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14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

7. - 9. Oktober 2015, Berlin

Definition und Identifikation der Studienpopulation „Menschen mit Demenz“ in Einrichtungen der stationären Altenhilfe in Deutschland: systematisches Review zu Sampling-Methoden

Meeting Abstract

  • Rebecca Palm - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland
  • Saskia Jünger - Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Institut für Allgemeinmedizin, Hannover, Deutschland
  • Sven Reuther - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland
  • Christian Schwab - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland
  • Martin Dichter - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland
  • Bernhard Holle - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland
  • Margareta Halek - Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE), Standort Witten, Witten, Deutschland

14. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 07.-09.10.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocFV37

doi: 10.3205/15dkvf051, urn:nbn:de:0183-15dkvf0512

Published: September 22, 2015

© 2015 Palm et al.
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Text

Hintergrund: Die Evaluation der Diagnose Demenz stellt bei Bewohnern von Altenhilfeeinrichtungen eine große Herausforderung dar: sie ist ressourcenintensiv und erfordert sowohl ein hohes Maß an Expertise in Bezug auf die Anwendung diagnostischer Verfahren, als auch umfangreiches Wissen über den jeweiligen Bewohner. Eine Diagnosestellung kann in Studien der Versorgungsforschung nicht immer geleistet werden, so dass Forscher unterschiedliche Verfahren zur Identifikation der Stichproben anwenden.

Fragestellung: Welche verschiedenen Methoden zur Stichprobenbestimmung im Hinblick auf die Definition und Identifikation von Menschen mit Demenz und kognitiven Einschränkungen wurden in empirischen Studien der Versorgungsforschung in Altenhilfeeinrichtungen in Deutschland bislang angewendet? Welche Implikationen ergeben sich daraus?

Methode: Es wurde eine systematische Literatursuche in den Datenbanken MEDLINE und CINAHL durchgeführt, um Studien mit Fokus auf Menschen mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen zu identifizieren, die vor 2014 in deutschen Altenpflegeeinrichtungen durchgeführt wurden. Der Einschluss der Studien wurde im Autorenteam konsentiert; die Datenextraktion erfolgte unabhängig von zwei Forschern. Die Studien wurden anschließend hinsichtlich ihrer Sampling-Methode (Einschlusskriterien, Auswahl und Anwendung von Assessmentinstrumenten) verglichen.

Ergebnisse: Es wurden 45 relevante Studien identifiziert und ausgewertet. Es zeigten sich drei grundsätzliche Vorgehensweisen zur Identifikation von Studienteilnehmern: (1) ausschließlich auf der Grundlage einer medizinischen Diagnose Demenz (basierend auf einer vorbestehenden Dokumentation oder während der Studie gestellt); (2) anhand einer dokumentierten Diagnose in Kombination mit zusätzlichen kognitiven Tests; oder (3) ausschließlich anhand neuropsychologischer Test-Ergebnisse. Die Beschreibung der während der Studien durchgeführten diagnostischen Tests war in den meisten Studien nicht vollständig transparent; so fehlte zum Teil die Angabe von Norm- und Cut-off-Werten, die eindeutige Zuweisung ob ein Instrument zu diagnostischen Zwecken oder zur Messung studienrelevanter Erhebungsvariablen verwendet wurde und auf welche Definition und diagnostischen Kriterien sich die Diagnose stützte. Eine klare Begründung für die Auswahl neuropsychologischer Tests und Screenings wurde in wenigen Studien gegeben; eine kritische Diskussion, ob die Zielpopulation mit der angewendeten Stichprobenbildung adäquat abgebildet werden kann, erfolgte ebenfalls selten. Am häufigsten wurde der MMST eingesetzt; hier wurden unterschiedliche Cut-off-Werte für den Einschluss und die Festlegung der Demenzschwere festgelegt. Die Tests durchführenden Personen unterschieden sich in Bezug auf ihre Qualifikation und Ausbildung.

Diskussion: Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieses Reviews sehr heterogene Vorgehensweisen hinsichtlich der Identifikation von Studienteilnehmern, sowie auch in der Transparenz der Definition von Demenz und der Darstellung des gewählten Vorgehens. Pragmatische Erwägungen spielen bei der Planung der Sampling-Strategie eine große Rolle, können jedoch die interne Validität der Studienergebnisse einschränken. Wird eine bereits im Vorfeld dokumentierte Diagnose Demenz als Einschlusskriterium gewählt, muss eine Verzerrung der Ergebnisse durch den Ein-, bzw. Ausschluss von falsch-positiv, bzw. falsch-negativ diagnostizierten Studienteilnehmern diskutiert werden. Die Durchführung einzelner Screenings hat Vorteile in Bezug auf die Durchführbarkeit, genügt aber nicht den Ansprüchen einer Demenz- Diagnosestellung. Es besteht das Risiko eines Selektionsbias. Die Evaluation bzw. Stellung der Diagnose Demenz im Rahmen einer empirischen Studie erfordert zum einen hohe Ressourcen und muss zum anderen auch aus ethischer Sicht kritisch hinterfragt werden.

Praktische Implikationen: Die Notwendigkeit und Praktikabilität einer Kriterien-basierten Demenzdiagnose muss bei der Planung von Studien der Versorgungsforschung sorgfältig abgewogen werden. Wenn keine Kriterien-basierte Demenzdiagnose während der Studie gestellt werden kann, muss die Bezeichnung der Studienpopulation „Menschen mit Demenz“ kritisch hinterfragt werden. Zielt die Studie jedoch explizit auf Menschen mit einer Demenz, bzw. mit einem speziellen Demenz-Typ ab, sollte eine Kriterien-konforme Diagnose vorliegen. Auf Basis dieses Reviews wird empfohlen, die Definition von „Demenz“ sowie Vorgehensweise zur Identifikation der Studienteilnehmer transparent darzustellen, um die Ergebnisse entsprechend differenziert betrachten / einordnen zu können.