gms | German Medical Science

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Vermeidbare Krankenhausaufnahmen bei Diabetes mellitus in Deutschland: Zeitreihen auf Bundeslandebene für die Jahre 2005–2012

Meeting Abstract

  • Johannes Pollmanns - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland
  • Saskia Drösler - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland
  • Maria Weyermann - Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV64

doi: 10.3205/15dkvf121, urn:nbn:de:0183-15dkvf1212

Published: September 22, 2015

© 2015 Pollmanns et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Ambulatory care sensitive conditions sind Erkrankungen, bei denen Krankenhausaufnahmen durch adäquate ambulante Therapie potentiell vermieden werden können. Die Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nutzt bevölkerungsbezogene Raten potentiell vermeidbarer Krankenhausaufnahmen als Indikatoren für den Zugang zur und die Qualität der ambulanten Versorgung in ihren Mitgliedsländern. Für den Indikator Diabetes mellitus zeigen sich für die Jahre 2006 und 2011 in Deutschland höhere Raten als im OECD-Durchschnitt.

Fragestellung: Der OECD-Indikator Diabetes umfasst mehrere Einzelindikatoren. Ziel war es, diese spezifischeren Indikatoren als Zeitreihen auf Bundeslandebene zu untersuchen und somit die Versorgungssituation bei Diabetes in Deutschland genauer zu beschreiben.

Methode: Es wurden vier Indikatoren ermittelt: Krankenhausaufnahmen bei sich kurzfristig entwickelnden Komplikationen, bei langfristigen Komplikationen, bei Entgleisungen ohne Komplikationen sowie Aufnahmen mit Durchführung von Amputationen. Die Analysen erfolgten anhand der vollständigen Abrechnungsdaten der Krankenhäuser nach § 21 KHEntgG, welche mittels kontrollierter Datenfernabfrage über die Forschungsdatenzentren des statistischen Bundesamtes genutzt werden können. Berücksichtigt sind Behandlungsfälle mit einem Alter größer 14 Jahre, in denen eine diabetes-assoziierte Hauptdiagnose dokumentiert wurde. Auf dieser Grundlage konnten bevölkerungsbezogene Raten, direkt altersstandardisiert und nach Geschlecht stratifiziert, ermittelt werden. Die Betrachtung erfolgte hierbei für den Zeitraum von 2005 bis 2012 auf Bundeslandebene. Die Signifikanz der Entwicklung wurde über einen Vergleich der 95%-Konfidenzintervalle der Jahre 2005 und 2012 eruiert.

Ergebnisse: Die Zeitreihen der Indikatoren zeigen kein einheitliches Bild. Bei den Krankenhausaufnahmen mit kurzfristigen Komplikationen ist deutschlandweit ein Rückgang erkennbar. Bei den Männern lag die Rate im Jahr 2005 bei 19,5 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner (Frauen: 17,2), diese hat sich auf 14,7 Aufnahmen im Jahr 2012 verringert (Frauen: 11,6). Die Entwicklung war in einem Großteil der Bundesländer statistisch signifikant. Ebenfalls rückläufig sind die Aufnahmen mit langfristigen Komplikationen (Männer: von 227 auf 217, Frauen: 156 auf 122 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner). Hierbei sind deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern erkennbar: So lag das Maximum bei den Männern im Jahr 2012 mit einer Rate von 344 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner in Mecklenburg-Vorpommern, während der niedrigste Wert mit 124 Aufnahmen in Bremen vorlag. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigten sich auch beim Indikator Entgleisungen ohne Komplikationen, der bei den Männern deutschlandweit um 28 % gestiegen ist (Frauen: 4,5 %). Die Entwicklung in der weiblichen Population war nur in sieben Bundesländern statistisch signifikant. Auffällig ist die hohe Rate in Mecklenburg-Vorpommern, die über alle Jahre und beide Geschlechter ersichtlich wurde. Im Jahr 2012 lag die Rate bei den Männern bei 145 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner, während die zweithöchste Rate mit einem Wert von 91 Aufnahmen in Sachsen-Anhalt zu beobachten war. Die Rate der Aufnahmen bei Amputationen hat sich in der männlichen Population der Bundesrepublik um durchschnittlich 2,3 % erhöht. Statistisch signifikant ist diese Zunahme nur in den Bundesländern Schleswig-Holstein (+27 %), Mecklenburg-Vorpommern (+33 %) und Thüringen (+ 14 %). Bei den Frauen zeigte sich insgesamt eine Abnahme der Aufnahmen aufgrund von Amputationen von 21 % (von 26,8 auf 21,6 Aufnahmen pro 100.000 Einwohner).

Diskussion: Die Abnahmen bei den Indikatoren zu kurz- und langfristigen Komplikationen lassen auf eine Verbesserung in der kontinuierlichen Versorgung der Erkrankung Diabetes mellitus schließen. Allerdings sind Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beobachten. Bestehende Qualitäts- und Zugangsdefizite liegen möglicherweise in einer geringeren Inanspruchnahme sowie Compliance in der männlichen Population begründet. Die langfristigen Verbesserungen des Versorgungsmanagements können auch den Rückgang der Amputationen in der weiblichen Bevölkerung begründen, während bei den Männern der nur geringe Rückgang der langfristigen Komplikationen keine Verringerung der Amputationen nach sich zieht. Der Anstieg der Aufnahmen mit Entgleisungen ohne Komplikationen lässt darauf schließen, dass die Verbesserung in der Versorgung die Rate der frühen Ersterkennungen des Diabetes mellitus nicht erhöht hat, weshalb die Erkrankung häufig erstmals in einer Entgleisung symptomatisch wird.

Praktische Implikationen: Möglichen Defiziten in der Inanspruchnahme ambulanter Versorgungsstrukturen innerhalb der männlichen Bevölkerung sollte mit zusätzlichen Anreizen entgegengewirkt werden. Zur früheren Ersterkennung des Diabetes mellitus kann eine engere hausärztliche Betreuung von Risikopatienten notwendig sein.