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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Perzeptionsstudie zur Geschlechtsabhängigkeit von Bewertungen stimmlich umgesetzter Emotionen unterschiedlicher Intensitätsgrade

Vortrag

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  • author presenting/speaker Verena Brenke - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät der RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
  • corresponding author Christiane Neuschaefer-Rube - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät der RWTH Aachen, Aachen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV35

doi: 10.3205/16dgpp56, urn:nbn:de:0183-16dgpp563

Published: September 8, 2016

© 2016 Brenke et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Während zur Frage der Emotionserkennung von Gesichtern zahlreiche mimische Studien vorliegen, wurde die Realisierung und Beurteilung von Emotionen in der Stimme bisher wenig untersucht. In dieser Studie soll daher untersucht werden, wie männliche und weibliche Rater realisierte Emotionen unterschiedlicher Intensitätsgrade männlicher und weiblicher Stimmen kategorisieren und ob sich eine Geschlechtsabhängigkeit dieser Zuordnungen zeigt.

Material und Methoden: In einer fragebogenbasierten Perzeptionsstudie wurde ein durch Laienschauspieler (3 Männer, 3 Frauen) erstelltes Audioset bewertet. Hierzu wurden verschiedene Sätze der Kategorien Wut, Angst, Trauer, Verachtung, Freude, Scham/Schuld und Überraschung in je 3 Stufen emotionaler Intensität und mit neutraler Stimmlage eingesprochen. 138 ausgewählte Satzbeispiele wurden von 20 weiblichen (MW: 24 J.) und von 20 männlichen Ratern (MW: 25 J.) bewertet, hinsichtlich der wahrgenommenen emotionalen Kategorie und deren zugehörigen Ausprägungsgrades.

Ergebnisse: Die emotionalen Kategorien der Hörbeispiele werden überzufällig häufig richtig erkannt, ohne nachweisbare Unterschiede hinsichtlich der jeweils erkannten Kategorien. In der geschlechtsdifferenzierten Betrachtung erkennen Frauen Wut, Angst, Trauer, Verachtung, Scham/Schuld und Überraschung signifikant häufiger als Männer. Mit steigender eingesprochener emotionaler Intensität werden die gesprochenen Kategorien besser erkannt. Unabhängig von der Art der Emotion wird die realisierte Intensität der Sprecherinnen signifikant höherer bewertet als die der Sprecher. Raterinnen bewerten die Hörbeispiele aller Kategorien mit höherer emotionaler Intensität als männliche Rater. Dieser Unterschied ist für die Kategorien Trauer, Freude und Überraschung signifikant.

Diskussion: Dass die emotionalen Kategorien in den Hörbeispielen beider Geschlechter in ähnlichem Ausmaß erkannt wurden erscheint überraschend, während die Beobachtung, dass die emotionale Kategorie perzeptiv besser von Frauen erkannt wird bereits vermutet werden konnte.

Fazit: Als bislang noch kaum untersuchter Einflussfaktor stellt der Ausprägungsgrad der emotionalen Intensität einen zentralen Punkt der Studie dar, der weiter untersucht werden sollte. Limitierender Faktor der Untersuchung ist die von den Laienschauspielern erbrachte, variierende Qualität der Hörbeispiele.


Text

Hintergrund

Der Zusammenhang zwischen Emotionen und Geschlecht wurde zwar bereits häufig untersucht. Die Mehrzahl dieser Studien bezieht sich aber auf Emotionen der Gesichtserkennung bzw. der Mimik. Dagegen finden sich bisher nur wenige Studien, die sich der Frage widmen, ob und inwieweit sich stimmlich geäußerte Emotionen steigender Intensitätsgrade beider Geschlechter hinsichtlich ihrer perzeptiven Wirkung unterscheiden und ob die Bewertungen männlicher und weiblicher Rater geschlechtsbezogen variieren.

Material und Methoden

Umgesetzt wurde das Vorhaben mit einer experimentellen, fragebogenbasierten Perzeptionsstudie, die ein durch Laienschauspieler erstelltes Audioset mit Beispielsätzen aus sieben emotionalen Kategorien unterschiedlicher Ausprägungsgrade gesprochener emotionaler Intensität bewerten ließ. Drei weibliche (24, 24, 30 Jahre) und drei männliche Laienschauspieler (24, 24, 25 Jahre) sprachen jeweils drei Sätze aus den Kategorien Wut, Angst, Trauer, Verachtung, Freude, Scham/Schuld und vier Sätze aus der Kategorie Überraschung in jeweils drei Stufen emotionaler Intensität und mit neutraler Stimmlage ein. Über Vortestungen wurden 138 Satzbeispiele ausgewählt. Diese wurden von 20 Frauen (mittleres Alter: 24,5±1,44 Jahre) und von 20 Männern (mittleres Alter: 25,3±1,41 Jahre) bezüglich der Erkennungshäufigkeit der emotionalen Kategorie und des Ausprägungsgrades der gehörten emotionalen Intensität anhand eines tabellarischen Fragebogens bewertet. Die statistische Auswertung erfolgte unter Verwendung der Software SPSS.

Ergebnisse hinsichtlich der emotionalen Kategorie

Die emotionalen Kategorien der Hörbeispiele wurden insgesamt überzufällig häufig richtig erkannt. Rein deskriptiv bestand ein Trend, dass Hörbeispiele der Kategorie Trauer am häufigsten und die der Kategorie Überraschung am seltensten richtig zugeordnet werden konnten. Diese Beobachtungen waren statistisch allerdings nicht signifikant. Insgesamt wurde keine emotionale Kategorie als solche statistisch signifikant häufiger richtig erkannt als eine andere und es waren diesbezüglich auch keine Einflüsse des Sprechergeschlechts nachweisbar. Im Unterschied hierzu wirkte sich die präsentierte emotionale Intensität der Hörbeispiele (Test der Zwischensubjekteffekte, Faktor Intensität, F=7,83, p<0,05) durchaus statistisch signifikant auf die Kategorieerkennung aus. Ein geschlechtsabhängiger Unterschied bestand auch hinsichtlich der Erkennungshäufigkeit weiblicher Rater, die die emotionalen Kategorien Wut, Angst, Trauer, Verachtung, Scham/Schuld und Überraschung signifikant häufiger richtig kategorisierten als die männlichen Rater (t-Testung, alle p<0,05).

Ergebnisse hinsichtlich der emotionalen Intensität

Die Bewertung der emotionalen Intensität durch die Rater war signifikant abhängig vom Ausprägungsgrad der gesprochenen emotionalen Intensität (Test der Zwischensubjekteffekte, F=154,67, p<0,05), nicht aber von der emotionalen Kategorie des Hörbeispiels. Dabei war zu verzeichnen, dass die perzeptive Bewertung der eingesprochenen mittleren emotionalen Intensität eine signifikante Abhängigkeit vom Sprechergeschlecht zeigte (Test der Zwischensubjekteffekte, F=7,83, p<0,05). Hörbeispielen weiblicher Sprecher wurden ein höherer emotionaler Intensitätsgrad zugeordnet als Hörbeispielen männlicher Sprecher. Das Geschlecht des Zuhörers zeigte in der Bewertung der gehörten emotionalen Intensität ebenfalls einen Effekt, da weibliche Zuhörer die Hörbeispiele aller Kategorien mit höherer emotionaler Intensität bewerteten als männliche Zuhörer (3-faktorielle ANOVA mit den Faktoren Sprecherstimme, emotionale Kategorie und Ratergeschlecht, signifikanter Haupteffekt des Ratergeschlechts F(1,124)=29,9, p>0,05). Getrennt für die einzelnen Kategorien analysiert, bewerteten weibliche Rater die Kategorien Trauer, Freude und Überraschung mit signifikant höherer emotionaler Intensität als männliche Rater. Die Bewertung der emotionalen Intensität zeigt allerdings keine Interaktion der Faktoren Rater- und Sprechergeschlecht.

Diskussion

Limitierende Faktoren dieser Arbeit sind einerseits, die bedingt durch die Arbeit mit Laienschauspielern eingeschränkte Qualität der Hörbeispiele, sowie andererseits Einschränkungen, die sich aus der Auswahl semantisch zur emotionalen Kategorie passender Hörbeispiele ergeben. Ungeachtet dieser Faktoren konnten neue interessante Ergebnisse erhoben werden.

Auf Grundlage der Literatur ist die fehlende Abhängigkeit der Erkennungshäufigkeit emotionaler Kategorien von der Art der dargebotenen emotionalen Kategorie und dem Sprechergeschlecht überraschend. So hätte man gemäß Bachorowski [1] oder Scherer [2] verschieden hohe Erkennungshäufigkeiten bestimmter emotionaler Kategorien erwarten können. Dass Frauen die präsentierte emotionale Kategorie häufiger erkennen als Männer ist dagegen weniger überraschend.

Als bislang noch wenig untersuchter Einflussfaktor stellt der Ausprägungsgrad der emotionalen Intensität einen zentralen Punkt dieser Arbeit dar. Dass die Bewertung der emotionalen Intensität mit dem gesprochenen Intensitätsgrad steigt und dass dieser auch einen signifikanten Einfluss auf die kategoriale Zuordnung der Emotion erkennen lässt, zeigt die Relevanz dieses Faktors. So ist in der vorliegenden Arbeit vor allem die Unterscheidung neutral gesprochener Sätzen und solcher mit gesprochener emotionaler Intensität evident.

Zwar scheint die Beobachtung, dass Frauen den Hörbeispielen vor allem der Kategorien Trauer, Freude und Überraschung stärkere emotionale Intensitäten zuschreiben als Männer vordergründig zum weiblichen Stereotyp zu passen, andererseits fehlt der Nachweis eines Einflusses des Sprechergeschlechts auf die emotionale Intensitätsbewertung weiblicher und männlicher Rater. Weitere Studien größerer Stichproben sind wünschenswert, um die vielfältigen Verflechtungen stimmlich geäußerter und nachfolgend wahrgenommener Emotionen bei Männern und Frauen und von Männern und Frauen unvoreingenommen zu analysieren.


Literatur

1.
Bachorowski JA, Owren MJ. Sounds of emotion: production and perception of affect-related vocal acoustics. Ann N Y Acad Sci. 2003 Dec;1000:244-65.
2.
Scherer KR. Vocal communication of emotion: A review of research paradigms. Speech Commun. 2003;40(1-2):227-56. DOI: 10.1016/S0167-6393(02)00084-5 External link