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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Einfluss der neu eingeführten Leitlinie auf die Ersttherapie von Epilepsie-Patienten

Meeting Abstract

  • Julia Ertl - Gesundheitsforen Leipzig GmbH, Medizin und Versorgungsforschung, München, Deutschland
  • Berhardt Forth - Desitin Arzneimittel GmbH, Hamburg, Deutschland
  • Thomas Peckmann - Desitin Arzneimittel GmbH, Hamburg, Deutschland
  • Adam Strzelczyk - Philipps-Universität Marburg, Epilepsiezentrum Hessen, Marburg, Deutschland
  • Katharina Larisch - Gesundheitsforen Leipzig GmbH, Medizin und Versorgungsforschung, München, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocP095

doi: 10.3205/15dkvf178, urn:nbn:de:0183-15dkvf1785

Published: September 22, 2015

© 2015 Ertl et al.
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Text

Hintergrund: Die Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen Krankheiten des zentralen Nervensystems, es werden mehr als 30 verschiedene Syndrome beschrieben. In Deutschland sind etwa 0,5 bis 0,8 Prozent der Bevölkerung an Epilepsie erkrankt, das sind etwa 400.000–640.000 Menschen. Nach dem ersten Anfall kann bei hohem Rezidivrisiko eine medikamentöse Therapie beginnen, nach mehreren Anfällen wird in der Regel therapiert. Ziel der Therapie ist die Anfallsfreiheit bzw. die Anfallsreduktion. In 2008 wurde von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie die Leitlinie „Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter“ publiziert und in 2012 aktualisiert.

Fragestellung: Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Frage, ob die Veröffentlichung der Leitlinie zur Epilepsiebehandlung für Erwachsene zu einer Änderung des Therapieverhaltens von Ärzten geführt hat.

Methode: Für eine eindeutige Einteilung der Epilepsie-Patienten in Untergruppen wurde eine Hierarchisierung der ICD Diagnosen durchgeführt, da die Therapie vom Epilepsie-Syndrom abhängig ist. Die definierte Regel besagt „Eindeutig erkennbare Epilepsie-(Unter)Diagnosen überschreiben Epilepsie-Diagnosen mit eher unspezifische Symptomen“. Als neu diagnostiziert wurden Versicherte mit einem 12 monatigem Epilepsiediagnose- und -medikationsfreiem Vorbeobachtungszeitraum gewertet. Unter der Beachtung von weiteren Ausschlussdiagnosen wie Schizophrenie, wurde die Umsetzung der Leitlinie mit Hilfe der Pharmazentralnummern analysiert. Als Datengrundlage dient eine Zusammenführung der Abrechnungsdaten verschiedener gesetzlicher Krankenkassen in vollständig anonymisierter Form.

Ergebnisse: Im Zeitraum 2007 bis 2012 wurden 14.627 vollversicherte neudiagnostizierte Epilepsie-Patienten in der Forschungsdatenbank identifiziert. Ein Viertel der diagnosefreien Epilepsie-Patienten wurde bereits mit einem Wirkstoff aus der Gruppe der Antiepileptika therapiert und für die weitere Analyse ausgeschlossen. Die Leitlinie empfiehlt eine Monotherapie als Ersttherapie. Der Anteil der empfohlenen Monotherapie steigt von 20,96% in 2009 auf 34,40% in 2012. Der Anteil der nicht empfohlenen Monotherapie sinkt im gleichen Zeitraum von 20,96% auf 15,02%. Konstant bleibt der Anteil der Epilepsie-Patienten, die von Anfang an eine Polytherapie bekommen (9,74% in 2009, 11,91% in 2012). Der Anteil der Epilepsie-Patienten ohne Medikation sinkt im beobachteten Zeitraum von 49,90% auf 38,67%. Die Therapie mit dem Wirkstoff Levetiracetam zeigt einen deutlichen Zuwachs über die Jahre (29,36% in 2009, 54,55% in 2012), während Carbamazepin merklich an Anteil verliert (11,68% auf 1,52%). Welche Rolle der Patentablauf von Levetiracetam 3/2011 spielt, wurde nicht untersucht. Der Anteil von Levetiracetam ist in allen Subgruppen am höchsten, unabhängig von der jeweiligen Leitlinie.

Diskussionen: Eine besondere Herausforderung der Analyse war die korrekte Einteilung der Epilepsie-Patienten auf Basis der ICD-10 Kodierung in GKV Abrechnungsdaten, da hier Anfallsformen und Syndrome vermischt werden. Die eindeutige Einteilung der Epilepsie-Patienten in die unterschiedlichen Epilepsieformen war nur bei einem Teil der Versicherten möglich. Bei der Medikamentenverordnung zeigt sich eine langsame Umsetzung der publizierten Leitlinie mit einer Zunahme der „richtig“ therapierten Epilepsie-Patienten um 15 Prozent innerhalb von 4 Jahren und einer Abnahme der nicht gemäß Leitlinie Behandelten.

Praktische Implikationen: Die Analyse zeigt, dass eine korrekte Einteilung der Versicherten mit Epilepsie Kodierung durchsehr sorgfältige Auswahl der Ein- und Ausschlusskriterien sowie mit Hilfe von Medikamenteninformationen möglich ist. Medizinische Leitlinien werden international als bedeutendes Instrumentarium des Qualitätsmanagements gesehen, die Gesundheitsversorgung soll so konsistenter und effizienter erfolgen. Die Wirksamkeit einer Leitlinie hängt jedoch ganz wesentlich von der Verbreitung und Umsetzung ab. Die Untersuchung zeigt, dass auch vier Jahre nach Einführung der Epilepsieleitlinie die Empfehlungen nur in Teilen berücksichtigt werden.