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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Nutzung von Literatur im Medizinstudium – ein Erfahrungsbericht

Use of literature in medical studies – a field report

Case Report Medizinische Literaturversorgung im Umbruch

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GMS Med Bibl Inf 2022;22(1):Doc10

doi: 10.3205/mbi000528, urn:nbn:de:0183-mbi0005280

Veröffentlicht: 16. September 2022

© 2022 Speichert.
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Zusammenfassung

Dieser Erfahrungsbericht beschreibt die Nutzung von Literatur durch Medizinstudierende im Laufe des Studiums. Während im vorklinischen Abschnitt Printmedien noch immer einen hohen Stellenwert besitzen, nehmen digitale Lernplattformen im klinischen Abschnitt und in der Vorbereitung auf die schriftlichen ärztlichen Prüfungen zunehmend an Bedeutung zu. Die Literaturversorgung der Studierenden muss zeiteffizient und vertrauenswürdig sein sowie über einen einfachen Zugang verfügen. Nicht zuletzt diente die COVID-19-Pandemie als Katalysator für digitale Lehr- und Lernmedien und bot Chancen neue Konzepte für Lehre und Literaturversorgung weiter zu etablieren.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, Lernen, Literatur, Recherche, Bibliothek

Abstract

This field report describes the use of literature by medical students in the course of their studies. While print media are still highly valued in the preclinical section, digital learning platforms are becoming increasingly important in the clinical section and in preparation for the written medical examinations. The supply of literature to students must be time-efficient, trustworthy, and have easy access. Last but not least, the COVID-19 pandemic served as a catalyst for digital teaching media and provided opportunities to further establish new concepts for teaching and literature supply.

Keywords: medical studies, learning, literature, research, library


Einleitung

Als Student der Humanmedizin beschreibe ich in diesem Bericht meine Erfahrungen in Bezug auf die Literaturversorgung während meines Studiums seit 2015. Zuletzt habe ich das Zweite Staatsexamen an einer deutschen Universität mit klassischer Studienstruktur (kein Modell- oder Reformstudiengang) absolviert. In diesem Beitrag erläutere ich die Nutzung von Fachliteratur und die Veränderungen im Laufe des Studiums. Es fließen dabei Erfahrungen von Kommiliton:innen aus meiner Studienkohorte ein.

Das Medizinstudium in Deutschland gilt insgesamt als verschult [1]. Es gibt viele Seminare mit Anwesenheitspflicht und eine Vielzahl von Prüfungen in vergleichsweise kurzer Zeit. Ich vertrete aus diesem Grund die These, dass zwangsläufig vorzugsweise die Inhalte von Studierenden gelernt werden, die auch geprüft werden. Aus meiner Erfahrung bedeutet dies, nah am klausurrelevanten Vorlesungsstoff zu arbeiten. Die Literaturversorgung muss dabei zeiteffizient und mit einfachem Zugang erfolgen. Das bedeutet für mich, dass Studierende gern die Lehrmedien nutzen, die Lerninhalte einheitlich und kompakt, aber dennoch vollständig und inhaltlich zuverlässig präsentieren. Differenziert betrachtet werden muss die Vorbereitung auf die Erste und Zweite Ärztliche Prüfung, die zentral durch das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) gestellt werden und deshalb auch eine andere Art der Literaturnutzung zum Beispiel mit digitalen Lernplattformen für eine spezifische Prüfungsvorbereitung erfordern.


Vorklinischer Studienabschnitt

Im vorklinischen Abschnitt des Studiums haben ich und bekannte Kommiliton:innen für große Fächer wie Anatomie, Biochemie und Physiologie eng an Lehrbüchern großer Verlage gearbeitet. Soweit ich das einschätzen kann, haben Printmedien hier immer noch einen großen Stellenwert. Das bietet sich an, weil es eine große Abdeckung von Prüfungsinhalten und Lehrbuchinhalten gibt. Die Bücher werden gekauft oder in den medizinischen Fachbibliotheken ausgeliehen. Eine Aufbereitung der Inhalte auf digitalen Lernplattformen ist aus meiner Sicht nicht unbedingt notwendig. Trotzdem nimmt auch ihr Stellenwert besonders im Zuge der COVID-19-Pandemie auch in der Vorklinik zu. Alternativen zu den Büchern als Printmedien stellen selbstverständlich E-Books da. Ich persönlich gebe jedoch einem gedruckten Werk zum Lernen den Vorzug. Das ist sicherlich „Typsache“.


Klinischer Studienabschnitt und Vorbereitung auf die schriftlichen ärztlichen Prüfungen

Im klinischen Teil des Studiums wird vermehrt mit Vorlesungsaufzeichnungen und studentischen Skripten gearbeitet. Zu Fachliteratur wird ergänzend bei bestimmten Fragestellungen und für Recherchen gegriffen. Den Grund für diese Entwicklung sehe ich in der Breite des Lehrstoffes im Studium und leichteren Zugang und Anwendbarkeit im Lernprozess. Schwerpunkte der Dozierenden müssen beachtet werden und die Inhalte der Klausuren sind nicht immer klar nach Fächern abgegrenzt, sodass eine Orientierung an den gelehrten Inhalten bei der Literaturauswahl sinnvoll erscheint. Für die Nutzung von Literatur bedeutet das praktisch eher weg vom klassischen Lehrbuch hin zu Vorlesungsfolien und -aufzeichnungen sowie Skripten der Lehrveranstaltungen. Diese stehen hier ganz klar in Konkurrenz zueinander. Eine Anwesenheit bei Vorlesungen ist nicht mehr nötig. Vorlesungen können oftmals beliebig auf Lernplattformen der Universitäten abgerufen werden und so flexibler von Studierenden genutzt werden.

Diese Entwicklung ist durch die Möglichkeit von Aufzeichnungen der Vorlesungen und Seminaren im Zuge verbesserter digitaler Medien an den Fakultäten entstanden und nicht zuletzt durch die COVID-19-Pandemie verstärkt geworden. Die Aufzeichnungen sind meist uniintern zugangsgeschützt verfügbar und damit nicht öffentlich. Ergänzend dazu werden aus meiner Erfahrung digitale Lernplattformen genutzt, wie sie beispielsweise AMBOSS (https://www.amboss.com) oder Thieme (https://viamedici.thieme.de) anbieten. Die Vorteile liegen in der leichten Anwendbarkeit. Stichworte können einfach gesucht werden und es gibt seitens der Studierenden viel Vertrauen in die Inhalte dieser Plattformen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden rasch eingearbeitet und Quellen standardisiert angegeben. Online-Zugänge werden zumeist über Unilizenzen zur Verfügung gestellt. Außerdem sind diese Plattformen in der Lage, zielgerichtet über verschiedene Lernpläne auf die ärztlichen Prüfungen vorzubereiten. Verschiedene Algorithmen bieten die Möglichkeit, gelernte Stoffe mit passenden Prüfungsfragen zu kombinieren und Lerndefizite aufzudecken sowie Schwerpunkte vergangener Prüfungen des IMPP zu beachten. Diese Form des Lernens hat sich in den letzten Jahren gerade in der Vorbereitung auf die Abschlussprüfungen durchgesetzt und ist nahezu nicht mehr wegzudenken. Für mein Zweites Staatsexamen wählte ich beispielsweise einen auf 100 Tage abgestimmten Lernplan, den ich nahezu unverändert zur Prüfungsvorbereitung absolviert habe. Erfahrungen der Absolvent:innen der letzten Jahre gaben mir das nötige Vertrauen in die Nutzung digitaler Lernplattformen. Außerdem lassen sich diese Plattformen auch im weiteren ärztlichen Alltag gut und einfach nutzen. Viele Kliniken bieten die Lizenzen auch für ihre Mitarbeiter:innen an.


Die COVID-19-Pandemie als Katalysator digitaler Medien

Die COVID-19-Pandemie stellte die Studierenden ab dem Frühjahr 2020 vor große Herausforderungen. Der Zugang zu Fachbibliotheken war nur eingeschränkt möglich. Viele Studierende waren erst gar nicht an den Universitäten. Die Pandemie gilt als Katalysator für die Digitalisierung und den Ausbau digitaler Lehrmedien. Fakultäten und Dozierende waren gezwungen rasch Online-Konzepte für Seminare und Vorlesungen zu erarbeiten [2]. Trotz vielfältiger Herausforderungen für Studierende und Dozierende konnten aus meiner Erfahrung viele dieser Konzepte etabliert werden und bieten vor allem Chancen für alle Studierende [3]. Die Aufzeichnung von Vorlesungen bietet so nicht nur Vorteile für Studierende in einer Pandemie, sondern darüber hinaus auch für beruflich oder familiär eingebundene Student:innen. Auf der anderen Seite ersetzen digitale Veranstaltungen meiner Meinung nach keine Lehrveranstaltungen im direkten Patientenkontakt und auch nicht das Erlernen praktischer Fähigkeiten. Ein chirurgischer Nähkurs ist so lehrreicher in physischer Anwesenheit von Dozierenden als zuhause vor dem Bildschirm.

Die Entwicklungen durch die COVID-19-Pandemie sollten meines Erachtens also kritisch bewertet und positive Erfahrungen konsequent weiterentwickelt werden.


Anmerkung

Lukas-Christopher Speichert ist Medizinstudierender an der Universität Duisburg-Essen.


Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Tuletz H. Studium: Medizin. Der Studienalltag. Süddeutsche Zeitung. 11. Mai 2010.
2.
Goertz L, Hense J. Studie zu Veränderungsprozessen in Unterstützungsstrukturen für Lehre an deutschen Hochschulen in der Corona-Krise. Hochschulforum Digitalisierung. 2021;56:7.
3.
Hanke LI. Chirurgische Lehre in Zeiten von COVID-19: Aus notwendigen Kompromissen werden Chancen für die Zukunft. Zentralbl Chir. 2021;146(06):586-96. DOI: 10.1055/a-1675-3955 Externer Link