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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Effektivität von hochintensiver multimodaler Schmerztherapie

Meeting Abstract

  • Anna-Maria Schneider - Algesiologikum - Zentren für Schmerzmedizin, München, Deutschland
  • Volker Eric Amelung - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Deutschland
  • Matthias Karst - Medizinische Hochschule Hannover, Interdisziplinäre Schmerzambulanz der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Hannover, Deutschland
  • Reinhard Thoma - Algesiologikum - Zentren für Schmerzmedizin, Algesiologikum - Klinik für Schmerzmedizin Maxvorstadt, München, Deutschland
  • Bernhard Klasen - Algesiologikum - Zentren für Schmerzmedizin, Algesiologikum - MVZ München, München, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP101

doi: 10.3205/15dkvf184, urn:nbn:de:0183-15dkvf1843

Published: September 22, 2015

© 2015 Schneider et al.
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Text

Hintergrund: Die Prävalenzrate von Patienten mit chronischen Schmerzen liegt in Deutschland zwischen 15 und 25% [1]. Die derzeitigen ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen sind nicht ausreichend, um alle Betroffenen adäquat behandeln zu können. Im ambulanten Sektor ist die Anzahl der speziellen Schmerztherapeuten in Deutschland zu gering, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten [2]. Im Rahmen der stationären Behandlung von chronischen Schmerzen gilt zwar v.a. die multimodale Schmerztherapie als effektiv und nachhaltig [3], dennoch sind derzeit nur ca. 5% der schmerztherapeutisch kodierten OPS-Kodes Multimodale (Qualitätsberichte der Krankenhäuser 2012). Zudem sind die notwendigen komplexen und kostenintensiven Infrastrukturen im Rahmen der aktuellen Vergütungsstrukturen v.a. im stationären Sektor kaum kostendeckend leistbar.

Fragestellung: Die vorliegende Untersuchung soll zeigen, welchen direkten Effekt eine stationäre multimodale Schmerztherapie von mindestens 10 Tagen in der Regelversorgung hat.

Methode: 345 chronische Schmerzpatienten füllten sowohl zu Beginn als auch bei Abschluss einer multimodalen Schmerztherapie mit einer mittleren Verweildauer von 15 ± 4 (Range: 10–25) Tagen jeweils einen Deutschen Schmerzfragebogen 2007 bzw. einen Schmerz-Verlaufsfragebogen 2007 aus. Die Effektivität der multimodalen Schmerztherapie wurde anhand von Mittelwertvergleichen bei verbundenen Stichproben in einer Prä-Post-Messung hinsichtlich verschiedener Schmerzparameter (aktuelle, mittlere und größte Schmerzstärke; Beeinträchtigung in Alltag, Freizeit und Beruf) und psychischer Faktoren (Ängstlichkeit und Depressivität (HADS); affektives Schmerzerleben (SBL); schmerzbezogene Lebensqualität (FW7)), gemessen.

Ergebnisse: Die Patienten waren 56 ± 14 (Range 20–88) Jahre alt, wobei 72,5% der Teilnehmer weiblich waren. Vor der multimodalen Schmerztherapie wiesen 82% der Patienten einen Schweregrad nach von Korff [4] von 4 und 13% von 3 auf. Am Ende der Behandlung lag nur noch bei 66% der Patienten ein Schweregrad nach von Korff von 4 und bei 29% ein Schweregrad von 3 vor. Die Prä-Post-Messung ergab signifikante Verbesserungen für die aktuelle (VAS von 6,5 auf 5,5; t = 8,309; df = 324; p < ,001***), mittlere (VAS von 7,1 auf 6,3; t = 6,265; df = 307; p < ,001***) und größte (VAS von 8,5 auf 8,0 t = 5,376; df = 308; p < ,001***) Schmerzstärke, für die Beeinträchtigung in Alltag (VAS von 6,4 auf 5,4; t = 6,921; df = 317; p < ,001***), Freizeit (VAS von 7,3 auf 5,9; t = 9,472; df = 307; p < ,001***) und Beruf (VAS von 7,4 auf 6,3; t = 7,815; df = 291; p < ,001***), hinsichtlich der Ängstlichkeit (VAS von 9,8 auf 8,3; t = 8,169; df = 306; p < ,001***), Depressivität (VAS von 10,3 auf 8,5; t = 9,078; df = 304; p < ,001***), dem subjektiven Schmerzempfinden (VAS von 6,1 auf 5,1; t = 3,479; df = 234; p < ,01**) und der Lebensqualität (VAS von 10,3 auf 16,3; t = -11,443; df = 302; p < ,001***).

Diskussion: Die vorliegende Prä-Post-Messung bestätigt die Effektivität eines hochintensiven multimodalen und interdisziplinären Therapieprogramms bei chronischen Schmerzpatienten. Sowohl die verschiedenen Schmerzparameter als auch die erhobenen psychischen Faktoren verbessern sich höchst signifikant. In einem weiteren Schritt wird untersucht, ob sich die gefundenen Effekte in Abhängigkeit bestimmter Diagnosen, Therapieintensitäten oder anderen Parametern verstärken oder abschwächen. Derzeit laufen dazu bereits Nachbefragungen über zwei Jahre mit einem halbjährlichen Abstand.

Praktische Implikationen: Insgesamt besteht in Deutschland durch eine nicht leistungsorientierte Vergütung der Anreiz, eine möglichst geringe Therapieintensität bei geringer Therapiedauer zu erbringen. Die Nachhaltigkeit der multimodalen Schmerztherapie wird hingegen durch das intensive Einüben veränderter Strategien in Bezug auf den Umgang mit und die Einstellungen zu den chronischen Schmerzen sowie die Verbesserung der Selbsteinschätzung der eigenen Kräfte erzielt. Nur durch den Nachweis von Effektivität und Nachhaltigkeit können Argumente für eine Änderung des derzeitigen Vergütungssystems gefunden und gleichzeitig der Patientennutzen gesteigert werden.

* p < 0,05: signifikant;
** p < 0,01: sehr signifikant;
*** p < 0,001: höchst signifikant


Literatur

1.
Wolff R, Clar C, Lerch C, Kleijnen J. Epidemiology of chronic non-malignant pain in Germany. Schmerz. 2011;25:26-44.
2.
BVSD. Pressemitteilung. 2015. Verfügbar unter: http://www.bv-schmerz.de/medien/pdf/bvsd_230315.pdf [zuletzt abgerufen am 2015 Mar 30] External link
3.
BÄK; KBV; AWMF. National disease management guideline: Low back pain (short version). 1st ed. 2013. http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/kreuzschmerz/kreuzschmerz-1aufl-vers4-short.pdf [zuletzt abgerufen am 2015 Apr 13] External link
4.
Von Korff M, Ormel J, Keefe FJ, Dworkin SF. Grading the severity of chronic pain. Pain. 1992;50:133-49.