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33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Regensburg, 22.09. - 25.09.2016

Musik und CI: Diskrimination, Assoziation und Musikgenuss – 3 Aspekte eines Sachverhalts?

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  • corresponding author presenting/speaker Anja Hahne - Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Lisa Bruns - Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 33. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Regensburg, 22.-25.09.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocP10

doi: 10.3205/16dgpp19, urn:nbn:de:0183-16dgpp196

Published: September 8, 2016

© 2016 Hahne et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Während vielen CI-Trägern das Verstehen von Sprache gut gelingt, wird das Hören von Musik häufig als problematisch beschrieben. Das Hören und Verstehen von Musik beinhaltet jedoch ganz verschiedene Dimensionen, die auf unterschiedlichen Zugangswegen beruhen. In der vorliegenden Studie wurden drei verschiedene Aspekte der Musikverarbeitung untersucht und verglichen: (1) musikalische Diskriminationsfähigkeit, (2) Zugang zu Bedeutungsinformation in der Musik und (3) der subjektive Musikgenuss.

Material und Methoden: An der Studie nahmen 2 Gruppen von CI-Trägern teil, die alle als Erwachsene mit einem CI versorgt wurden. Die Probanden waren entweder bereits seit der Kindheit stark schwerhörig (N = 15, „prälingual“) oder ertaubten erst als Erwachsene (N = 38; „postlingual“). Diskriminationsfähigkeiten wurden mit Hilfe des Musiktests von Brockmeyer et al. (2011) überprüft. Evozierte Potentiale wurden auf visuell präsentierte Wörter abgeleitet, die im Anschluss an ein kurzes Musikstück (~10 Sek) präsentiert wurden. Die Wörter standen entweder in einer semantisch passenden Beziehung oder waren zum Zielwort unrelatiert. Vorgängerstudien an Normalhörenden hatten gezeigt, dass die Musik die Verarbeitung des Wortes beeinflusst und relatierte Wörter eine geringe Negativierung im evozierten Potential auslösten als unrelatierte (N400-Effekt). Der Musikgenuss wurde mittels Fragebögen beurteilt.

Ergebnisse: Die Diskriminationsleistungen waren bei beiden CI-Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich eingeschränkt. Bei den evozierten Potentiale zeigten postlinguale CI-Träger jedoch einen den Normalhörenden vergleichbaren N400-Effekt. Bei der Einschätzung des Musikgenusses beurteilten die postlingualen CI-Träger das Musikempfinden deutlich schlechter als prälinguale Probanden, die einen den Normalhörenden vergleichbaren Wert zeigten.

Diskussion: Trotz der eingeschränkten Diskriminationsleistungen waren die postlingualen Probanden in der Lage, die assoziativ vermittelte Bedeutung der Musik zu aktivieren, was den prälingualen Probanden nicht gelang. Hier scheint die Konzeptbildung aufgrund der frühen Hörschädigung beeinträchtigt zu sein. Auf den Musikgenuss wirkt sich die Fähigkeit zur Bedeutungsassoziation jedoch nicht positiv aus.

Fazit: Die klare Dissoziation der drei getesteten musikalischen Ebenen zeigt, dass Rückschlüsse zur Musikverarbeitung bei CI-Trägern stets sehr differenziert beurteilt werden müssen und sowohl die betrachtete musikalische Dimension als auch die Hörgeschichte der Probanden berücksichtigt werden muss.


Text

Hintergrund

Während vielen CI-Trägern das Verstehen von Sprache gut gelingt, wird das Hören von Musik häufig als problematisch beschrieben. Das Hören und Verstehen von Musik beinhaltet jedoch ganz verschiedene Dimensionen, die auf unterschiedlichen Zugangswegen beruhen. In der vorliegenden Studie wurden drei verschiedene Aspekte der Musikverarbeitung untersucht und verglichen: (1) musikalische Diskriminationsfähigkeit, (2) Zugang zu Bedeutungsinformation in der Musik und (3) der subjektive Musikgenuss.

Material und Methoden

An der Studie nahmen 2 Gruppen von CI-Trägern teil, die alle als Erwachsene mit einem CI versorgt wurden. Die Probanden waren entweder bereits seit der Kindheit stark schwerhörig (N=15, „prälingual“) oder ertaubten erst als Erwachsene (N=38; „postlingual“). Diskriminationsfähigkeiten wurden mit Hilfe des Musiktests von Brockmeyer et al. überprüft [1]. Evozierte Potentiale wurden auf visuell präsentierte Wörter abgeleitet, die im Anschluss an ein kurzes Musikstück (~ 10.5 Sek) präsentiert wurden. Die Wörter standen entweder in einer semantisch passenden Beziehung oder waren zum Zielwort unrelatiert. Vorgängerstudien an Normalhörenden hatten gezeigt, dass die Musik die Verarbeitung des Wortes beeinflusst und relatierte Wörter eine geringe Negativierung im evozierten Potential auslösten als unrelatierte (N400-Effekt; vgl. [2]). Der Musikgenuss wurde mittels Fragebögen beurteilt.

Ergebnisse

Die Diskriminationsleistungen waren bei beiden CI-Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich eingeschränkt. Die beiden CI-Gruppen unterschieden sich dagegen nicht signifikant voneinander. Nur bei der Instrumentenzuordnung zeigten die postlingualen CI-Träger eine etwas bessere Leistung als die prälingualen, was vermutlich mit den unterschiedlichen musikalischen Erfahrungen und nicht mit unterschiedlichen Diskriminationsleistungen zusammenhängt. Die besten Leistungen erzielten die beiden CI-Gruppen für die Imitation von Rhythmusfolgen.

Bei den evozierten Potentialen konnte zunächst der N400-Effekt für die normalhörende Gruppe trotz des erhöhten Durchschnittsalters repliziert werden (vgl. [2]). Im Zeitfenster 400–600 ms nach Beginn der visuellen Präsentation des Zielwortes zeigten die Probanden einen im Vergleich zur relatierten Bedingung stärker negativen Potentialverlauf.

Postlinguale CI-Träger zeigten im selben Zeitfenster ebenfalls einen den Normalhörenden vergleichbaren N400-Effekt. Für prälinguale CI-Träger konnte jedoch kein unterschiedlicher Potentialverlauf für relatierte und unrelatierte Wörter festgestellt werden, d.h. es zeigte sich kein N400-Effekt.

Der Musikgenuss wurde bezüglich dreier Zeitpunkt auf einer fünfstufigen Skala erhoben. Bei der Einschätzung des Musikgenusses zum Zeitpunkt der Studiendurchführung beurteilten die postlingualen CI-Träger das Musikempfinden deutlich schlechter als prälinguale Probanden, die einen den Normalhörenden vergleichbaren Wert zeigten. Es zeigte sich jedoch, dass die postlingualen CI-Träger vor Beginn der Schwerhörigkeit sich nicht von der normalhörenden Gruppe unterschied, die geringe Wertschätzung des Musikhörens daher vermutlich direkt auf den Hörverlust zurückführbar war. Im Verlauf wies die postlinguale Gruppe einen marginal signifikanten Anstieg zwischen der Situation vor dem Tragen des CIs im Vergleich zu der Situation nach CI-Versorgung erkennen. Für prälinguale CI-Träger war hingegen ein deutlicher Anstieg des Musikgenusses nach CI-Versorgung zu beobachten.

Diskussion

Bezüglich der drei untersuchten Ebenen der Musikwahrnehmung und -verarbeitung ließen sich deutliche Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsgruppen nachweisen. Als erstaunlich erscheint zunächst der Befund, dass die Diskriminationsleistungen in beiden CI-Gruppen vergleichbar eingeschränkt waren. Direkte Vergleiche zwischen prä- und postlingualen CI-Trägern im Bereich der auditiven Diskrimination sind bisher nur selten durchgeführt worden. Interessant ist jedoch, dass sich die Ergebnisse der basalen musikalischen Diskriminationsleistungen deutlich von bisherigen Befunden zu sprachlichen Leistungen abheben. Bezüglich der Sprachverarbeitung konnte eine Vielzahl von Studien einen starken Einfluss des Zeitpunktes der Ertaubung aufzeigen.

In der ereigniskorrelierten Potentialstudie wurde im Gegensatz zu den meisten bisherigen Studien zur Musikwahrnehmung mit CI die Verarbeitung auf einer höheren Ebene betrachtet. Es ging um die Verarbeitung komplexer Musikstücke und deren hervorgerufene semantische Assoziation. Bisher war unklar, ob der durch das CI veränderte Höreindruck dennoch in der Lage ist, semantische Assoziationen, die durch Musik evoziert werden, hervorzurufen.

Die EKP-Daten zeigten eindeutige Befunde: die postlinguale CI-Gruppe wies trotz schwacher Diskriminationsleistungen einen den normalhörenden vergleichbaren N400-Effekt auf, konnte also entsprechende semantische Assoziationen aktivieren. Die prälinguale CI-Gruppe wies hingegen keinen N400-Effekt auf. Hier scheint die Konzeptbildung aufgrund der frühen Hörschädigung beeinträchtigt zu sein. Insgesamt deuten diese Daten darauf hin, dass die Aktivierung semantischer Konzepte weniger durch basale Diskriminationsfähigkeiten, sondern eher durch die prä-operative Hörentwicklung bestimmt wird. Interessant wäre an dieser Stelle ein Vergleich mit prälingualen CI-Trägern, die bereits als Kind frühzeitig mit Implantaten versorgt wurden.

Der dritte Aspekt dieser Studie betraf die subjektive Einschätzung des Musikgenusses. Hier zeigte sich wiederum eine andere Clusterbildung der drei Untersuchungsgruppen. Für diese Untersuchungsebene zeigten prälinguale CI-Träger ähnliche Befunde wie die normalhörende Gruppe während die postlinguale Gruppe einen signifikant geringeren Musikgenuss angab. Im Unterschied zu den prälingualen CI-Trägern können die postlingualen CI-Träger den Höreindruck mit CI mit dem Höreindruck vor Beginn der Schwerhörigkeit vergleichen und somit eine Limitierung des durch das CI übertragene Signal bemerken. Im Gegensatz dazu können prälinguale Probanden keinen Vergleich zu einem Höreindruck mit gesundem Gehör durchführen. Relativ zu ihrem Höreindruck mit Hörgeräten ermöglicht das CI einen erweiterten Frequenzbereich und wird somit als Bereicherung erlebt.

Fazit

Die klare Dissoziation der drei getesteten musikalischen Ebenen zeigt, dass Rückschlüsse zur Musikverarbeitung bei CI-Trägern stets sehr differenziert beurteilt werden müssen und sowohl die betrachtete musikalische Dimension als auch die Hörgeschichte der Probanden berücksichtigt werden muss. Die Beeinflussung der verschiedenen musikalischen Entitäten scheint dabei eher gering zu sein.


Literatur

1.
Brockmeier SJ, Fitzgerald D, Searle O, Fitzgerald H, Grasmeder M, Hilbig S, Vermiere K, Peterreins M, Heydner S, Arnold W. The MuSIC perception test: a novel battery for testing music perception of cochlear implant users. Cochlear Implants Int. 2011 Feb;12(1):10-20. DOI: 10.1179/146701010X12677899497236 External link
2.
Koelsch S, Kasper E, Sammler D, Schulze K, Gunter T, Friederici AD. Music, language and meaning: brain signatures of semantic processing. Nat Neurosci. 2004 Mar;7(3):302-7. DOI: 10.1038/nn1197 External link