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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Die Einschätzung des krankheitsspezifischen Mortalitätsrisikos von Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom ist assoziiert mit der Behandlungsstrategie

Meeting Abstract

  • Friederike Kendel - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Psychologie, Berlin, Deutschland
  • Lukas Helbig - Charité - Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Psychologie, Berlin, Deutschland
  • Mark Schrader - HELIOS Klinikum Berlin-Buch, Klinik für Urologie, Berlin, Deutschland
  • Wolfgang Gaissmaier - Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Adaptives Verhalten und Kognition, Berlin, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV86

doi: 10.3205/15dkvf106, urn:nbn:de:0183-15dkvf1068

Published: September 22, 2015

© 2015 Kendel et al.
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Hintergrund: Für das lokal begrenzte Prostatakarzinom stehen unterschiedliche Behandlungsstrategien zur Verfügung, die von invasiven Verfahren wie der radikalen Prostatektomie (RP) bis zu abwartenden Strategien „Active Surveillance“ (AS) reichen. Diese Behandlungsstrategien unterscheiden sich grundlegend in ihren Nebenwirkungen, Unterschiede in der Mortalität sind für das Low-Risk-PCa nicht nachgewiesen, für das lokal begrenzte PCa mit mittlerem bzw. hohem Risiko sind die Unterschiede nur gering.

Fragestellung: Ziel dieser Studie ist die Erfassung der krankheitsspezifischen Risikoeinschätzung von Patienten mit einem lokal begrenzten Prostatakarzinom. Wir nehmen an, dass Patienten unter Active Surveillance eine genauere Risikoeinschätzung abgeben als Patienten nach radikaler Prostatektomie. Wir nehmen weiterhin an, dass die Patienten bei der Einschätzung einem optimistischen Bias unterliegen, indem das Risiko für die eigene Behandlungsstrategie niedriger eingeschätzt wird als das Risiko für andere Behandlungsstrategien und dass affektive Komponenten die Einschätzung zusätzlich beeinflussen.

Methode: Wir führten eine querschnittliche, multizentrische Studie mit Patienten mit einem lokal begrenzten Prostatakarzinom (N = 372) und einer Therapiedauer von 1-5 Jahren durch. Männer unter AS (n = 222) und nach RP (n = 150) beantworteten Selbstbeobachtungsfragebögen zur krankheitsspezifischen Angst (MAX-PC) sowie Fragen zur nummerischen Einschätzung des krankheitsspezifischen Mortalitätsrisikos. Der Mann-Whitney-U-Test wurde für Zusammenhangsanalysen von jeweils zwei Verteilungen verwendet. Mit einer multiplen Regressionsanalyse wurde der Zusammenhang von unabhängigen Variablen (Krankheitsangst, soziodemographische Variablen) und dem Kriterium (Risikoeinschätzung) modelliert.

Ergebnisse: Die Teilnehmer überschätzten insgesamt die krankheitsspezifische Mortalität substantiell. AS Patienten schätzten das Risiko, unter Active Surveillance an der Krankheit zu versterben, geringer ein als RP Patienten (24% vs. 50.9%, p < 0.001). Umgekehrt war die Risikoeinschätzung von RP Patienten für die radikale Prostatektomie signifikant niedriger als die Risikoeinschätzung von AS Patienten (17.8% vs. 30.8%; p < 0.001). Die multiple Regressionsanalyse zeigte einen unabhängigen Einfluss von Therapiegruppe, Krankheitsangst, Alter und Bildung.

Diskussionen: Informationen zu Mortalitätsrisiken sind handlungsleitend und damit eine wichtige Voraussetzung für Behandlungsentscheidungen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Patienten das Mortalitätsrisiko generell überschätzen. Dabei unterliegen sie vermutlich einem optimistischen Bias, indem das krankheitsspezifische Mortalitätsrisiko für die eigene Behandlungsstrategie geringer eingeschätzt wird als für andere Behandlungsstrategien. Ein weiterer wichtiger (und Modifikationen zugänglicher) Prädiktor ist die Krankheitsangst. Auch nach Adjustierung für Bildung und Alter schätzen AS Patienten, die eine abwartende Strategie gewählt hatten, die Mortalitätsrisiken für verschiedene Behandlungsoptionen genauer ein als Patienten, die sich für eine invasive Strategie entschieden hatten. Obwohl die Richtung des Einflusses mit einer querschnittlichen Erhebung nicht beantwortet werden kann, lassen die Ergebnisse die Interpretation zu, dass AS Patienten besser informiert sind.

Praktische Implikationen: Da die Wahrnehmung des Mortalitätsrisikos Behandlungsentscheidungen und Adhärenz beeinflusst, könnte die Bereitstellung von verständlichen Informationen einen Beitrag zu einer informierten Patientenentscheidung leisten. Bei einer entsprechenden Schulung von Ärzten und Patienten sollten beeinflussende Faktoren wie Krankheitsangst, Bildung und Alter des Patienten Berücksichtigung finden. Zukünftige Interventionsstudien könnten zeigen, inwieweit eine bessere Aufklärung hinsichtlich des Mortalitätsrisikos die Behandlungsentscheidung beeinflusst.