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16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

4. - 6. Oktober 2017, Berlin

Wer sind die Alleinlebenden mit Demenz? – eine deskriptive Datenanalyse der Stadt Oldenburg

Meeting Abstract

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  • Kristin Illiger - Jade Hochschule Wilhelmshaven Oldenburg Elsfleth, Oldenburg, Germany
  • Frauke Koppelin - Jade Hochschule Wilhelmshaven Oldenburg Elsfleth, Oldenburg, Germany
  • Ulla Walter - Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Germany

16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP159

doi: 10.3205/17dkvf392, urn:nbn:de:0183-17dkvf3922

Published: September 26, 2017

© 2017 Illiger et al.
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Hintergrund: In Anbetracht der steigenden Prävalenz- und Inzidenzraten von Demenzen haben Studien zur Versorgungssituation von Betroffenen und pflegenden Angehörigen in den vergangen zwanzig Jahren stark zugenommen (Alzheimer‘s Association 2015). Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Pflege demenziell erkrankter Personen in Deutschland vorwiegend im familiären Kontext erbracht wird (Unger R, Rothgang H 2013). Bislang ist jedoch wenig über alleinlebende an Demenz erkrankte Personen und deren Versorgungssituation bekannt. Mit Blick auf die zunehmende Singularisierung der Haushalte im Alter (Statistisches Bundesamt 2015) sind solche Daten jedoch unerlässlich, um den künftigen Versorgungsbedarf zu identifizieren und neue Interventionsansätze zu erproben. Vor diesem Hintergrund werden in der Studie Alleinlebende mit einer Demenzerkrankung am Beispiel der Stadt Oldenburg in den wissenschaftlichen Blick gerückt.

Fragestellung: Welche soziodemografischen Merkmale (Alter, Geschlecht, Gesundheitsstand) kennzeichnen alleinlebende Personen mit einer Demenzerkrankung? Welche Formen der sozialen Unterstützung spielen bei der häuslichen Pflege eine Rolle?

Methode: Um Daten zu alleinlebenden demenziell Erkrankten in Oldenburg zu gewinnen, wurden alle dort ansässigen Pflegedienste (N=24) Anfang Jahr 2017 per Telefon und Email kontaktiert. Insgesamt haben sich 23 Pflegedienste bereit erklärt, an der Studie teilzunehmen. Dazu haben sie auf postalischem Wege einen Fragebogen zur „Ambulanten Pflege alleinlebender demenziell veränderter Personen“ erhalten. Zum aktuellen Befragungszeitpunkt (März 2017) haben zehn Pflegedienste den Fragebogen zurückgesendet (derzeitige Ausschöpfungsquote 41,6%), wovon neun Fragebögen als gültig gewertet werden können. Um den Rücklauf zu erhöhen, sind bis Ende April zwei Nachfassaktionen geplant. Die Auswertung der Daten erfolgt deskriptiv.

Vorläufige Ergebnisse: In den befragten Pflegeeinrichtungen werden momentan 614 Personen ambulant betreut, wovon 1/5 der Pflegebedürftigen (n=128) eine ärztlich diagnostizierte Demenzerkrankung aufweisen. Etwas weniger als die Hälfte der Betroffenen (n=54) lebt allein zu Hause - 37% sind davon hochaltrig (über 85 Jahre). Die Demenzprävalenz ist bei Frauen mit 60% höher als bei Männern; der weibliche Anteil alleinlebender demenziell Erkrankter fällt mit 70% im Vergleich zum männlichen noch höher aus. Über die Hälfte der alleinlebenden demenziell erkrankten Personen weisen schwere Beeinträchtigungen in der Selbstständigkeit auf (Pflegegrad 3). Über 20% der Betroffenen wurden in Pflegegrad 4 bzw. 5 eingestuft. Die Inanspruchnahme des ambulanten Pflegedienstes wird in erster Linie von Familienangehörigen (53%) initiiert. Am zweithäufigsten veranlasst ein rechtlicher Betreuer/ eine rechtliche Betreuerin (20%) die ambulante Versorgung. Bei 15% der Betroffenen wird die ambulante Pflege durch ärztliches Personal (behandelnder Hausarzt/ behandelnde Hausärztin oder Krankenhauspersonal) eingeleitet. Die Initiative, einen ambulanten Pflegedienst zu bemühen, geht am wenigsten von den/der Betroffenen selbst aus (3%). Der Großteil der alleinlebenden demenziell Erkrankten nimmt neben der ambulanten Pflege hauswirtschaftliche Unterstützung und/oder weitere Serviceleistungen wie z.B. Essen auf Rädern in Anspruch. Darüber hinaus übernehmen bei 59% der Betroffenen Familienangehörige Pflege- und Betreuungsleistungen. In der häuslichen Pflege erhalten andere Unterstützungsformen wie Ehrenamt (12%) und Freundeskreis/Nachbarschaft (16%) den geringsten Stellenwert.

Diskussion: Die Ergebnisse machen den großen sowie geschlechtersensiblen Versorgungsbedarf von alleinlebenden Personen mit Demenz deutlich. Es kann gezeigt werden, dass Personen mit dieser Erkrankung im hohen Lebensalter und auch mit schwerer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit allein leben können. Dies kann in den meisten Fällen (nur) ermöglicht werden, weil sich die Betroffenen auf die Unterstützung ihrer Angehörigen verlassen können. Somit stellt die häusliche Versorgung bei an Demenz erkrankten Personen ohne familiäre Ressourcen eine besondere Herausforderung dar. Die Studienbefunde machen deutlich, dass sich die Betroffenen in aller Regel nicht eigenständig professionelle Unterstützung suchen. Mit der künftigen Abnahme des Anteils familiärer Pflege kommt daher der Vernetzung kommunaler Akteure sowie einem „demenzfreundlichen“ Umfeld eine enorme Bedeutung zu.

Praktische Implikationen: Aus den Ergebnissen ergeben sich folgende Fragen an die Praxis:

1.
Wie können Alleinlebende mit einer Demenzerkrankung ohne familiäre Ressourcen für Versorgungsangebote erreicht werden?
2.
Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede müssen bei der häuslichen Versorgung beachtet werden?
3.
Wie funktioniert eine Vernetzung auf Struktur- und Individualebene, um prekäre Versorgungssituationen zu verhindern?