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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Lipödem – Eine Herausforderung in der Versorgung?

Meeting Abstract

  • Sandra Tobisch - BSN medical, Hamburg, Deutschland
  • Winfried Schneider - Ödemzentrum Klinik „Haus am Schlosspark“, Bad Berleburg, Deutschland
  • Ralf Reintjes - ECON-EPI, Wentdorf bei Hamburg, Deutschland
  • Katja Schönweiß - BSN-JOBST, Emmerich am Rhein, Deutschland
  • Annette Kassen - BSN medical, Hamburg, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP045

doi: 10.3205/15dkvf280, urn:nbn:de:0183-15dkvf2802

Published: September 22, 2015

© 2015 Tobisch et al.
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Text

Hintergrund: Das Lipödem ist eine chronische progrediente Erkrankung, welche gehäuft bei Frauen auftrittv [1]. Diese ist durch eine disproportionale Vermehrung des Unterhautfettgewebes der unteren Extremitäten und in wenigen Fällen der oberen Extremitäten charakterisiert [1]. Obwohl das Lipödem vor über 60 Jahren erstmals beschrieben wurde, ist es bis heute vielen Ärzten unbekannt [1]. Dies führt häufig zu einer falschen oder verspäteten Diagnose und zu einem langen Leidensprozess für die Patienten [1]. Da eine frühzeitige Behandlung einen großen Einfluss auf die Langzeitprognose der Patienten hat [2], ist es umso wichtiger diese häufig als schlicht übergewichtig stigmatisierten Patienten korrekt zu diagnostizieren [1], [3]. Das Fehlen einer ICD-10 Kodierung des Lipödems erschwert zusätzlich die systematische Dokumentation dieser bisher wenig beachteten Erkrankung [3].

Fragestellung: Wie verändern sich Therapie und Arbeitsfähigkeit von Lipödem-Patienten während eines stationären Aufenthalts in einem Ödemzentrum im Vergleich zur vorherigen ambulanten Therapie?

Methode: Es wurde eine historische Kohortenstudie in einem Ödemzentrum durchgeführt. Die Studienpopulation umfasste 155 zufällig ausgewählten Patienten zwischen 30–60 Jahren, welche 2008 an einer stationäre Reha in dem Ödemzentrum teilnahmen (86,5% weiblich, mittleres Alter 47,0±7,4 Jahre). Pseudonymisierte Daten zu Demographie, Risikofaktoren, Krankheitsbild und Therapie wurden aus den Patientenakten erfasst. Lipödem Patienten wurden anhand der Diagnose im Therapieplan identifiziert (n=82), welche anhand von deskriptiven Analysen (absolute und relative Häufigkeiten sowie Mittelwert und Standardabweichung) mit IBM SPSS Statistics 20 analysiert wurden.

Ergebnisse: 52,9% der Patienten in dem Ödemzentrum hatten ein Lipödem. Die Prävalenz war bei Frauen statistisch signifikant höher als bei Männern (59,0% vs. 14,3%, p<0,001). 45,1% der Lipödem-Patienten hatten eine BMI ≥ 40kg/m² (durchschnittlicher BMI 41,0±11,5 kg/m²). 48,8% der Patienten waren im Jahr vor Aufnahme in das Ödemzentrum bis zu 3 Monate arbeitsunfähig. Vor der stationären Aufnahme in die Klinik erhielten 72,0% der Lipödem-Patienten manuelle Lymphdrainage (MLD), 28,0% Kompressionsbandagierung und 69,5% wurden mit Kompressionsstrümpfen versorgt. Bei 61.4% wurden Kompressionsstrümpfe der Klasse 2 und bei 8,8% der Klasse 3 verwendet. 24,4% der Patienten erhielten ambulant keine MLD und 9,8% kamen ganz ohne Vorbehandlung in die Klinik. Während des stationären Aufenthalts erhielten 25,6% der Patienten erstmalig eine Kompressionsbestrumpfung, wobei bei der Erstverordnung sowie der Anpassung der Versorgung eine individualisierte Bestrumpfung gewählt wurde (Flachgestrickte Strümpfe, geteilte Versorgung, additive Bestrumpfung). Nach Ablauf der Reha konnten 76,8% der Patienten arbeitsfähig entlassen werden (Steigerung um 45,1% zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme).

Diskussion: Das Lipödem stellte 2008 mit 53% eine häufige Erkrankung in dem spezialisierten Zentrum dar, was einem Anstieg der Prävalenz des Lipödems oder einer Mischform im Vergleich zu 2003 von 15% entspricht [2]. Zusätzlich zeigen die Daten deutlich die Heterogenität der Patientenversorgung: Mehr als 70% der Patienten erhielten ambulante MLD, was möglicherweise dadurch zu erklären ist, dass es sich hier um Patienten mit Mischödemen handelte die anhand der empfohlenen komplexen physikalischen Entstauungstherapie behandelt wurden [4]. Die Notwendigkeit der MLD bei Lipödemen wird jedoch unterschiedlich diskutiert [2], [3], [5]. Über 60% der Patienten mit Lipödem wurden ambulant mit Kompressionsstrümpfen der Klasse 2 versorgt, wobei die Kompressionsbehandlung während der Reha individuell angepasst wurde. Dem gegenüber stehen fast 10% der Patienten, die keinerlei Vorbehandlung erhielten. Die individualisierte Kompressionsbestrumpfung während des stationären Aufenthalts deutet auf ein Verbesserungspotential der ambulanten Behandlung hin.

Diese Studie liefert Einblicke in die Versorgung von Lipödem-Patienten, wenngleich die Generalisierbarkeit der Daten eingeschränkt ist, da es sich um eine monozentrische Studie handelt bei der Daten der klinischen Routine erfasst wurden.

Praktische Implikationen: Das Lipödem ist eine zunehmende Erkrankung, die häufig erst mit großer Verzögerung diagnostiziert wird. Populationsbasierte Daten sind notwendig um sowohl das Ausmaß als auch die Ausprägung der Erkrankung in der Bevölkerung zu bestimmen. Vermehrte Aufklärung und praxisorientierte Leitlinien könnten eine frühe Diagnose und rechtzeitige Therapie ermöglichen. Dies ist besonders wichtig auf individueller Ebene, in der Vermeidung von Komplikationen, als auch auf Makroebene durch die Reduzierung von Kosten für das Gesundheitssystem.


Literatur

1.
Dtsch Arztebl. 2005;102:A 1061-67.
2.
Ann Rehabil Med. 2011;35:922-7.
3.
Clinical obesity. 2012. DOI: 10.1111/j.1758-811.2102.0045.x External link
4.
Phlebologie. 2005;34:42-4.
5.
J Dtsch Dermatol Ges. 2013 Mar;11(3):225-33.