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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Entwicklung des auditiven Diskriminationsvermögens und der Nachsingefähigkeit von Grundschülern nach Abschluss einer gesangspädagogischen Intervention

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Mike Körner - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Franziska Wagner - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Constanze Herenz - Musikschule "Johann Sebastian Bach", Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Alexandra A. Ludwig - Universität Leipzig, Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie, Institut für Biologie II, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV25

doi: 10.3205/16dgpp45, urn:nbn:de:0183-16dgpp452

Published: September 8, 2016

© 2016 Körner et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In Voruntersuchungen konnten wir zeigen, dass ein gesangspädagogisches Training im Musikunterricht während der 3. Klasse zu Verbesserungen der auditiven Diskrimination und der Nachsingefähigkeit führt. Nunmehr sollte untersucht werden, ob diese Effekte ein Jahr nach Abschluss der Intervention bestehen bleiben und inwieweit ein verbessertes Diskriminationsvermögen und eine verbesserte Intonationsfähigkeit beim Nachsingen sich bedingen.

Material und Methoden: An einer Stichprobe aus 161 Drittklässlern wurde unter Berücksichtigung der individuellen Hörschwelle das auditive Diskriminationsvermögen in Bezug auf Lautstärke und Frequenz sowie die Nachsingefähigkeit bestimmt. Der Interventionsgruppe wurden 85 Kinder, der Kontrollgruppe 77 Kinder zugeordnet.

Die auditiven Stimuli wurden mittels MatLab an einem PC generiert und mittels Kopfhörer dargeboten. Der Proband übermittelte seine Antwort über eine Tastbox. Die Nachsingefähigkeit wurde mittels Reproduktion technisch vorgespielter auf- und absteigender Dreiklänge in unterschiedlicher Stimmlage mit Aufzeichnung durch ein selbstkalibrierendes Mikrophon und akustischer Analyse (DiVAS) ermittelt.

Die Testungen erfolgten nach der Intervention, d.h. am Ende des 3. Schuljahres (Dauer ein Schuljahr à 45 min je Schulwoche) sowie etwa 1 Jahr nach Abschluss der Intervention.

Ergebnisse: Die signifikante Verbesserung des Frequenzdiskriminationsvermögens der Interventionsgruppe unmittelbar nach der Intervention konnte im postinterventionellen Zeitraum nicht weiter nachgewiesen werden. Zur Abschlussuntersuchung wiesen beide Gruppen ein gleiches, altersgerechtes Frequenzdiskriminationsvermögen von durchschnittlich 18 Hz auf. Bei der Nachsingefähigkeit konnten ein Jahr nach der Intervention zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden.

Ein Zusammenhang zwischen verbessertem auditiven Diskriminationsvermögen und der Nachsingefähigkeit bestand unmittelbar nach der Intervention bei Mädchen der Interventionsgruppe für a’ (p=0,004) und f’’ (p=0,023). Für Jungen zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang.

Fazit: Ein über die zu erwartende altersabhängige Entwicklung hinaus wirkender Effekt zur Verbesserung des auditiven Diskriminationsvermögens bedarf eines ständigen Trainings, den das niederschwellige Angebot der gesangspädagogischen Musikstunde nur während der 3. Klasse nicht erreicht. Es bleibt jedoch offen, inwieweit eine intensivere musikalische Beeinflussung das auditive Diskriminationsvermögen und die Intonationsgenauigkeit verbessert.


Text

Hintergrund

In Voruntersuchungen konnten wir zeigen, dass ein gesangspädagogisches Training im Musikunterricht während der 3. Klasse zu Verbesserungen der auditiven Diskrimination und der Nachsingefähigkeit führt. Nunmehr sollte untersucht werden, ob diese ein Jahr nach Abschluss der Intervention bestehen bleiben und inwieweit sich ein verbessertes Diskriminationsvermögen und eine verbesserte Intonationsfähigkeit beim Nachsingen bedingen.

Material und Methoden

An einer Stichprobe aus 162 Drittklässlern an neun Leipziger Grundschulen (75 Jungen, 87 Mädchen) wurde unter Berücksichtigung der individuellen Hörschwelle das auditive Diskriminationsvermögen in Bezug auf Schalldruckpegel und Frequenz sowie die Nachsingefähigkeit bestimmt.

Die Stimuli wurden mittels MatLab® an einem PC generiert und mittels Kopfhörer, getrennt nach linkem und rechtem Ohr dargeboten. Dieser Test beruht auf eingeführten psychoakustischen Tests zur Erfassung der Signalprozessierung auf verschiedenen Ebenen des zentralauditorischen Systems [1]. Der Proband übermittelte seine Antwort über eine Tastbox. Zur Messung der Frequenzdiskriminierung wurden zur individuell ermittelten Hörschwelle drei um 40 dB SPL lautere akustische Reize als Sinuston dargeboten. Ein Ton war dabei von höherer Frequenz, den es über die Tastbox zu identifizieren galt. Dabei wurden die Frequenzunterschiede zunehmend durch MatLab® kleiner anhand der erreichten Ergebnisse dargeboten.

Zur Lautstärkendiskriminationsmessung wurden drei Töne mit einer Frequenz von 500 Hz dargeboten, wovon ein Ton lauter war. Diesen galt es mittels Tastbox zu identifizieren. Begonnen wurde mit einem Unterschied von 20 dB SPL, der im Verlauf des Tests durch MatLab® anhand der erreichten Ergebnisse verringert wurde.

Die Nachsingefähigkeit wurde mittels Reproduktion technisch vorgespielter auf- und absteigender Dreiklänge in unterschiedlicher Stimmlage mit Aufzeichnung durch ein selbstkalibrierendes Mikrophon und akustischer Analyse (DiVAS) ermittelt.

Die gesangspädagogische Intervention bestand in einem durch besonders in der kindlichen Stimmentwicklung geschulten Gesangspädagogen der Musikschule der Stadt Leipzig. Es wurden mit den Kindern für 45 min je Woche über ein Schuljahr in der Schulklasse besondere Stimmbildungslieder erarbeitet und geübt. Besonderer Fokus im Unterricht lag in der altersgerechten Förderung und Erarbeitung der Funktionsbereiche Atmung und Atemkontrolle, des miteinander Singens und aufeinander Hörens, der dynamischen Gestaltungsfähigkeit, der Entwicklung des Tonhöhenumfanges sowie einer kindgerechten Stimmgebung und Stimmlage. Die Testung erfolgte vor (Messpunkt A) und nach der Intervention (Messpunkt B), d.h. am Anfang und am Ende des dritten Schuljahres. Ein Jahr nach Abschluss der Intervention (Messzeitpunkt C) wurde die Nachhaltigkeit der Intervention überprüft.

Zum Abschluss des Untersuchungszeitraumes konnten 116 Kinder, davon 64 in der Interventionsgruppe und 52 in der Kontrollgruppe, in die Studie eingeschlossen werden. Bei ihnen lagen vollständige Datensätze aller Messzeiträume und zu allen drei Messzeitpunkten waren keine Ausschlusskriterien erfüllt. Jungen und Mädchen waren nahezu gleich verteilt.

Die Daten wurden nach dem Mittelwert der einzelnen Testvariablen nach Wilcoxon-Test und Mann-Whitney-Test ausgewertet auf einem 2-seitigen Signifikanzniveau von 5% verglichen. Mittels einer Varianzanalyse (ANOVA) wurde der Zusammenhang von auditiven Diskriminationsvermögen und Nachsingefähigkeit bestimmt.

Ergebnisse

Die signifikante Verbesserung des Frequenzdiskriminationsvermögens der Interventionsgruppe unmittelbar nach der Intervention konnte im postinterventionellen Zeitraum nicht weiter nachgewiesen werden. Zur Abschlussuntersuchung wiesen beide Gruppen ein gleiches, altersgerechtes Frequenzdiskriminationsvermögen von durchschnittlich 18 Hz auf. Dies entspricht damit dem in anderen Untersuchungen für die Altersgruppe ermittelten Referenzwert. Das Diskriminationsvermögen bezüglich des Schalldruckpegels konnte mit 3,0 dB SPL für die Interventionsgruppe und 3,0 dB SPL für die Kontrollgruppe ermittelt werden. Mit diesen altersgerechten Werten konnte kein signifikanter Unterschied mehr zur Abschlussuntersuchung nachgewiesen werden.

Bei der Nachsingefähigkeit konnten ein Jahr nach der Intervention zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Es zeigte sich jedoch eine unterschiedliche Entwicklung der Nachsingefähigkeit zwischen Jungen und Mädchen.

Ein Zusammenhang zwischen verbessertem auditiven Diskriminationsvermögen und der Nachsingefähigkeit bestand unmittelbar nach der Intervention bei Mädchen der Interventionsgruppe für a’ (p=0,004) und f’’ (p=0,023). Für Jungen zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang.

Fazit

Ein über die zu erwartende altersabhängige Entwicklung hinaus wirkender Effekt zur Verbesserung des auditiven Diskriminationsvermögens bedarf eines ständigen Trainings, den das niederschwellige Angebot der gesangspädagogischen Musikstunde nur während der 3. Klasse nicht erreicht. Die in den Vormessungen gezeigten positiven Effekte in der Interventionsgruppe bei auditivem Diskriminationsvermögen und Nachsingefähigkeit konnten nicht verstetigt werden. Es bleibt jedoch offen, inwieweit eine intensivere musikalische Beeinflussung das auditive Diskriminationsvermögen und die Intonationsgenauigkeit verbessert.


Literatur

1.
Bungert-Kahl P, Biedermann F, Dörrscheidt GJ, von Cramon DY, Rübsamen R. Psychoacustic test tools for the detection of deficits in central auditory processing: Normativ data. Z Audiol. 2004;43(2):48-71.