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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

PVG-Wavegramm: Dreidimensionale Visualisierung von Stimmlippendynamik

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV30

doi: 10.3205/11dgpp40, urn:nbn:de:0183-11dgpp402

Published: August 18, 2011

© 2011 Unger et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Hochgeschwindigkeitslaryngoskopie erlaubt eine zeitlich hochaufgelöste Erfassung der Stimmlippen (SL). Die detaillierte Darstellung der SL-Schwingung ist jedoch aufgrund der großen Datenmenge gerade bei langen Phonationssequenzen problematisch.

Material und Methoden: Durch Kombination der phonovibrographischen und wavegrammbasierten Darstellung wurde eine neue dreidimensionale Visualisierung von SL-Bewegung erzielt. Die Methode wird exemplarisch an einer stationären, einer nicht-stationären Phonationssequenz sowie an einer pathologischen Stimme mit Stimmlippenparese demonstriert.

Ergebnisse: Anhand des PVG-Wavegramms lassen sich zeitabhängige Veränderungen der SL-Schwingungsform sowohl bei nichtstationären Phonationsprozessen als auch bei Pathologien präzise identifizieren. Erkennbar sind beispielsweise Ort und Amplitude der Schwingungsmaxima, Phasenverschiebungen entlang der glottalen Achse oder zwischen den Schwingungen beider Stimmlippen als auch die individuellen Schwingungsmuster der linken und rechten Stimmlippe.

Diskussion: PVG-Wavegramme kombinieren die Vorteile der ortsabhängigen und seitengetrennten Phonovibrogramm-Darstellung mit der kompakten zyklenbasierten Wavegramm-Visualisierung. Hierbei werden zudem implizit etablierte klinische Parameter wie Schwingungsasymmetrien, Open- und Speed Quotient intuitiv durch geometrische Formen repräsentiert. PVG-Wavegramme eignen sich weiterhin für eine quantitative Beschreibung von SL-Schwingungen zur Klassifikation von Dysphonien.


Text

Einleitung und Hintergrund

Mittels endoskopischer Hochgeschwindigkeits- (HG) Kameras lässt sich der Schwingungsverlauf der Stimmlippen zeitlich hochauflösend erfassen. Aufgrund hoher Abtastraten von 2000–6000 Bildern pro Sekunde entstehen jedoch vor allem bei längeren Phonationssequenzen sehr große Datenmengen, die es für eine visuelle Inspektion geeignet zu visualisieren gilt. Zu diesem Zweck wurden PVG-Wavegramme entwickelt, welche die Ansätze von Phonovibrogrammen (PVG) [1] und elektroglottographischen Wavegrammen [2] verbinden und erweitern. Sie stellen eine kompakte, dreidimensionale und zyklenbasierte Darstellung der segmentierten HG-Aufnahmen dar. Die Anwendung dieses Visualisierungsverfahrens zielt dabei auf die Analyse von langen, nicht-stationären Phonationssequenzen, da die Veränderung benachbarter Zyklen unmittelbar hervorgehoben wird.

Material und Methoden

Die Wavegramm-Visualisierung entsteht aus drei Prozess-Schritten (Abbildung 1 [Abb. 1]): Zunächst wird das PVG aus der HG-Aufnahme berechnet [1]. Das PVG wird anschließend in einzelne Schwingungszyklen zerlegt. Die einzelnen Zyklen werden bezüglich der Länge normiert und entlang einer neu eingeführten dritten Koordinatenachse konkateniert. Der so entstehende Graph weist drei Freiheitsgrade auf: 1.) Positionen entlang der glottalen Achse; 2.) Zeitlicher Verlauf innerhalb eines Schwingungszyklus; 3.) Zeitliche Änderung der Schwingungsform benachbarter Schwingungszyklen. Die Farbwerte innerhalb des dreidimensionalen Graphen repräsentieren die jeweilige laterale Stimmlippenauslenkung. Die Projektion des dreidimensionalen Graphen auf den Bildschirm erfolgt anhand gängiger Rendering-Techniken wie beispielsweise Volume-Rendering [3].

Zu Demonstrationszwecken werden im folgenden PVG-Wavegramme von drei Probanden dargestellt. Abbildung 2 [Abb. 2] zeigt hierbei das PVG-Wavegramm eines a) stimmgesunden Patienten (Alter: 43 Jahre, weiblich) als auch b) einer rechtsseitigen Recurrensparese (Alter: 39 Jahre, weiblich). Die Aufnahme erfolgte jeweils während gehaltener Phonation. Abbildung 2c) zeigt weiterhin das PVG-Wavegramm eines stimmgesunden Patienten (Alter: 30 Jahre, männlich) während einer nicht-stationären Phonation in Form einer Frequenzerhöhung von 140 auf 390Hz. Für die Aufnahmen wurde eine Hochgeschwindigkeitskamera vom Typ Endocam 5562 (Richard-Wolf-GmbH, Knittlingen) mit einer Abtastrate von 4000 Bildern pro Sekunde verwendet.

Ergebnisse

Anhand von PVG-Wavegrammen lassen sich Veränderungen des Bewegungsmusters der Stimmlippen innerhalb eines Schwingungszyklus als auch über eine Vielzahl verschiedener Schwingungen identifizieren. Bei der gehaltenen Phonation des stimmgesunden Patienten (Abbildung 2a [Abb. 2]) ist ein zeitlich konstantes Bewegungsmuster über den gesamten Phonationsprozess hinweg zu erkennen. Das PVG-Wavegramm zeigt zudem symmetrische Bewegungsmuster der linken und rechten Stimmlippe. Die Stimmlippen weisen ein Amplitudenverhältnis von 0,96 auf und sind in jedem Zyklus zeitlich synchron. Das PVG-Wavegramm der rechtsseitigen Recurrensparese (Abbildung 2b [Abb. 2]) lässt unterschiedliche Bewegungsmuster der linken und rechten Stimmlippe erkennen, die sich in der Zeit kontinuierlich fortsetzen. Die zeitliche Muster der PVG-Kontur der rechten Stimmlippe deutet im Vergleich zur linken Stimmlippe auf eine verlängerte Öffnungsphase hin. Zusätzlich repräsentiert der zeitliche Versatz der Amplituden ein asynchrones Schwingungsverhalten der beiden Stimmlippen.

Im nicht-stationären PVG-Wavegramm (Abbildung 2c [Abb. 2]) entsprechen die Markierungen A und B den Grundfrequenzen von jeweils 140 Hz und 390 Hz. Während der Frequenzerhöhung zeigt sich eine grundlegende Veränderung des gesamten Bewegungsmusters: Die Öffnung der Glottis erfolgt zu Beginn der Sequenz entlang der gesamten Stimmlippen von Anterior (A) bis Posterior (P) über die Länge l1. Mit zunehmender Frequenz verlagert sich dieser Bereich nach Anterior und die Länge des schwingenden Bereichs reduziert sich auf l2. Das Maximum der Schwingungsamplitude, dargestellt durch die gestrichelte Linie im PVG-Wavegramm, verläuft ventral in Richtung Anterior.

Diskussion

Die Wavegramm-Visualisierung ermöglicht eine neuartige dreidimensionale Darstellung von Stimmlippenschwingungen. Sie kombiniert die Vorteile der ortsabhängigen und seitengetrennten Phonovibrogramm-Darstellung mit der kompakten zyklenbasierten Wavegramm-Visualisierung. Dadurch eignet sie sich besonders, um lange nicht stationäre Phonationsprozesse darzustellen. Durch die Separation aufeinanderfolgender Zyklen lässt sich die zeitliche Entwicklung der Stimmlippenbewegungen interaktiv visualisieren. Aus PVG-Wavegrammen lassen sich zudem alle klinisch etablierten Parameter wie Schwingungsamplituden, Phasenverschiebungen, Asymmetrien der Schwingungen der linken und rechten Stimmlippe sowie Open- und Speed Quotient extrahieren, so dass sie sich für eine objektive Beschreibung und Klassifikation von Stimmlippenschwingungen eignen [4].


Literatur

1.
Lohscheller J, Eysholdt U, Toy H, Döllinger M. Phonovibrography: mapping high-speed movies of vocal fold vibrations into 2-D diagrams for visualizing and analyzing the underlying laryngeal dynamics. IEEE Trans Med Imaging. 2008;27(3):300-9. DOI: 10.1109/TMI.2007.903690 External link
2.
Herbst CT, Fitch TS, Švec JG. Acoust Electroglottographic wavegrams: A technique for visualizing vocal fold dynamics noninvasively. Soc Am. 2010;128:3070.
3.
Levoy M. Display of Surfaces from Volume Data. IEEE Comput. Graph Appl. 1988;8(3):29-37. DOI: 10.1109/38.511 External link
4.
Voigt D, Döllinger M, Braunschweig T, Yang A, Eysholdt U, Lohscheller J. Classification of functional voice disorders based on phonovibrograms. Artificial Intelligence in Medicine. 2010;49(1):51-9. DOI: 10.1016/j.artmed.2010.01.001 External link