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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

AMTS: Pharmakovigilanz mit Hilfe von GKV-Abrechnungsdaten

Meeting Abstract

  • Roland Linder - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Sebastian Klose - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Frank Verheyen - WINEG - Wissenschaftliches Institut der TK für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Hamburg, Deutschland
  • Markus Schwaninger - Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universität zu Lübeck, Lübeck, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocV44

doi: 10.3205/15dkvf138, urn:nbn:de:0183-15dkvf1387

Published: September 22, 2015

© 2015 Linder et al.
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Text

Hintergrund: Im Anschluss an die gut kontrollierten klinischen Zulassungsstudien beobachtet die Pharmakovigilanz die Sicherheit von Medikamenten in der realen Welt. Im Unterschied zu den üblichen Spontanmeldesystemen versprechen GKV-Routinedaten unkomplizierte, bevölkerungsbasierte Analysen zur Erkennung und Abwehr von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW).

Fragestellung: Im Sinne einer Machbarkeitsstudie für ein geplantes Pharmakovigilanz-Monitoring auf Basis von Routinedaten wurde an mehreren Beispielen untersucht, ob sich retrospektiv die Ergebnisse von klinischen Studien und eines Fallberichts mit GKV-Routinedaten der Techniker Krankenkasse verifizieren lassen.

Methode: Ausgangspunkt waren die GKV-Routinedaten aller Versicherten der Techniker Krankenkasse, an welche im Zeitraum 2009–2012 entsprechende Arzneimittel abgegeben wurden. Innerhalb des Nachbeobachtungszeitraums wurde das Risiko für definierte Komplikationen mit dem einer für jede Fragestellung separaten Kontrollgruppe mit an derselben Grunderkrankung leidenden Patienten verglichen. Zur Kontrollgruppenbildung wurde ein Propensity Score Interval Matching unter Verwendung von Lebensalter, Geschlecht und Elixhauser-Komorbiditätsindex genutzt. Im Einzelnen wurde untersucht, a) ob das kardiovaskuläre Risiko für Azithromycin den Ergebnissen einer vergleichbaren dänischen Studie [1] entspricht, b) ob sich nach der Gabe von Antiepileptika hinsichtlich möglicher cerebro- und kardiovaskulärer Risiken ähnliche Ergebnisse zeigen wie in einer aktuellen US-amerikanischen Studie [2], c) inwieweit das in den GKV-Daten analysierte Risiko für eine Agranulozytose nach Gabe von Metamizol mit dem in einer schwedischen klinischen Studie [3] berichteten übereinstimmt und d) ob die sich auf Fallberichte stützende Entscheidung des Bundesinstituts BfArM vom 1.8.2013 [4], die Zulassung für Tetrazepam aufgrund der Gefahr lebensbedrohlicher Hautreaktionen ruhen zu lassen, in den GKV-Daten nachvollzogen werden kann.

Ergebnisse: UAW können in den GKV-Routinedaten dargestellt werden. Expositionen und Ereignisse lassen sich tagesgenau identifizieren und einzelnen Episoden zuordnen. Die bisherigen Erkenntnisse aus Studien und Fallberichten lassen sich in allen Fällen mit den GKV-Routinedaten verifizieren:

a) Wie in der dänischen Studie ist das kardiovaskuläre Risiko für Ältere erhöht, wobei diesbezüglich kein Unterschied zwischen einer Behandlung mit Azithromycin vs. Penicillin besteht. Zusätzlich zeigt diese Studie das vermutete arrhythmogene Potenzial von Azithromycin auf.
b) Übereinstimmend mit der US-amerikanischen Studie bedeuten CYP 450 induzierende Antiepileptika im Vergleich zu nicht induzierenden Antiepileptika kein erhöhtes Risiko für cerebro- und kardiovaskulärer Ereignisse.
c) Das ermittelte Risiko einer Agranulozytose bestätigt die schwedische Studie.
d) Erstmals konnte auf Basis einer repräsentativen Datengrundlage die vermutete Assoziation zwischen Tetrazepam und Hautreaktionen (Erythema multiforme, Steven-Johnson-Syndrom und toxisch epidermale Nekrolyse) nachgewiesen werden.

Diskussion: Die Studie zeigt, dass sich GKV-Routinedaten für Fragen der Pharmakovigilanzforschung eignen. Für alle untersuchten Fragestellungen konnten vorbestehende Erkenntnisse verifiziert werden. Am Beispiel von Tetrazepam, für das die Assoziation zu Hautreaktionen nur aufgrund von Fallberichten angenommen wurde, konnte die Richtigkeit der Entscheidung des BfArM bestätigt werden. In Bezug auf die Untersuchungen zur Agranulozytose erscheinen weiterführende Analysen sinnvoll, um das Nutzen-Schaden-Verhältnis für Metamizol unter Beachtung der Therapiealternativen und ihrer jeweiligen UAW neu zu bewerten.

Praktische Implikationen: Nach diesen sehr erfolgreich durchgeführten Machbarkeitsstudien wird nun zu prüfen sein, inwieweit sich GKV-Routinedaten zur Aufdeckung bislang unbekannter Assoziationen zwischen Bestandsmedikation und UAW eignen und welchen proaktiven Beitrag sie damit für die Pharmakovigilanzforschung leisten können. Auch wenn auf dem Weg zu einem weitgehend automatisierten Monitoring mit einigen technischen und methodischen Herausforderungen zu rechnen sein wird, etwa dem Ausschluss von Confounding durch Komorbiditäten oder Begleitmedikation, so sind die bisherigen Ergebnisse sehr ermutigend.


Literatur

1.
Svanström H, Pasternak B, Hviid A. Use of azithromycin and death from cardiovascular causes. N Engl J Med. 2013;368:1704-12.
2.
Patorno E, Glynn RJ, Hernandez-Diaz S, Avorn J, Wahl PM, Bohn RL, Mines D, Liu J, Schneeweiss S. Risk ofischemic cerebrovascular and coronary events in adult users of anticonvulsant medications in routine care settings. J Am Heart Assoc. Aug 2013;2(4):e000208.
3.
Hedenmalm K, Spigset O. Agranulocytosis and other blood dyscrasias associated with dipyrone (metamizole). Eur J Clin Pharmacol. 2002;58:265-74.
4.
Rote-Hand-Brief zu Tetrazepam-haltigen Arzneimitteln: Ruhen der Zulassung zum 1. August 2013. (Sanofi-Aventis Deutschland GmbH vom Juni 2013).