinstudium muss höchsten Qualitätsstandards genügen, da die Absolventen medizinischer Fakultäten – in erster Linie Ärztinnen und Ärzte – große Verantwortung tragen. Zur Bewertung der Qualität der Lehre werden an allen deutschen medizinischen Fakultäten Evaluationen durchgeführt. Die Deutsche Gesellschaft für Evaluation hat bereits vor über zehn Jahren Standards für die Evaluation der Hochschullehre festgelegt. Diesen zufolge müssen Evaluationsinstrumente eine faire, genaue und verlässliche Beurteilung der Lehrqualität erlauben“ [1].

Die AWMF hat zudem gemeinsam mit dem Medizinischen Fakultätentag eine Befragung der medizinischen Dekanate in Deutschland zur Evaluationspraxis durchgeführt [2].

Auf dieser Basis sowie aufgrund der in der Kommission für Leistungsevaluation für Forschung und Lehre, teilweise auch gemeinsam mit dem Medizinischen Fakultätentag, geführten Diskussionen gibt die AWMF die folgenden Anregungen zur Evaluation der medizinischen Lehre in Deutschland und der Gestaltung von Rahmenbedingungen bzw. Anreizsystemen für gute Lehre. Sie lädt die medizinischen Fakultäten dazu ein, ihre Lehrevaluation, Rahmenbedingungen und Anreizsysteme für gute Lehre auf dieser Grundlage zu überprüfen und regt an, dass auch der Medizinische Fakultätentag die nachfolgende Checkliste in seine Überlegungen zur Weiterentwicklung der medizinischen Lehre und der Entwickung geeigneter Anreizsysteme einbezieht:

Optimierung der Evaluationsmethodik

  • Liegt der Evaluation ein konsentiertes Konstrukt guter Lehre zugrunde?
    Ist das Konstrukt „gute Lehre“ eindeutig und ausreichend detailliert definiert? Hiermit ist gemeint, dass eine bewusste Entscheidung darüber getroffen wurde, was genau unter „guter Lehre“ verstanden wird. So wäre es beispielsweise denkbar, die Qualität der Lehre in erster Linie am Zufriedenheitsgrad der Studierenden abzulesen. Alternativ kann gute Lehre über das Ergebnis der Lehre (d.h. den inhaltlichen Lernerfolg der Studierenden, s. Anmerkung 1) definiert sein. Auch die didaktische Qualifikation der Lehrenden, lehrbezogene Strukturen und Prozesse beeinflussen die Qualität der Lehre. Das Konstrukt „gute Lehre“ kann, ggfs. in Abhängigkeit von fakultätsspezifischen Schwerpunkten, eine oder mehrere dieser Dimensionen umfassen; entscheidend ist eine konkrete und transparente Definition.
  • Bilden die Evaluationsinstrumente die Aspekte des Konstrukts objektiv, valide und reliabel ab?
    Stehen Instrumente zur Verfügung, die sich am konsentierten Konstrukt orientieren? Verfügen sie über ausreichende Gütekriterien (Validität, Reliabilität, Objektivität, Akzeptanz, Ökonomie der Durchführung)? Erfüllen Neuentwicklungen von Instrumenten diese Kriterien? Ermöglichen die Instrumente Vergleiche zwischen Lehrveranstaltungen und Fakultäten? Werden wesentliche Störfaktoren studentischer Evaluationen berücksichtigt
  • Ist der gesamte Evaluationsprozess transparent gestaltet?
    Werden die Ziele der Evaluation, die Methodik, Rücklaufquoten, Ergebnisse und mögliche Konsequenzen offengelegt? Werden dabei die datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten?
  • Werden die Evaluationsprozesse wissenschaftlich begleitet?
    Erfolgt die Bewertung bzw. Entwicklung der Erhebungsinstrumente auf der Basis der verfügbaren wissenschaftlichen Datenlage? Existieren fortlaufende Qualitätssicherungs- und koordinierte Optimierungsprozesse für die Evaluationsmethodik? Ist entsprechende methodische und didaktische Expertise (z.B. Didaktik-Professur oder entsprechende Service-Einheit) vorhanden? Werden die eingesetzten Instrumente regelmäßig psychometrisch getestet? Werden die Ergebnisse der Testung (Gütekriterien etc.) kommuniziert?

Verbesserung der Rahmenbedingungen und Anreize für gute Lehre

  • Werden strukturelle Maßnahmen zur Verbesserung der Lehre ergriffen?
    Werden Lernziele definiert und weiterentwickelt? Erfolgt ein Feedback von Evaluationsergebnissen? Existieren Qualitätssicherungsprogramme für die Lehre incl. Benchmarks? Wie wird die didaktische Qualifikation der Lehrenden sichergestellt?
  • Welche Formen von immaterieller Wertschätzung und Karriereförderung für individuelle Lehrende werden zur Würdigung guter Lehre genutzt? Werden Lehrpreise vergeben?
    Existieren Möglichkeiten zur Freistellung für die Teilnahme an Qualifikationsprogrammen oder für die Entwicklung innovativer Lehrkonzepte? Finden gute Lehre und lehrbezogene Forschung bei der Erlangung der Habilitation und außerplanmäßiger Professuren Berücksichtigung?
  • Erfolgt eine angemessene materielle Honorierung guter Lehrleistung?
    Wie und auf welcher Evaluationsbasis erfolgt eine finanzielle Mittelzuweisung für gute Lehre? Kommt diese Mittelzuweisung tatsächlich denjenigen Personen bzw. Einheiten zugute, die die Zielparameter durch konzeptionelle Entwicklungsarbeit oder gute Umsetzung der Lehrkonzepte positiv beeinflussen?
  • Existieren kompetitive antragsbasierte Förderinstrumente zur Förderung von Lehr- und Prüfungsinnovationen?
    Stehen im Vergleich zur fakultätsinternen Forschungsförderung adäquate Mittel für Lehr- und Prüfungsinnovationen zur Verfügung, um eine Parität der Anreize zu gewährleisten? Erfolgt die Begutachtung der Anträge wissenschaftsbasiert nach einem fairen und transparenten Verfahren?
  • Werden alle Anreize für gute Lehre und die Kriterien ihrer Anwendung transparent kommuniziert?
    Sind Methoden, Ergebnisse und Konsequenzen der Evaluationen (s.o.) sowie Rahmen-bedingungen und Anreize für gute Lehre allen Akteuren transparent? Werden die EmpfängerInnen von materiellen und immateriellen Zuwendungen für gute Lehre bekannt gegeben?

Anmerkung

1 Zu berücksichtigen ist bei allen genannten Indikatoren, dass ihre Messung methodischen Einschränkungen unterliegt, die bei der Interpretation zu berücksichtigen sind. So wird z.B. der Lernerfolg der Studierenden, etwa in Staatsexamina, neben der Qualität der Lehre auch durch unterschiedliche weitere Faktoren bestimmt. Die bundeseinheitlichen (schriftlichen) Staatsexamina eignen sich daher u.a. gut zum Vergleich des Leistungsstands der Studierenden unterschiedlicher Fakultäten – im Physikum auch auf Ebene einzelner Fächer. Gegen ihre Verwendung als Indikatoren der Lehrqualität wird jedoch auf Basis empirischer Befunde eingewandt, dass der Leistungsstand im Examen in erheblichem Umfang durch individuelle Eingangsvoraussetzungen der Studierenden, Selbststudium und Nutzung kommerzieller Repetitorien konfundiert ist. Seine Verwendung zu Zwecken der Lehrevaluation sollte daher nur unter sorgfältiger Abwägung ihrer methodischen Aussagekraft und Limitationen erfolgen.


Literatur

1.
Schiekirka S, Feufel MA, Herrmann-Lingen C, Raupach T. Evaluation in medical education: A topical review of target parameters, data collection tools and confounding factors. GMS Ger Med Sci.2015;13:Doc15. DOI: 10.3205/000219 Externer Link
2.
Schiekirka-Schwake S, Barth J, Pfeilschifter J, Hickel R, Raupach T, Herrmann-Lingen C. National survey of evaluation practices and performance-guided resource allocation at German medical schools. GMS Ger Med Sci 2019 2019;17:Doc04. DOI: 10.3205/000270 Externer Link