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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Hörbelastung und Gehörschutz bei Orchestermusikern

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Bernhard Richter - Freiburger Institut für Musikermedizin an der Musikhochschule Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Mark Zander - Freiburger Institut für Musikermedizin an der Musikhochschule Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Claudia Spahn - Freiburger Institut für Musikermedizin an der Musikhochschule Freiburg, Freiburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppV58

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2008/08dgpp81.shtml

Published: August 27, 2008

© 2008 Richter et al.
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Zusammenfassung

Die Beschäftigung mit dem Thema Gehörschutz für Musiker ist aktuell und notwendig, da die neue EG-Arbeitsschutzrichtlinie „Lärm“ 2003/10/EG seit März 2007 in die Lärm- und Vibrations-Arbeitschutzverordnung umgesetzt ist und die Übergangsfrist für den Musiksektor am 15.02.2008 ausgelaufen ist.

Im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales führten wir eine Untersuchung bei 429 Orchestermusikern aus 9 professionellen Orchestern in Deutschland durch mit dem Ziel, den aktuellen Stand der Information und Praxis zum Thema Hörgefährdung und Gehörschutz in deutschen Orchestern zu erheben.

Nur etwa 1/6 der Musiker verwenden individuell angepassten Gehörschutz (15,6%). Weit über die Hälfte der Musiker ist jedoch besorgt, durch die hohen Schalldruckpegel im Orchester ihr Gehör zu schädigen oder unbrauchbar zu machen, da etwa 2/3 der Befragten (65,8%) angaben, sich Sorgen darüber zu machen, dass ihr Gehör durch die Arbeit im Orchester Schaden nehmen könnte und nahezu die Hälfte der Befragten (49,9%) angaben, dass sie befürchten, dass ihr Gehör im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit einmal so belastet werden könnte, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können.

Als wichtigste Konsequenz unserer Untersuchung wurde deutlich, dass bei den Orchestermusikern ein großer Informationsbedarf besteht, der qualifiziert gestillt werden muss. Eine sinnvolle Handhabung der Lärmschutzrichtlinie ist nur im gemeinsamen Engagement von Dirigenten, Verwaltung und Orchestermusikern möglich.


Text

Einleitung

Das Problem, dass eine Exposition von zu hohen Schalldruckpegeln zu einer Schwerhörigkeit führen kann, ist seit Langem bekannt: Dauerbelastungen von mehr als 85 dB(A) können bleibende Gehörschäden verursachen. Schon 1929 erfolgte die Aufnahme der „durch Lärm verursachten Taubheit oder an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit“ in die Liste der Berufskrankheiten (aktuell BK Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Liste). Seit mehr als 20 Jahren ist die Lärmschwerhörigkeit in der Jahresstatistik die häufigste als entschädigungspflichtig anerkannte Berufskrankheit.

In den 60-er Jahren des 20ten Jahrhunderts gab es erste Studien über die Gehörgefährdung bei Musikern durch ihr Instrument [1].

Die vorliegende Studie ist eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Umsetzung der EG-Arbeitsschutzrichtlinie „Lärm“ 2003/10/EG. Sie wurde in Deutschland in die Lärm- und Vibrations-Arbeitschutzverordnung umgesetzt (http://www.bundesgesetzblatt.de). Seit 15. Februar 2008 hat sie für alle Musiker, die bei einem öffentlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, Gültigkeit und sollte im Alltag aller Musiker Berücksichtigung finden.

Schalldruckpegelexposition

Bezüglich der Exposition konnte gezeigt werden, dass die Schalldruckpegel in den professionellen klassischen Symphonieorchestern schon für die Einzelinstrumente über den unteren und oberen Auslösewerten liegen [80 dB(A) bzw. 85 dB (A)] und in der Gruppe den Expositionsgrenzwert von 87 dB(A) überschreiten [2].

Im Hinblick auf die Gesamtbelastung von Musikern sind die systematischen Untersuchungen der SUVA, die auch die individuellen Übezeiten der Musiker mit berücksichtigen und die über das Internet in Tabellenform leicht zugänglich sind, als Referenzwerte besonders aussagekräftig (http://www.suva.ch/waswo/86496).

Weniger eindeutig als bei der Schalldruckpegelexposition ist die Studienlage hinsichtlich audiometrisch nachgewiesener Schäden, die durch Musik induziert wurden. Hier steht eine Reihe von Studien, die eine musikinduzierte Lärmschwerhörigkeit bei klassischen Orchestermusikern wahrscheinlich machen, einer ebenso gewichtigen Evidenz gegenüber, die eine solche Lärmschädigung als unwahrscheinlich darstellt [3], [4]. Interessanterweise wurden in neueren Studien geringere Schäden gefunden als es nach ISO 1999 und 7029 zu erwarten gewesen wäre [5]. Wenig erforscht sind bisher auch Faktoren, welche zur Gehörprotektion beitragen können. Wichtig erscheint hierbei die eigene emotionale Einstellung zu den aufgeführten Musikstücken: Bei Musikern, welche die Musik, die sie aufführen, mit einer positiven affektiven Kopplung versehen können, scheint bei gleicher Belastung das Ausmaß von Gehörschäden geringer zu sein. Ein mögliches anatomisch/physiologisches Korrelat für die Fähigkeit der Musiker, ihr Gehör mehr als Nichtmusiker schützen zu können, ist möglicherweise in der unterschiedlichen Ausprägung efferenter nervaler Suppressionsmechanismen, die sich auf die Funktion der äußeren Haarzellen moderierend auswirken, zu suchen [6].

Ergebnisse

Die Erhebung bei 429 Orchestermusikern aus 9 renommierten Orchestern zeigte, dass im Orchester bisher nur etwa 1/6 der Musiker Gehörschutz anwenden, obwohl das Problem der großen Lautstärkebelastung den einzelnen Musikern bekannt ist und obwohl sie sich in der Mehrzahl auch Sorgen machen, dass durch die Schalldruckpegel ihr Gehör leiden könnte. Der Informationsstand der Musiker zu den Möglichkeiten des Gehörschutzes war jedoch noch nicht ausreichend und muss dringend verbessert werden. Insgesamt wurde die Qualität der vorhandenen Gehörschutzmittel von den Musikern als noch deutlich verbesserungswürdig eingeschätzt. Die Musiker befinden sich hier in einem Dilemma zwischen Schutzbedarf und künstlerischer Klangproduktion. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist der Klang, den sie als Künstler möglichst optimal produzieren und auch immer weiter verfeinern wollen, dieser Klang kann jedoch gleichzeitig so laut sein, dass er ihr Gehör potentiell gefährdet. Dieses Spannungsfeld ist aus Sicht der Musiker und für die Musiker bisher nicht befriedigend gelöst.

Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse findet sich bei [7].

Diskussion

Da die neue EG-Arbeitsschutzrichtlinie „Lärm“ 2003/10/EG seit März 2007 in die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung umgesetzt und da die Übergangsfrist für den Musiksektor am 15.02.2008 ausgelaufen ist, sollte jeder Phoniater diese Verordnung kennen und in der Praxis anwenden können. Die zahlreichen Musiker, die von der neuen Verordnung betroffen sind, haben einen großen Informationsbedarf, der qualifiziert gestillt werden muss. Wichtig ist hierbei zu wissen, dass Musiker bei der Ausübung ihres Berufes häufig Schalldruckpegeln ausgesetzt sind, die bei andauernder Exposition zu Schädigungen des Gehörs führen können. Jedoch sind nicht alle Musiker in gleicher Weise betroffen. Die Schalldruckpegel lassen sich weder durch bauliche Maßnahmen noch durch generell leiseres Spiel soweit absenken, dass es zu keiner weiteren Gefährdung des Gehörs kommen kann. Deswegen sollte jeder Musiker ein intensives Wissen darüber erwerben, ob und wie er sich in seinem speziellen Einzelfall individuell schützen kann. Dazu gehören insbesondere regelmäßige Ruhepausen und eine regelmäßige Überprüfung des Gehörs, um mögliche Schädigungen rechtzeitig zu erkennen. Es wäre wünschenswert, dass Orchestermusiker Richtlinien und Empfehlungen zum Gehörschutz als Fürsorge für ihre Gesundheit auffassen. Hierfür ist ein gutes Vertrauensverhältnis mit Verwaltung und Dirigenten sowie insbesondere mit den zuständigen Betriebsärzten wichtig. Wir empfehlen jedem Orchestermusiker die vorgeschriebenen betriebsärztlichen Untersuchungen tatsächlich durchzuführen und diese Untersuchungen nicht als negative Überwachung seitens des Arbeitgebers, sondern als notwendige Kontrolle zum eigenen Nutzen wahrzunehmen. Besonders wichtig ist eine Dokumentation der Hörleistung zu Beginn der Berufstätigkeit, d.h. vor Schallexposition, da im Falle eines späteren Hörschadens zur gutachterlichen Anerkennung einer Berufsschwerhörigkeit auf diese Befunde zurückgegriffen werden muss. Gleichzeitig sollten neben der reinen audiometrischen Untersuchung eine ausführliche Besprechung der Hörbefunde sowie eine individuelle Beratung zum Gehörschutz erfolgen.

Differenzierte Fragen können im Einzelfall mit dem für Orchester spezialisierten Arbeitsmediziner, einem Phoniater oder auch mit spezialisierten Musikermedizinern erörtert werden.

Besonders wünschenswert wäre es, wenn das Thema Gehör und Gehörschutz bereits in der Hochschulausbildung von angehenden Orchestermusikern verankert werden könnte, da im geschützten Rahmen der Hochschulausbildung eine Gewöhnung an den Gehörschutz und eine Enttabuisierung des Themas noch leichter zu bewerkstelligen ist als im Berufsleben. Das Thema Gehörschutz und die notwendigen Informationen könnten hierzu in das Curriculum des mittlerweile an der Mehrzahl der deutschen Musikhochschulen angebotenen Faches Musikermedizin integriert werden.


Literatur

1.
Flach M, Aschoff E. Zur Frage berufsbedingter Schwerhörigkeit bei Musikern. Z Laryngol. 1966;45:595-605.
2.
Hohmann B, Dupasquier S, Billeter T. Fortissimo mit Folgen. In: Stulz P, Landau A, Hrsg. Musik und Medizin. Zürich: Chronos; 2003.
3.
Marquard U, Schäcke G. Gehörgefährdung durch Musizieren im Orchester. Zentralbl Arbeitsmed. 1998;48:188-204.
4.
Behar A, Wong W, Kunov H. Risk of Hearing Loss in Orchestra Musicians: Review of the literature. Med Probl Perform Art. 2006;21:164.
5.
Kähari KR, Axelsson A, Hellstrom PA, Zachau G. Hearing development in classical orchestral musicians. A follow-up study. Scandinavian Audiology. 2001;30(3);141-9.
6.
Brashears SM, Morlet TG, Berlin CI, Hood LJ. Olivocochlear efferent suppression in classical musicians. Journal of the American Academy of Audiology. 2003;14(6):314-24.
7.
Richter B, Zander M, Spahn C. Gehörschutz im Orchester. Freiburger Beiträge zur Musikermedizin Bd. 4 (Spahn C, Hrsg.) Bochum, Freiburg: Projekt-Verlag; 2008. ISBN 978-3-89733-175-4.