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GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Individualisierte Informationen für Krebspatienten – Anforderungen für ein Informationssystem auf Basis persönlicher medizinischer Daten

Meeting Abstract

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  • S. Benten - Universität Bremen
  • A. Breiter - Universität Bremen

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 163

doi: 10.3205/14gmds057, urn:nbn:de:0183-14gmds0577

Published: September 4, 2014

© 2014 Benten et al.
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Einleitung und Fragestellung: Wollen sich Krebspatienten mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen und in Entscheidungen bezüglich ihrer Therapie aktiv einbringen, benötigen sie entsprechend detaillierte Informationen, die möglichst auf ihre individuelle Situation zugeschnitten sind. Dass dieser Bedarf besteht, zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien [1] zum Informationsbedarf von Krebspatienten. Hierbei ist im Sinne des Informationsmanagements der objektive und subjektive Informationsbedarf zu unterscheiden und dabei eine Abwägung zwischen Angebot und Nachfrage zu treffen [2].

Die erste Quelle für Informationen ist in der Regel der behandelnde Arzt, jedoch ist es gerade für neu diagnostizierte Krebspatienten aufgrund des psychischen Belastung nicht immer möglich, alle Details der Arztgespräche aufzunehmen und zu verstehen. Broschüren und entsprechende Internetportale bieten zum Teil qualitativ hochwertiges Informationsmaterial, welches jedoch allgemein gehalten ist und somit Rückschlüsse auf die persönliche Situation erschwert.

Hierdurch motiviert entstand das Konzept eines interaktiven Informationssystems, das es Patienten ermöglicht, über ihre mobilen Geräte wie Smartphones oder Tablets individuelle Informationen zu ihrer Erkrankung abzurufen, basierend auf ihren persönlichen medizinischen Daten aus dem Krankenhausinformationssystems (KIS) der Klinik. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit KIS für die Bereitstellung dieser Daten geeignet sind, stellen doch nicht Patienten, sondern medizinisches Personal deren primäre Nutzergruppe dar. Ausgehend von diesen Überlegungen sollte systematisch ermittelt werden, welche Anforderungen für die Konzeption eines individuellen Informationssystems für Krebspatienten seitens der Klinik hinsichtlich technischer und organisatorischer Rahmenbedingungen erfüllt sein müssten.

Material und Methoden: Zur Untersuchung des Ist-Zustands wurde eine Einzelfallstudie in der onkologischen Ambulanz eines größeren Krankenhauses durchgeführt. Dabei wurden qualitative Experteninterviews [3] mit Ärzten sowie Pflege- und Verwaltungspersonal geführt, hinsichtlich

  • Identifikation der Akteure und Prozesse in der Krebsbehandlung
  • Management der für Patienten relevanten Informationen
  • Probleme und Verbesserungspotenziale bei der Informationsvermittlung.

Zudem wurden die Workflows des Personals bei der Diagnostik und Therapieplanung beobachtet sowie Informationsmaterial, das Patienten im Laufe ihrer Behandlung bekommen, gesammelt und analysiert. Das erhobene Material dieser Fallstudie wurde unter Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [4] systematisch hinsichtlich der beschriebenen Aspekte analysiert und ausgewertet.

Ergebnisse: Es verdichtete sich in den Interviews, dass Patienten in den verschiedenen Phasen von der anfänglichen Verdachtsdiagnose bis zur Behandlung mit vielen Informationen bezüglich Diagnostik und Therapieoptionen aus unterschiedlichen Quellen konfrontiert werden, auf deren Basis sie wichtige Entscheidungen bezüglich ihrer Therapie treffen müssen. Dabei wird ein Großteil der relevanten Informationen in Gesprächen mit Ärzten vermittelt, wobei in Interviews mehrfach bestätigt wurde, dass die Aufnahmefähigkeit bei vielen Patienten stark eingeschränkt ist, obwohl gerade diese Ergebnisse wie TNM-Werte und Stadium der Erkrankung ausschlaggebend für die Therapiemöglichkeiten sind.

Zusätzliches Informationsmaterial in Form von Aufklärungsbögen zu Nebenwirkungen der Therapie und Broschüren zur jeweiligen Erkrankung sind allgemein gehalten und nicht auf die Patienten zugeschnitten, Kopien von Befunden, die auf Wunsch ausgehändigt werden, sind für medizinische Laien kaum verständlich.

Diese Ist-Analyse zeigt also, dass der Prozess der Informationsvermittlung noch Potenzial zur Optimierung bietet. Es wird allerdings auch ersichtlich, dass eine manuelle Aufbereitung von Befunden in eine patientengerechte Form einen zu großen Aufwand darstellen würde. Ein Ansatz wäre es, bestehendes Informationsmaterial, bspw. des Deutschen Krebsinformationsdienstes, zu nutzen und es mit den persönlichen Daten aus dem KIS zu assoziieren, so dass bspw. die relevanten Daten aus den Befunden zusammen mit erläuternden und weiterführenden Texten dargestellt und somit für die Patienten in den Kontext der Erkrankung eingeordnet werden können. Hierfür müsste also zunächst eine Informationsbasis geschaffen werden, die alle relevanten Aspekte der verschiedenen Erkrankungen beinhaltet, was einen umfangreichen, aber einmaligen Aufwand zur Folge hätte.

Doch auch für das Klinikpersonal werden Potenziale eines solchen Systems sichtbar. So könnten Aufklärungsbögen zur Chemotherapie anhand des ausgewählten Therapieschemas dynamisch für jeden Patienten individuell generiert werden und müssten nicht mehr manuell ergänzt werden. Über Termine zu Untersuchungen und Behandlungen könnten Patienten per Synchronisation mit dem KIS-Kalender benachrichtigt werden, anstatt dass Terminzettel handschriftlich vom Pflegepersonal ausgefüllt und ggf. per Post verschickt zu werden.

Diskussion: Betrachtet man die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen, wird jedoch ersichtlich, dass sich die Integration eines solchen Systems in eine bestehende IT-Infrastruktur der Klinik nicht ohne Weiteres realisieren ließe. Zum einen müssten die verschiedenen Systeme des KIS, die in der Onkologie zum Einsatz kommen, Schnittstellen für einen Datenaustausch mit dem Patientensystem bereitstellen, um z.B. Befunddaten und Behandlungstermine zugänglich zu machen. Zum anderen müssten relevante Befunddaten wie die Gewebeeigenschaften des Tumors oder die TNM-Klassifikation in einer semantisch und syntaktisch eindeutigen Form vorliegen, um eine automatisierte Weiterverarbeitung zu ermöglichen, was (zumindest im hier untersuchten Fall) nicht gegeben ist. Eindeutig formalisierte und strukturierte KIS-Formulare wären hierfür optimal, hätten jedoch eine Einschränkung der Flexibilität und eine Umstellung der Workflows des Klinikpersonals zur Folge. Eine automatisierte Auswertung von Befundtexten unter Verwendung von Algorithmen, die auf Natural Language Processing und medizinischen Wörterbüchern wie UMLS basieren, wurde in verschiedenen Ansätzen beschrieben [5], werden jedoch in der Praxis bislang nicht angewandt.

Es zeigt sich also, dass für eine Umsetzung des eingangs beschriebenen Informationssystems für Patienten zunächst verschiedene Anforderungen erfüllt werden müssten: KIS-Hersteller müssten entsprechende Schnittstellen und Möglichkeiten zur Strukturierung von Befunden implementieren, die Klinik-IT das System in die bestehende Infrastruktur integrieren und zentrale Anforderungen wie Datenschutz und Datensicherheit gewährleisten. Zudem müsste das System möglichst optimal in die Workflows des Klinikpersonals integriert werden, um ihren Aufwand der Informationsbereitstellung zu minimieren. Wären diese Voraussetzungen gegeben, könnte ein solches System jedoch sowohl für Patienten, als auch für das Personal eine große Unterstützung darstellen. Die hier ermittelten Anforderungen unter Berücksichtigung der organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen in der Domäne der Onkologie liefern einen ersten Ansatz für weitere Entwicklungen im Bereich maßgeschneiderter, patientenorientierter Informationssysteme.


Literatur

1.
Rutten LJF, Arora NK, Bakos AD, Aziz N, Rowland J. Information needs and sources of information among cancer patients: a systematic review of research (1980-2003). Patient education and counseling. 2005;57(3):250-61.
2.
Krcmar H. Informationsmanagement. 4., überarbeitete und erweiterte Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer; 2005.
3.
Bogner A. Das Experteninterview: Theorie, Methode, Anwendung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss.; 2005.
4.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 11., aktualisierte und überarb. Aufl. Weinheim: Beltz; 2010.
5.
Buckley JM, Coopey SB, Sharko J, Polubriaginof F, Drohan B, Belli AK, Kim EM, Garber JE, Smith BL, Gadd MA, Specht MC, Roche CA, Gudewicz TM, Hughes KS. The feasibility of using natural language processing to extract clinical information from breast pathology reports. J Pathol Inform. 2012;3:23. DOI: 10.4103/2153-3539.97788 External link