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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Retrospektive Analyse 80 phoniatrisch-pädaudiologischer Gutachten(anfragen)

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Wolfgang Angerstein - Selbständiger Funktionsbereich für Phoniatrie und Pädaudiologie, Uniklinik Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland
  • author Andrea Kronenberg - Selbständiger Funktionsbereich für Phoniatrie und Pädaudiologie, Uniklinik Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV2

doi: 10.3205/13dgpp05, urn:nbn:de:0183-13dgpp051

Published: September 5, 2013

© 2013 Angerstein et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Eine systematische Auswertung gutachterlicher Einschätzungen audio-verbaler Kommunikationsstörungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren ist nach unserem Kenntnisstand bislang noch nicht vorgelegt worden. Dies veranlasste uns zu einer retrospektiven Analyse der phoniatrisch-pädaudiologischen Gutachten des Universitätsklinikums Düsseldorf im Zeitraum von 1998–2009.

Material und Methoden: Die Auftraggeber von 56 Gutachten wurden schriftlich zum Ausgang des Verfahrens befragt. Die Auswertung erfolgte standardisiert nach 19 unterschiedlichen Kriterien (z.B. zu begutachtende Störungsbilder, Auftraggeber, Untersuchungsdauer, Umfang/Seitenzahl sowie Bearbeitungszeit der Gutachten).

Ergebnisse: Von 50 Anfragen wurden 48 beantwortet (Rücklauf-Antwortrate 96%). 22 Gutachten betrafen schwerpunktmäßig die Phonation, 16 die Artikulation, 14 das periphere Hörvermögen. Als Auftraggeber fungierten in 80% öffentlich-rechtliche Institutionen (z.B. Gerichte). Die gutachterlichen Untersuchungen dauerten durchschnittlich 3,9 Stunden, die mittlere Bearbeitungszeit betrug 7,7 Monate, der durchschnittliche Umfang der Gutachten betrug 15,1 Seiten. Das Begehren der Antragsteller wurde unsererseits in 23 Gutachten befürwortet und in 26 Gutachten abgelehnt. Seitens der Auftraggeber wurde das Begehren der Patienten in 22 Verfahren befürwortet und in 13 Verfahren abgelehnt.

Diskussion:

1.
Die Zahl der hiesigen Begutachtungen hat nach 2002 deutlich abgenommen und ist seither auf niedrigem Niveau (2–4 Gutachten/Jahr) stehen geblieben. Hierfür könnten finanzielle Restriktionen der Auftraggeber verantwortlich sein.
2.
Obwohl bereits vor ca. 100 Jahren eine höhere Entschädigung bei beruflich notwendiger audio-verbaler Kommunikation angeregt wurde (Röpke 1902, Denker 1919), sind diese Empfehlungen (bessere Bewertung berufsspezifischer Hör- und Stimmstörungen, z.B. bei Sängern oder Berufssprechern) bis heute in der Versorgungsmedizin-Verordnung nicht umgesetzt worden.
3.
Unsere Ergebnisse hinsichtlich Bearbeitungszeit und Umfang der Begutachtung audio-verbaler Kommunikationsstörungen können anfragenden Behörden als Richtschnur dienen.

Text

Hintergrund

Eine systematische Auswertung gutachterlicher Einschätzungen audio-verbaler Kommunikationsstörungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren ist nach unserem Kenntnisstand bislang noch nicht vorgelegt worden. Diese Tatsache, sowie Anfragen von Behörden, veranlassten uns zu einer retrospektiven Analyse der phoniatrisch-pädaudiologischen Gutachten des Universitätsklinikums Düsseldorf im Zeitraum von 1998 bis 2009.

Material und Methoden

Die Auftraggeber von 56 Gutachten wurden schriftlich zum Ausgang des jeweils anhängigen Gutachtenverfahrens befragt. Es wurden ausschließlich freie, wissenschaftlich begründete Gutachten berücksichtigt. Weiterhin wurden 24 Gutachtenanfragen der Jahre 2001 bis 2009 ausgewertet, bei denen der Gutachtenauftrag aus unterschiedlichen Gründen abgesagt werden musste. Insgesamt wurden somit 80 (56 + 24) Gutachten(anfragen) berücksichtigt. Die Auswertung erfolgte standardisiert nach 19 unterschiedlichen Kriterien (z.B. zu begutachtende Störungsbilder, Alters- und Geschlechtsverteilung der zu begutachtenden Personen, Auftragsjahr, Auftraggeber, Dauer der gutachterlichen Untersuchungen, Umfang/Seitenzahl sowie Bearbeitungszeit der Gutachten, Ausgang der gutachterlichen Verfahren).

Ergebnisse

Von unseren 50 schriftlichen Anfragen wurden 48 beantwortet (Rücklauf-Antwortrate 96%). 22 Gutachten betrafen schwerpunktmäßig die Phonation, wobei organische und funktionelle Dysphonien überwogen. 16 Gutachten betrafen schwerpunktmäßig die Artikulation, hier überwogen kindliche Sprachentwicklungsretardierungen und Redeflussstörungen. 14 Gutachten betrafen das periphere Hörvermögen, hier überwogen höhergradige kindliche Schallempfindungsschwerhörigkeiten. Nur 3 Gutachten betrafen schwerpunktmäßig die AVWS, ein Gutachten bezog sich primär auf Schluckstörungen. Das Durchschnittsalter der 53 begutachteten Patienten betrug 35,2 Jahre mit zwei Altersgipfeln (6 bis 18 Jahre, 48 bis 60 Jahre). Als Auftraggeber fungierten in 80% öffentlich-rechtliche Institutionen (z.B. Gerichte). Die gutachterlichen Untersuchungen dauerten durchschnittlich 3,9 Stunden, die Bearbeitungszeit für die Gutachten betrug durchschnittlich 7,7 Monate, der durchschnittliche Umfang der Gutachten betrug 15,1 Seiten. Die gutachterlichen Untersuchungszeiten bei peripheren Hörstörungen waren signifikant (Oneway-ANOVA: p=0,034) länger als bei Stimmstörungen (4,8 vs. 3,3 Std.). Das Begehren der Antragsteller wurde unsererseits in 23 Gutachten befürwortet und in 26 Gutachten abgelehnt. Seitens der Auftraggeber wurde das Begehren der Patienten in 22 Verfahren befürwortet und in 13 Verfahren abgelehnt, in 21 Verfahren gab es keine endgültige Entscheidung der Auftraggeber (z.B. Klagerücknahme seitens der Kläger oder Verfahren noch nicht abgeschlossen). In 26 Gerichtsverfahren ergingen 7 rechtskräftige Urteile, davon 5 erstinstanzlich und 2 zweitinstanzlich. 10 Gerichtsverfahren endeten durch Klagerücknahme, 5 durch Vergleich, viermal war aus unterschiedlichen Gründen kein Urteil ergangen.

Von den 24 abgesagten Gutachtenaufträgen waren 12 fachfremd, d. h. sie betrafen nicht das phoniatrisch-pädaudiologische Fachgebiet. In weiteren 5 Fällen fehlten entweder ein schriftlicher Gutachtenauftrag und/oder eine schriftliche Kostenzusage, in 5 anderen Fällen wurde der Gutachtenauftrag seitens des Auftraggebers zurückgezogen. Der Zeitraum zwischen Auftragserteilung und Absage des Gutachtens betrug durchschnittlich 29,4 Tage.

Diskussion

1.
Die Zahl der Begutachtungen hat in unserer retrospektiven Analyse nach 2002 deutlich abgenommen und ist seither auf relativ niedrigem Niveau (2 bis 4 Gutachten pro Jahr) stehen geblieben. Hierfür könnten zunehmende finanzielle Restriktionen der Auftraggeber verantwortlich sein.
2.
Entsprechend dem interdisziplinären Ansatz des phoniatrisch-pädaudiologischen Fachgebietes wurden beinahe zu allen 56 Gutachten weitere fachärztliche und/oder psychologische Zusatzbegutachtungen angeregt, auch die unsererseits empfohlenen Weiterbehandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen entsprachen diesem interdisziplinären Ansatz.
3.
Obwohl bereits vor ca. 100 Jahren eine höhere Entschädigung bei beruflich notwendiger audio-verbaler Kommunikation angeregt wurde [1], [2], sind diese Empfehlungen (bessere Bewertung berufsspezifischer Hör- und Stimmstörungen, z.B. bei Sängern oder Berufssprechern) bis heute in der Versorgungsmedizin-Verordnung [3] nicht umgesetzt worden. Denn bei gleichem Schweregrad ihrer Erkrankung erhalten beruflich gehör- oder stimmbelastete Patienten nach wie vor keine höhere Entschädigung als Patienten ohne berufliche Gehör- oder Stimmbelastung.
4.
Unsere Ergebnisse hinsichtlich Bearbeitungszeit und Umfang der Begutachtung audio-verbaler Kommunikationsstörungen können anfragenden Behörden als Richtschnur dienen.

Literatur

1.
Röpke F. Die Unfallverletzungen des Gehörorganes und die prozentuale Abschätzung der durch sie herbeigeführten Einbusse an Erwerbsfähigkeit im Sinne des Unfallversicherungsgesetzes. Verh Deutsch Otol Ges. 1902;11:55-79
2.
Denker A. Über Kriegsverletzungen des Kehlkopfes und der Luftröhre unter Berücksichtigung der Rentenansprüche der Verletzten. Arch Ohr Nas Kehlk Heilk. 1919;103:33-72. DOI: 10.1007/BF01849776 External link
3.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Bonn. 2009; p. 50, 59.