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GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Methodische Untersuchungen zum Einsatz der Empirical Mode Decomposition für die Analyse der Herzfrequenzvariabilität

Meeting Abstract

  • K. Schiecke - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena
  • D. Piper - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena; Politehnica University of Bucharest, Department of Applied Electronics and Information Engineering, Bukarest
  • L. Leistritz - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena
  • H. Witte - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 217

doi: 10.3205/14gmds092, urn:nbn:de:0183-14gmds0920

Published: September 4, 2014

© 2014 Schiecke et al.
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Einleitung und Fragestellung: Die Herzfrequenzvariabilität (HFV) wird bei einer Vielzahl von Erkrankungen zur Analyse kardiovaskulärer, durch das autonome Nervensystem (ANS) kontrollierter Regulationsmechanismen eingesetzt. Die respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) und die HFV-Komponente bei 0,1 Hz sind zwei rhythmische HFV-Komponenten, deren Eigenschaften Aussagen über den Zustand des ANS ermöglichen. Die 0,1-Hz-Komponente steht in enger Beziehung zu den sogenannten Mayer-Wellen des systemischen Blutdrucks. Für frequenzselektive HFV-Analysen dienen in der Regel die Frequenzbereiche, die 1996 durch eine Task Force definiert worden sind [1]. Diese Frequenzbereiche werden jedoch unter- bzw. überschritten, wenn es zu starken Änderungen der Atemfrequenz und zu starken Zustandsänderungen des ANS kommt. Dies bedeutet, dass eine Bandpass-Filterung zur Selektion der HFV-Komponenten zu verfälschten Analyseergebnissen führen kann. Es kommt hinzu, dass lineare Filtertechniken als Vorverarbeitungsstufe für nichtlineare HFV-Analysen als problematisch anzusehen sind. Die meisten der nichtlinearen Methoden sind nicht frequenzselektiv, sie zeichnen sich jedoch durch eine höhere Reliabilität der Analyseergebnisse aus.

Eine Alternative zur Filterung sind signaladaptive Ansätze, die rhythmische Signalkomponenten mit ihren „natürlichen“ Frequenzeigenschaften selektieren. Die Empirical Mode Decomposition (EMD) erlaubt eine Zerlegung von Multi-Komponenten-Signale in eine definierte Menge von Mono-Komponenten-Signale (Intrinsic Mode Functions, IMFs), die ihren Frequenzeigenschaften entsprechend ausgegeben werden (geordnet von hohen nach tiefen Frequenzen). Dabei werden die nichtlinearen Eigenschaften der zu untersuchenden Komponenten erhalten [2]. Ein Problem bei der Anwendung der EMD ist jedoch das Auftreten des so genannten „Mode-Mixing“-Effekts. Mode-Mixing bedeutet, dass z.B. kurzzeitig Anteile einer tieferfrequenten IMF in einer ansonsten höherfrequenten IMF auftreten. Optimierte Ansätze wie die Complete Ensemble Mode Decomposition (CEMD) [3] führen zu einer Verringerung der Mode-Mixing-Effekte. Weiterhin tritt für Analysen mit Messwiederholungen (multi-trial, hier Anzahl der Anfälle der Gruppe) das „Korrespondenzproblem“ auf, d.h. die Anzahl und die Eigenschaften der „trial“-bezogenen IMFs können voneinander abweichen. Deshalb muss für diese „trial“-bezogenen IMFs vor einer weiteren Bearbeitung (Mittelung und/oder Vergleich) die korrekte Zuordnung gefunden werden. Das Ziel dieser Studie ist es deshalb, die Selektionseigenschaften zweier EMD-Ansätze für die rhythmischen Komponenten der HFV unter Berücksichtigung des Korrespondenz- und Mode-Mixing-Problemen zu untersuchen.

Material und Methoden: HFV-Daten von 18 Kindern mit Temporallappen-Epilepsie (TLE) (medianes Alter 9 Jahre/4 Monate, Bereich 6 bis 18 Jahre; Median der Anfallslänge 88 s, Bereich 52 bis 177 s) wurden analysiert. Details der zu untersuchten Daten sind in [4] zu finden. Für jedes Kind wurde ein 10-min-Intervall verwendet (entspricht einem Anfall: 5 min vor und 5 min nach Anfallsbeginn). Zwei EMD-Ansätze wurden untersucht: die Standard-EMD [2] und die CEMD [3].

Die IMFs wurden für die HFV jedes Kindes mit der EMD bzw. der CEMD erzeugt. Danach wurden die IMFs aller Kinder (Anfälle), separat für jede EMD-Methode, einander zugeordnet. Dies konnte mit Hilfe einer Erweiterung des Kuhn-Munkres-Algorithmus (KMA) auf der Grundlage der IMF-Spektren erreicht werden. Die Spektren wurden auch genutzt, um für die HFV-Komponenten die korrespondierenden IMFs zu finden. Zusätzlich wurde die kontinuierliche Morlet-Wavelet-Transformation (CMWT) zur Identifizierung von Mode-Mixing eingesetzt.

Die Schätzung eines Punktvorhersagefehlers (PVF) wurde zur Quantifizierung der nichtlinearen Eigenschaften der resultierenden IMFs verwendet. Der PVF beruht auf eine lokale Schätzung des größten Lyapunov-Exponenten und resultiert in einer zeitvarianten Darstellung der nichtlinearen Vorhersagbarkeit [5]. Ein positiver PVF kennzeichnet eine geringe, ein negativer oder verschwindender PVF eine hohe Vorhersagbarkeit. Die Verbindung der EMD mit dem PVF-Ansatz resultiert in einer zeitvarianten und frequenzselektiven nichtlinearen Analyse. Gemittelte Zeitverläufe des PVFs wurden für die IMFs der TLE-Gruppe berechnet. Für die Schätzung von Konfidenzgrenzen (2,5%- und 97,5%- Quantil) der mittleren PVF-Zeitverläufe wurde ein Bootstrapping-Verfahren verwendet.

Ergebnisse: Die Anwendung der EMD resultierte in einer Anzahl von 9 bis 10 IMFs und die Anwendung der CEMD in 12 bis 14 IMFs pro Kind. Die Korrespondenz der IMFs aller Kinder wurde mit dem KMA für jede EMD-Methode bestimmt. Die Spektren der IMFs sind als Eingangsdaten für den KMA genutzt worden. Die IMF-Spektren wurden auch verwendet, um für die IMFs die korrespondierenden physiologischen HFV-Komponenten zu finden. IMF1 der EMD und IMF1 bis IMF3 der CEMD entsprachen Rauschkomponenten. IMF2 der EMD und IMF5 der CEMD konnten der RSA-Komponente (ungefähr 0.3 Hz) zugeordnet werden. Die IMF3 der EMD und die IMF7 der CEMD entsprachen der 0,1-Hz-Komponente der HRV. Die IMF6 der CEMD enthielt Frequenzen zwischen 0.3 und 0.1 Hz, die mit EMD nicht selektiert werden konnten.

Der EMD-basierte PVF-Verlauf der RSA-Komponente nahm kurz vor und direkt nach Anfallsbeginn (300 s) ab. Dies konnte auf Mode-Mixing-Effekte zurückgeführt werden. Wegen der nur geringen/verschwindenden RSA während des Anfalls (Hypopnoe/Apnoe) werden tieffrequente HFV-Komponente in die IMF2 „aufgenommen“. Erst mit dem Einsetzen der normalen Atmung kehrt die IMF2 in den Frequenzbereich der RSA zurück. Bei Einsatz der CEMD war nur ein geringer Grad von Mode-Mixing zu beobachten. Daraus resultieren auch deutlichere Unterschiede im PVF-Verlauf. Dies trifft insbesondere für die 0,1-Hz-Komponente zu, die mit der CEMD besser als mit der EMD separiert werden konnte.

Die Instationarität der HFV-Komponenten und das Auftreten von Mode-Mixing wurden durch eine ergänzende CWMT-Analyse gesondert untersucht. IMFs mit dem Bezug zur 0,1-Hz-Komponente (IMF3 der EMD und IMF7 der CEMD) wurden für ein Kind für den Zeitbereich 100 s bis 300 s, in dem die deutlichsten Änderungen der PVFs auftraten, analysiert. Bei der EMD war eindeutig Mode-Mixing zu erkennen (Wechsel von Frequenzen und Amplituden innerhalb einer IMF / breiterer Frequenzanteil über die Zeit / Auftreten von Seitenbändern in zeitinvarianten Spektren). Durch den Einsatz der CEMD konnten diese Effekte reduziert werden.

Diskussion: Seit seiner Einführung sind eine Reihe von Optimierungen des EMD-Algorithmus vorgenommen worden. Durch die Nutzung der CEMD kann das beste Ergebnis hinsichtlich der Reduzierung von Mode-Mixing erreicht werden. Um Fehlinterpretationen der Analyseergebnisse zu vermeiden, sind jedoch weiterhin simultane Untersuchungen bezüglich der Mode-Mixing-Effekte notwendig. Die Vorteile der EMD-Ansätze bestehen darin, dass die rhythmischen HFV-Komponenten in ihren natürlichen Frequenzbereichen extrahiert werden können und dass damit nichtlineare Eigenschaften weitestgehend erhalten bleiben. Dies ermöglicht weiterführende frequenzselektive nichtlineare Analysen der HRV.


Literatur

1.
Task-Force. Heart rate variability. Standards of measurement, physiological interpretation, and clinical use. Eur Heart J. 1996;17(3):354-81.
2.
Huang NE, Shen Z, Long SR, Wu MLC, Shih HH, Zheng QN, et al. The empirical mode decomposition and the Hilbert spectrum for nonlinear and non-stationary time series analysis. Proceedings of the Royal Society of London Series A. 1998;454(1971):903-95.
3.
Torres ME, Colominas MA, Schlotthauer G, Flandrin P, editors. A complete ensemble empirical mode decomposition with adaptive noise. IEEE Int Conf on Acoust, Speech and Signal Proc ICASSP-11; 2011; Prague (CZ).
4.
Schiecke K, Wacker M, Piper D, Benninger F, Feucht M, Witte H. Time-variant, frequency-selective, linear and non-linear analysis of the heart rate variability in children with temporal lobe epilepsy. IEEE Transactions on Biomedical Engineering. 2014;61(6):1798-1808. DOI: 10.1109/TBME.2014.2307481 External link
5.
Schwab K, Groh T, Schwab M, Witte H. Nonlinear analysis and modeling of cortical activation and deactivation patterns in the immature fetal electrocorticogram. Chaos. 2009;19(1).