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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Atemmechanik der Singstimme – eine dynamische Lungen-MRT-Untersuchung

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Louisa Traser - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland; Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • author Fabian Burk - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • author Ali Özen - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • author Michael Burdumy - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland; Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • author Michael Bock - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • author Bernhard Richter - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • author Matthias Echternach - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocV22

doi: 10.3205/16dgpp42, urn:nbn:de:0183-16dgpp424

Published: September 8, 2016

© 2016 Traser et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Atemmechanik bei Erzeugung der Singstimme ist ein zentraler Bestandteil der sängerischen Ausbildung. Sie ist jedoch bisher nicht im Detail verstanden. Mittels Magnetresonanztomographie konnte in den letzten Jahren der Vokaltrakt beim Singen dynamisch untersucht werden. Diese Technik ermöglichte Einblicke in die Vokaltraktanatomie und dessen Kontrolle bei sängerischen Anforderungen. In der vorliegenden Studie wurde durch die Anwendung der dynamischen Echtzeit MRT in der Lungenbildgebung bei professionellen Sängern die Atemmechanik untersucht.

Material und Methoden: Dafür wurden 6 professionelle Sänger (3 Männer, 3 Frauen) in einem 1.5T MRT (Tim Symphony, Siemens, Erlangen, Germany) in sagittaler und coronarer Schnittbildgebung analysiert. Die zeitliche Auflösung betrug 3 Bilder/ Sekunde. Die Sänger wurden gebeten eine maximale Tonhaltedauer in verschiedenen Tonhöhen (Frauen: a, a‘, a‘‘; Tenöre: A, a, a‘; Bariton: F, f, f‘) und Lautstärkekonditionen (mf, pp, ff) zu phonieren, sowie maximal ein- und auszuatmen. Parallel erfolgte die elektroglottographische Kontrolle von Grundfrequenz und Kontaktquotient. Jedes Bild wurde hinsichtlich der Zwerchfell- sowie Thoraxbewegung anhand von an anatomischen Landmarken definierten Parametern ausgewertet. Für den intra- und interindividuellen Vergleich erfolgte die Normalisierung der Daten hinsichtlich Zeit und Bewegungsausmaß.

Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass sich während der Phonation die Distanz zwischen dem mittleren Anteil des Zwerchfells und der Lungenspitze sowie dem posterioren Anteil und der Lungenspitze stärker zu Beginn der Ausatemphase verkleinert, wobei der anteriore Bereich des Zwerchfells sowie die Thoraxweite die Bewegung vermehrt am Ende der maximalen Tonhaltedauer ausführen. Dabei konnte hinsichtlich dieses Verhaltens kein Effekt von Lautstärke oder Tonhöhe gezeigt werden. Die minimale Distanz zwischen Lungenspitze und Zwerchfell bei maximaler Ausatmung wurde beim Singen einer maximalen Tonhaltedauer im posterioren Bereich des Zwerchfells noch unterschritten.

Fazit: Zusammenfassend zeigten die untersuchten Sänger eine intra- und interindividuell konstante Atemmechanik, welche normalisiert betrachtet nicht durch Tonhöhe oder Lautstärke beeinflusst wurde und im posterioren Zwerchfellbereich die maximale Ausatemposition am Ende der Phonation unterschreitet.


Text

Hintergrund

Dass die Atmung in der Stimmerzeugung eine wichtige Rolle spielt, findet sich als Grundsatz schon in der italienischen Singschule des 16. Jahrhunderts: „chi ben respira, ben canta“ – „wer gut atmet, kann gut singen“ [1]. Der Atemapparat reguliert den subglottischen Druck (psub), welcher entsteht, wenn die Stimmlippen zur Phonation geschlossen werden [2]. Eine genaue Steuerung dieses Druckes ist bei Phonation grundlegend, da dieser Lautstärke, Grundfrequenz und Vokaltraktresonanz beeinflusst [3], [4]. Die Untersuchung der Atmungsvorgänge bei Phonation war bisher jedoch auf indirekte Methoden beschränkt. Die Auswirkung der Atembewegungen wurden an der Körperoberfläche abgeleitet [5], [6], [7], [8] bzw. die Druckerverhältnisse über dem Zwerchfell gemessen [3], [9]. Bildgebend wurde lediglich der Ultraschall als Technik zur Visualisierung der Zwerchfellbewegung eingesetzt, welche jedoch durch die geringe Eindringtiefe und ein schmales Abbildungsfenster limitiert ist [10]. Es stehen jedoch verschiedene Methoden zur Visualisierung der zugrundeliegenden Prinzipien von Phonationsatemvorgängen zur Verfügung: Da der Einsatz von ionisierenden Strahlen bei gesunden Probanden aus ethischen Gründen sehr beschränkt ist, hat sich abseits der Phonation, zu Untersuchung von reinen Atmungsvorgängen, in den letzten Jahren die Magnetresonanztomographie (MRT) der Lunge etabliert. Schon in den 90er Jahren konnte die Zwerchfellkontur bei verschiedenen Lungenvolumina zweidimensional (2D) abgebildet [11], [12] und die früher postulierte simple Kolbenfunktion des Zwerchfells wiederlegt werden. Zum Jahrtausendwechsel wurde die dynamische 2D MRT der Lunge etabliert [13], [14], [15]. Bisherige Atmungs-MRT-Studien fokussieren sich jedoch rein auf die Untersuchung der Atmung ohne Stimmerzeugung. Die Atmen Funktion in Hinsicht auf die Phonation ist dagegen nur unzureichend verstanden. Ziel der vorliegenden Studie war es daher mittels dynamischer MRT der Lunge die Atembewegung von Thorax und Zwerchfell während der Phonation mit der Bewegung bei reiner Atmung vergleichen, um mögliche Besonderheiten der Phonationsatmung zu analysieren.

Methoden

6 professionelle Sänger wurden als Probanden in die vorliegende Studie eingeschlossen und deren Atemapparat im Liegen (siehe Abbildung 1A [Abb. 1]) mittels dynamischer MRT in zwei Schnittebenen mit einer zeitlichen Auflösung von 3 Bildern/ Sek. bei Phonation von maximal ausgehaltenen Tönen sowie maximaler Ein- und Ausatmung aufgenommen. Professionelle Sänger wurde als Probanden ausgewählt, da diese über sehr konstante Atemmuster verfügen [7], [8].

Da der glottale Widerstand von der Fläche der Glottis abhängt und mittels Elektroglottografie (EGG) über den Öffnungsquotienten (OQ) ein Maß zur Verfügung steht, welches indirekt diese Kontaktfläche abbildet, wurde in einem ersten Schritt die simultane EGG im MRT etabliert [16]. Hierfür wurden die EGG-Elektroden modifiziert und die Sicherheit im MR Scanner nachgewiesen [16]. Simultan erfolgte die EGG zur Bestimmung des OQ sowie der Grundfrequenz. In jedem Bild erfolgte die Bestimmung von Distanzen zwischen anatomischen Landmarken um die Dimensionen der Lunge zu charakterisieren (siehe Abbildung 1B und 1C [Abb. 1]). Um eine inter- und intraindividuelle Vergleichbarkeit zu erreichen wurden die Daten in der Zeitachse (Tnorm) sowie in der Amplitude (Anorm) auf 100% normalisiert (siehe Abbildung 1B und 1C [Abb. 1]).

Ergebnisse

In Analogie zur reinen Atmung [15], [17] zeigte das Zwerchfell auch bei der Phonation einen doppelt so großen Bewegungsradius im hinteren Anteil im Vergleich zum vorderen Anteil, sodass auch hier angenommen werden kann, dass die Bewegung des Zwerchfells komplexer als eine reine Kolbenfunktion abläuft.

Im zeitlichen Verlauf der Ausatmung bzw. Phonation waren dabei deutliche Unterschiede im kinematischen Verhalten zwischen Ausatmung und Phonation sichtbar: Während bei der reinen Ausatmung alle Lungen-Distanzen synchron reduziert wurden (siehe Abbildung 2A [Abb. 2]), wurden der anteriore Zwerchfellanteil sowie der Thorax signifikant länger in einer inspiratorischen Stellung belassen und erst zum Ende der Phonation zur Reduktion des Lungenvolumens eingesetzt (siehe Abbildung 2B und 2C [Abb. 2]). Eine relevante Änderung des glottalen Widerstandes als Ursache dieses Verhaltes war nicht nachweisbar.

Diskussion

Insgesamt konnte die Machbarkeit der Untersuchung von Phonationsatmung mittels dynamischer MRT bestätigt und deutliche Unterschiede im kinematischen Verhalten verschiedener Komponenten des Atemapparates zwischen Phonation und Atmung festgestellt werden. Bei der Phonation wurden also im Gegensatz zur reinen Ausatmung der anteriore Zwerchfellanteil sowie der Thorax als funktionelle Einheit vom mittleren und hinteren Zwerchfellteil getrennt gesteuert. Dieses Verhalten könnte zur Steuerung des psub bei der Phonation förderlich sein und dem Begriff der Atemstützfunktion entsprechen.


Literatur

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