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Prävention zwischen Evidenz und Eminenz
15. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

13.03. - 15.03.2014, Halle (Saale)

Wissenschaftliche Evidenz im Gesetzgebungsverfahren – Erfahrungen aus dem gescheiterten Präventionsgesetz in der Schweiz

Meeting Abstract

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Prävention zwischen Evidenz und Eminenz. 15. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Halle, 13.-15.03.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. Doc14ebmP8h

doi: 10.3205/14ebm103, urn:nbn:de:0183-14ebm1031

Published: March 10, 2014

© 2014 Kirschner.
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Hintergrund und Fragestellung: Ende 2012 scheiterte die Vorlage für ein Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung (Präventionsgesetz) äußerst knapp im Schweizer Parlament. Die Gegner formierten sich in einer Allianz der Wirtschaft für eine maßvolle Präventionspolitik, die Befürworter in der Allianz Gesunde Schweiz. Erneut wurde nach 30 Jahren die Chance verpasst, Gesundheitsförderung und Prävention national zu koordinieren und gesetzlich zu verankern. Welche Rolle spielte wissenschaftliche Evidenz in dem Gesetzgebungsverfahren? Welche Motive und Strategien der Verbreitung wissenschaftlicher Evidenz verfolgten die Interessengruppen?

Material/Methoden: In nationalen Medien (Zeitungen, Radio, TV) und eigenen Publikationen (Websites, Positionen usw.) haben die Allianzen bestehende wissenschaftliche Evidenz verwendet und neue produziert, um ihre Argumentation aufzubauen. Die Recherche fokussierte auf öffentlich zugängliche Medienbeiträge (Statements, Interviews, Meinungsartikel etc.) und Publikationen (Stellungnahmen, Meinungsartikel, Grundlagenberichte etc.) der Allianzen. Die Recherche wurde in Pressedatenbanken (Argus, Factiva, LexisNexis) sowie mittels Internet-Suchmaschinen durchgeführt. Die Resultate wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2003) ausgewertet.

Ergebnisse: Die Analyse zeigt, dass die Gegner-Seite die typischen Elemente der Denialism-Strategie (Diethelm/McKee 2009) verwendeten: (1) Identifizierung von Verschwörungstheorien, (2) Zitieren von Scheinexperten, (3) Selektives Zitieren von Studien, (4) die Wissenschaft soll ein Maß an Sicherheit geben, welches sie nicht leisten kann, und (5) Verwendung unzulässiger Analogien und logischer Sprünge. Die Analyse hat auch gezeigt, dass die Pro-Seite die verfügbare wissenschaftliche Evidenz nicht in die politische Diskussion eingebracht hat und zentrale Produzenten wissenschaftlicher Evidenz (u.a. die Akademien der Wissenschaften Schweiz) am politischen Diskurs nicht teilgenommen haben.

Schlussfolgerung: Wesentlicher Faktor des Scheiterns der Gesetzesvorlage war die ideologisch verhaftete Diskussion der gegnerischen Lager. Die Befürworter müssen in Zukunft die gesamtgesellschaftliche Bedeutung und den Mehrwert einer effizienten Prävention und Gesundheitsförderung bereits vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens aufzeigen, um eine Ideologisierung zu verhindern. Dazu müssen alle relevanten Disziplinen ihre wissenschaftliche Evidenz in die politische Diskussion einbringen.