gms | German Medical Science

GMS Mitteilungen aus der AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

ISSN 1860-4269

Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin: Einbecker Empfehlungen der DGMR

Mitteilung

Suche in Medline nach

GMS Mitt AWMF 2008;5:Doc26

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/awmf/2008-5/awmf000169.shtml

Eingereicht: 5. November 2008
Veröffentlicht: 5. November 2008

© 2008 Wienke.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Zusammenfassung

Die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e.V. hat vom 17. bis 19. Oktober 2008 ihren 12. Einbecker Workshop unter dem Titel „Die Verbesserung des Menschen - Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin“ durchgeführt. Als Tagungsergebnis wurden die nachfolgenden Empfehlungen verabschiedet:


Text

I. Definition

Wunscherfüllende Medizin bezeichnet jede Art von nicht medizinisch indizierten Eingriffen in den menschlichen Organismus mit dem Ziel der Verbesserung, Veränderung oder Erhaltung von Form, Funktion, kognitiven Fähigkeiten oder emotionalen Befindlichkeiten (sog. Enhancement), die unter ärztlicher Verantwortung durchgeführt werden. Dazu zählen insbesondere operative, pharmakologische, biotechnische (z.B. neurobionische) und gentechnische Maßnahmen. Dabei kommen häufig Substanzen und Verfahren zum Einsatz, die ursprünglich zur Behandlung und Prävention von Krankheiten entwickelt wurden.

II. Tatsächliche Aspekte

1. Ästhetisch-chirurgische und ästhetisch-dermatologische Eingriffe (z.B. Facelift, Implantationen, Unterspritzungen, Fettabsaugen, Botulinumtoxin-Injektionen), die ausschließlich auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden, haben gerade in jüngster Zeit weite Verbreitung gefunden.

2. Medikamente werden im Rahmen des psychischen Enhancements zur Beeinflussung kognitiver Fähigkeiten oder emotionaler Befindlichkeiten von Menschen eingesetzt (z.B. zur Steigerung der mentalen Leistungsfähigkeit, zur Empathieförderung, zur Stimmungsaufhellung). Beim physischen Enhancement beeinflussen Medikamente körperliche Funktionen (z.B. Ausdauer und Kraft durch Doping, Wachstum, Potenz, Appetit, Anti-Aging).

3. Neurobionisches Enhancement umschreibt die noch im Experimentalstadium befindliche Ingebrauchnahme oder Implantation elektronischer Hilfsmittel in das Zentralnervensystem mit dem Ziel, menschliche Fähigkeiten zu erweitern (z.B. Entwicklung supersensorischer Fähigkeiten, Ausweitung der Gedächtnisfunktion, Modulation persönlicher Eigenschaften).

4. Genetisches Enhancement betrifft Veränderungen der Erbsubstanz. Hierbei kann es sich um gentechnische Maßnahmen bei Einzelpersonen (z.B. im Sport durch Gendoping) oder um denkbare Eingriffe in die Keimbahn mit Auswirkungen auf zukünftige Generationen handeln.

III. Rechtliche Aspekte

1. Die Maßnahmen des Enhancements werden grundsätzlich von dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Selbstbestimmung im Bereich der körperlich-seelischen Integrität erfasst. Es wird begrenzt durch den Schutz der Rechte Dritter, z.B. im Bereich der Fortpflanzungsmedizin, und durch kollidierende Gemeinwohlinteressen, z.B. wirtschaftliche Überstrapazierung der Solidargemeinschaft durch medizinisch indizierte Folgebehandlungen.

2. Für Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin bestehen besonders umfassende Aufklärungspflichten über deren Risiken und Nebenwirkungen. Zudem muss über mögliche rechtliche, psychosoziale und wirtschaftliche Folgen informiert werden, zu denen auch die Kosten der Behandlung etwaiger Komplikationen der durchgeführten Eingriffe gehören.

3. Bei bestimmten gravierenden oder irreversiblen Maßnahmen sollten in Anlehnung an § 1631 c BGB (Verbot der Sterilisation Minderjähriger) Mindestaltersgrenzen eingeführt werden. Für andere gravierende oder irreversible Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen wäre ggf. auch an vormundschaftsgerichtliche Kontrollen der elterlichen oder eigenen Entscheidung zu denken.

4. Verträge über Leistungen der wunscherfüllenden Medizin sind grundsätzlich als Dienstverträge zu qualifizieren, auch wenn sie zum Teil werkvertragliche Elemente enthalten.

5. Auch bei Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin unterliegt der Arzt der ärztlichen Berufsordnung. Diese ist auch anwendbar und zu beachten, wenn der Arzt außerhalb der Heilkunde - auch im gewerblichen Bereich (Wellness, Ernährungsberatung) - tätig wird. Die Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder sowie die Berufsordnungen der Landesärztekammern sollten entsprechende Klarstellungen enthalten.

6. Die Durchführung bestimmter Eingriffe der wunscherfüllenden Medizin sollte nur besonders weitergebildeten Ärzten bestimmter Fachgebiete vorbehalten werden oder einen speziellen Fachkundenachweis erfordern.

7. Es ist zu empfehlen, die Aufnahme der ärztlichen Tätigkeit in Klinik und Praxis von dem Nachweis einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung abhängig zu machen, die auch den Bereich der wunscherfüllenden Medizin erfasst, wenn solche Leistungen durchgeführt werden.

8. Die Leistungsbeschränkung in § 52 Abs. 2 SGB V (angemessene Beteiligung an den Kosten einer Folgeerkrankung), welche nur bei einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing Anwendung finden soll, stellt eine Diskriminierung dieser Versicherten und damit einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Es ist daher eine Änderung dieser Norm zu empfehlen. Der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V, nämlich die Übernahme von Eigenverantwortung durch die Versicherten, sollte den Gesetzgeber nicht dazu veranlassen, das Solidaritätsprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung weiter einzuschränken.

Für das Präsidium der DGMR e.V.
Der Präsident
Rechtsanwalt Dr. A. Wienke