gms | German Medical Science

33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Funktionelle Ergebnisse bei mikrolaryngoskopischer Abtragung von Reinke-Ödemen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Philipp Caffier - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Tatjana Salmen - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Tatiana Ermakova - Universität Potsdam, Potsdam, Deutschland
  • Seo-Rin Ko - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Manfred Gross - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • Tadeus Nawka - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV32

doi: 10.3205/16dgpp53, urn:nbn:de:0183-16dgpp532

Published: September 8, 2016

© 2016 Caffier et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Reinke-Ödeme stellen eine Erkrankung des Stimmlippenrandes im sogenannten Reinke-Raum dar, bei der es zu einer dauerhaften Schwellung der oberflächlichen Lamina propria unterhalb des Stimmlippenepithels kommt. Die Ödeme können bei Leidensdruck und Befundpersistenz operativ abgetragen werden. Ziel unserer Untersuchung ist die Beurteilung der Frage des Ausmaßes der operativen Stimmverbesserung, unter Berücksichtigung des in der phoniatrischen Routinediagnostik noch nicht allgemein etablierten Stimmumfangsmaßes (SUM).

Material und Methoden: In einer klinischen Studie werden bei 60 Patienten die funktionellen Ergebnisse der mikrolaryngoskopischen Abtragung von Reinke-Ödemen untersucht. Die Befunde und Behandlungsergebnisse werden anhand prä- und postoperativer Laryngovideostroboskopie, intraoperativer Aufnahmen, sowie mittels prä- und postoperativer Stimmfunktionsdiagnostik dokumentiert und ausgewertet. Der auf der Basis von Stimmfeldfläche und -form errechnete Parameter SUM soll mit dem Dysphonie Schweregrad Index (DSI) verglichen und hinsichtlich seiner diagnostischen Eignung bewertet werden.

Ergebnisse: Alle Reinke-Ödeme konnten wie geplant abgetragen bzw. deutlich verkleinert werden. Die Heilung vollzieht sich regelrecht, wenn intraoperativ ein kleiner Überschuss von Epithel stehenblieb, die Lamina propria geschont und das Stimmband nicht freigelegt wurde. Innerhalb des Beobachtungszeitraumes wurden keine relevanten Nebenwirkungen oder Rezidive beobachtet. Die bisherigen Ergebnisse zeigen postoperativ eine größtenteils deutliche verbesserte Stimmfunktion im Vergleich zum präoperativen Befund. SUM und DSI korrelieren signifikant miteinander.

Diskussion: Die vorsichtige phonomikrochirurgische Abtragung stellt eine objektiv und subjektiv zufriedenstellende Therapie zur Verbesserung der Stimmfunktion bei Patienten mit Reinke-Ödemen dar. Der Parameter SUM erscheint auch bei diesem Patientenklientel äußerst geeignet, die stimmliche Leistungsfähigkeit zu quantifizieren.


Text

Hintergrund

Reinke-Ödeme stellen eine Erkrankung des Stimmlippenrandes im sogenannten Reinke-Raum dar, bei der es zu einer dauerhaften Schwellung der oberflächlichen Lamina propria unterhalb des Stimmlippenepithels kommt. Chronische Traumatisierung (z.B. stimmliche Überlastung, Rauchen) führt aufgrund lokaler Schädigung der Gefäßwände und einer Störung des extrazellulären Kreislaufs zu einer wässrig-gallertigen Flüssigkeitsansammlung, die die Randkantenverschieblichkeit aufhebt und mit einer tieferen, rauen und leistungsgeminderten Stimmfunktion einhergeht. Die Ödeme können bei Leidensdruck und Befundpersistenz operativ abgetragen werden. Ziel unserer Untersuchung ist die Beurteilung der Frage des Ausmaßes der operativen Stimmverbesserung, unter Berücksichtigung des in der phoniatrischen Routinediagnostik noch nicht allgemein etablierten Stimmumfangsmaßes (SUM).

Material und Methoden

In einer prospektiven klinischen Studie wurden bei 60 Patienten (54 Frauen, 6 Männer; Alter 56±8 Jahre [Mittelwert ± Standardabweichung]) die funktionellen Ergebnisse der mikrolaryngoskopischen Abtragung von Reinke-Ödemen untersucht.

Das intraoperative therapeutische Vorgehen bestand in einer schonenden subepithelialen Ödemabtragung. Das bedeckende Epithel wurde nach Inzision auf der kranialen Stimmlippenfläche von der Lamina propria abpräpariert und blieb weitgehend erhalten. Die flüssige oder gallertige Interzellularsubstanz der Lamina propria wurde abgesaugt und ausmassiert. Abschließend wurde das überschüssige gedehnte Epithel so weit reseziert, dass die Wundränder aneinander lagen, wobei der freie Stimmlippenrand vom Epithel bedeckt blieb.

Die Datenerfassung erfolgte prä-, intra- und posttherapeutisch. Die Befunde und Behandlungsergebnisse wurden anhand prä- und postoperativer Laryngovideostroboskopie, intraoperativer Aufnahmen, sowie mittels prä- und postoperativer Stimmfunktionsdiagnostik dokumentiert und ausgewertet. Untersuchungsinstrumente waren allgemein etablierte objektive und subjektive Verfahren: auditiv-perzeptive Stimmbeurteilung mittels RBH-Systematik, Stimmumfangsprofilmessung, akustisch-aerodynamische Analyse, sowie Selbsteinschätzung der Stimme mittels Voice Handicap Index VHI-9i. Der auf der Basis von Stimmfeldfläche und -form errechnete Parameter SUM sollte mit dem Dysphonie Schweregrad Index (DSI) verglichen und hinsichtlich seiner diagnostischen Eignung bewertet werden.

Ergebnisse

Es wurden alle Schweregrade behandelt, wobei die präoperative videolaryngostroboskopische Charakterisierung eine Einteilung der Ausgangsbefunde anhand des Ausmaßes der Schwellung ermöglichte. Nach der Yonekawa-Klassifizierung zeigte sich bei 19 Patienten Typ I (Schwellung der Stimmlippenoberseite bei weit offener Glottis), bei 29 Patienten Typ II (Schwellung von Stimmlippenober- und -unterseite, Stimmlippen berühren sich im vorderen Bereich), und bei 8 Patienten Typ III (lediglich kleine Restöffnung im hinteren Bereich der Glottis). Gesondert klassifiziert wurden 4 Patienten mit Randödemen, die lokalisierter vorlagen bzw. zu klein waren, um unter Typ I subsummiert zu werden. Alle Ödemtypen konnten wie geplant abgetragen bzw. deutlich verkleinert werden. Die Heilung vollzog sich regelrecht, wenn intraoperativ ein kleiner Überschuss von Epithel stehenblieb, die Lamina propria geschont und das Stimmband nicht freigelegt wurde. Innerhalb des Beobachtungszeitraumes (231±287 Tage) wurden keine relevanten Nebenwirkungen oder Rezidive beobachtet.

Drei Monate postoperativ zeigte sich eine größtenteils deutliche Verbesserung der Stimmfunktion im Vergleich zum präoperativen Befund. In der auditiven Beurteilung mittels RBH-System waren die Stimmen im verblindeten prä- und posttherapeutischen Vergleich signifikant weniger rau, behaucht und heiser (2,0±0,7 vs. 1,3±0,7). Die subjektive Selbsteinschätzung der Stimme ergab im VHI-9i ein deutliches Absinken des Beschwerde-Scores von durchschnittlich 18±8 auf 12±9 Punkte (p<0,001). Der durchschnittliche Gesamtstimmumfang erweiterte sich um 4±7 Halbtöne, die mittlere ungespannte Sprechstimmlage stieg im Mittel um 2±4 Halbtöne. Die maximale Phonationsdauer (MPT) erhöhte sich von durchschnittlich 9±5 Sekunden präoperativ auf 11±4 Sekunden postoperativ. Der Parameter DSI stieg von 0,5±3,4 auf 2,9±1,9 (p<0,001), der Parameter SUM von 64±37 auf 88±25 (p<0,001). SUM und DSI korrelierten signifikant miteinander.

Diskussion und Fazit

Der Parameter SUM erscheint auch bei Patienten mit Reinke-Ödemen äußerst geeignet, die stimmliche Leistungsfähigkeit zu quantifizieren. Die vorsichtige phonomikrochirurgische Abtragung der Ödeme stellt eine objektiv und subjektiv zufriedenstellende Therapie zur Verbesserung der Stimmfunktion bei diesem Patientenklientel dar. Zu viel Epithel zu entfernen ist der häufigste Fehler bei der Operation von Reinke-Ödemen. Es muss beachtet werden, dass das gedehnte Epithel oft sehr dünn ist und bereits beim Fassen mit dem Zängchen reißt. Der Operateur sollte deshalb das Epithel nur an der kranialen Fläche der Stimmlippe fassen und Inzisionen lateral am Sinus Morgagni vornehmen, wo der Reinke-Raum an der Linea arcuata endet. Für die Stimmfunktion ist es äußerst wichtig, dass der freie Stimmlippenrand von Epithel bedeckt bleibt.