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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Gesundheitskioske als Technologie für bürgerzentrierte Gesundheits-IT: Werden sie genutzt und wenn nein, warum nicht?

Health kiosks – a technology for citizen-oriented health IT: Are they used and if not, why not?

Originalarbeit GMDS 2023

  • corresponding author Saskia Kröner - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen, Hochschule Osnabrück, Deutschland
  • Nicole Egbert - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen, Hochschule Osnabrück, Deutschland
  • Birgit Babitsch - Fachbereich Humanwissenschaften, Institut für Gesundheitsforschung und Bildung (IGB), Abteilung New Public Health, Universität Osnabrück, Deutschland
  • Ursula Hübner - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen, Hochschule Osnabrück, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2023;19:Doc12

doi: 10.3205/mibe000251, urn:nbn:de:0183-mibe0002518

Published: September 12, 2023

© 2023 Kröner et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Gesundheitskioske stellen grundsätzlich eine niedrigschwellige Möglichkeit für die Kommunikation zwischen Bürgern und weiteren Akteuren im Gesundheitswesen sowie für die Information zu gesundheitsrelevanten Fragestellungen dar. Ziel der Studie war es, über eine quantitative Langzeiterhebung die Nutzung von Gesundheitskiosken in Apotheken zu erfassen und über eine qualitative Tiefenanalyse die Gründe für die (Nicht)-Nutzung zu ermitteln. Insgesamt wurden Nutzungsparameter über 25 Monate in Logdateien von bis zu 145 Apotheken festgehalten. Darüber hinaus wurden 92 Kunden von vier nutzungsstarken Apotheken in qualitativen Kurzinterviews hinsichtlich der Gründe der Nutzung bzw. Nichtnutzung befragt. Die Ergebnisse der Langzeitstudie zeigen, dass die Gesundheitskioske im besten Falle 1–2 mal pro Tag, eher aber nur 1–2 mal pro Woche genutzt wurden. Die Gründe für die Nicht-Nutzung wurden durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren bedingt, hierzu zählten u.a. die Zugänglichkeit und die Nützlichkeit, aber auch das soziale Umfeld. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Identifizierung der Gründe für die (Nicht-)Nutzung ein wichtiger Schritt ist, damit sich das Potential von Gesundheitskiosks entfalten kann, wenn sie im Rahmen der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit zum gezielten Einsatz kommen sollen.

Schlüsselwörter: Selbstbedienungstechnologien, Gesundheitskiosk, Nutzung, Nutzen

Abstract

Health kiosks are basically a low-threshold opportunity for communication between citizens and other actors in the healthcare system as well as for information on health-related issues. The aim of the study was to record the use of health kiosks in pharmacies by means of a quantitative long-term survey and to determine the reasons for (non-)use by means of a qualitative in-depth analysis. Overall, usage parameters were recorded over 25 months in log files of up to 145 pharmacies. In addition, 92 customers of four high-usage pharmacies were interviewed in qualitative short interviews regarding the reasons for use or non-use. The results of the long-term study showed that the health kiosks were used 1–2 times a day at best, but more likely only 1–2 times a week. The reasons for non-use were due to the interaction of different factors, including accessibility and usefulness, but also the social environment. It can be concluded that identifying the reasons for (non-)use is an important step towards allowing the potential of health kiosks to unfold if they are to be used in a targeted manner within the framework of the digitalisation strategy of the Federal Ministry of Health.

Keywords: self-service technology, SST, health kiosk, usage, usefulness


Einleitung

Gesundheitskioske ermöglichen als Selbstbedienungstechnologie (Self-Service-Technology, SST) eine Technik-unterstützte Durchführung von zielgerichteten Aufgaben zwischen Bürgern bzw. Patienten und den weiteren Akteuren wie Krankenkassen, Ärzten oder Apotheken. Sie können dabei sowohl für die Kommunikation als auch zur Information in der Gesundheitsversorgung eingesetzt werden [1].

Aktuell werden Gesundheitskioske in der Digitalisierungsstrategie des Bundes in Form von Walk-In-Centern nach dem Konzept von Community Health Nursing (CHN) angedacht [2]. Sie sollen in sozial benachteiligten Regionen und Stadtteilen niedrigschwellige Beratung und assistierte Telemedizin anbieten.

Der Erfolg solcher Technologien ist jedoch davon abhängig, inwieweit die Patienten bzw. Versicherten bereit sind, diese zu nutzen. Dabei dienen Technologieakzeptanzmodelle [3], [4] der Voraussage der Nutzungsabsicht aufgrund unterschiedlicher Faktoren. Ergebnisse einer vorangegangenen Laborstudie [5] zeigten, dass hinsichtlich der Akzeptanz von Gesundheitskiosken und Smartphone-basierten Apps der Faktor Nützlichkeit in einem signifikanten Maße mit der Nutzungsabsicht zusammenhängt, und die Nützlichkeit wiederum von der Benutzerfreundlichkeit sowie der Skepsis gegenüber der getesteten Technologie beeinflusst wird. Es konnten jedoch keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Nutzungsabsicht und der Nützlichkeit zwischen App und Kiosk festgestellt werden [6].

In den Monaten nach Durchführung der Laborstudie wurden Gesundheitskioske der Fa. DeGIV deutschlandweit implementiert, so dass nunmehr ihre tatsächliche Nutzung in der realen Welt untersuchbar war. Die Implementierung erfolgte zunächst vorrangig an Apotheken, da diese als geschützter Ort mit ansprechbarem Personal und Bezug zum Gesundheitswesen für eine Implementierung als geeignet angesehen wurden. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, eine Analyse der Häufigkeit und Art der Nutzung sowie der Gründe der Nutzung bzw. Nichtnutzung in Apotheken durchzuführen. Daraus ergaben sich die folgenden Forschungsfragen:

1.
Wie häufig wurde der Gesundheitskiosk genutzt? Welche Funktionen wurden genutzt und an welchen Apotheken-Standorten? Wie entwickelte sich die Nutzung über die Zeit?
2.
Welche Gründe gab es für die Nutzung bzw. Nichtnutzung in Apotheken?

Methode

Untersuchungsgegenstand

Der untersuchte Gesundheitskiosk der Fa. DeGIV (Version 2.10.0, Abbildung 1 [Abb. 1]) ist eine SST für die Kommunikation und Information im Gesundheitswesen. Die Zielgruppe bildeten die Bürger. Die Standortpartner wie u.a. Apotheken, Medizinische Versorgungszentren und Krankenhäuser gewährleisten den Zugang zum Gesundheitskiosk. Finanziert werden diese durch die Krankenkassen.

Die Hardware bestand dabei unter anderem aus einem Standfuß, Sichtschutz, Touchdisplay, Kartenleser, Belegdrucker, zwei Kameras, einer Signatur- und Unterschriftenfläche, einem gematik-konformen Kartenleser sowie Werbebildschirmen. Auf dem Touchdisplay wurden alle Mensch-Maschine-Interaktionen ausgeführt. Es stellte den Anwenderzugang zur Nutzung der Services dar. Der Kiosk umfasste insgesamt 24 Funktionen. Die Kommunikationsfunktionen betrafen dabei die Kommunikation zwischen Bürgern und Krankenkassen, wie u.a. die Nutzung eines Formular-Services. Die Informationsfunktionen dienten zur Information des Bürgers über gesundheitsrelevante Informationen wie u.a. die Berechnung des Body Mass Index (BMI). Tab. 3 zeigt den vollständigen Funktionsumfang anhand der Nutzungshäufigkeiten.

Datenerhebung und Erhebungsinstrumente

Um die oben dargestellten Forschungsfragen zu beantworten, wurde eine Studie im Sinne eines sequenziellen Mehrmethoden-Designs durchgeführt, in dem zunächst quantitative und anschließend qualitative Verfahren eingesetzt wurden.

Quantitative Erhebung (erste Teilstudie)

Zur Beantwortung der ersten Forschungsfragen wurde die Nutzung des Kiosks im Zeitraum von Juli 2019 bis Juli 2021 monatlich serverseitig protokolliert (Logdaten). Folgende Variablen wurden dabei erfasst: verwendete Funktion, Start- und Endzeit der Nutzung und ob der Vorgang abgebrochen wurde. Für die Nutzungsanalyse wurden die Nutzungshäufigkeit und die Art der Nutzung auf monatlicher Basis erfasst. Im Rahmen dieser Studie wurden die Logdaten der vier Kioske analysiert, welche in der qualitativen Studie im Feld untersucht wurden (siehe zweite Teilstudie). Diese wurden kontrastiert mit allen Kiosken in Apotheken. Da die Kioske während der Studie sukzessiv aufgestellt wurden, wurde die Gesamtanzahl pro Monat ermittelt und gemittelt (bspw. Sept. 2019: n=96 Kiosks; Juli 2021: n=145 Kiosks). Zum Zeitpunkt der Studie wurden die Kiosks in 12 Bundesländern (Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Hessen und Bayern) aufgestellt. Aus dem Rohmaterial der Logdaten wurden strukturierte Datensätze erstellt, die mithilfe von Microsoft Excel 2019 und IBM SPSS Statistics 28.0.1.1 ausgewertet wurden.

Qualitative Erhebung (zweite Teilstudie)

Für die Beantwortung der zweiten Forschungsfrage erfolgte eine qualitative Teilstudie im Juni 2021. Diese diente einer Datenerhebung per Beobachtung im Feld. Die Beobachtungen wurden dabei an verschiedenen Tageszeiten durchgeführt, um tageszeitabhängige Schwankungen in Bezug auf die Kundenfrequenz abzudecken. Insgesamt erfolgten 42 Beobachtungsstunden in vier Apotheken, davon eine in Niedersachsen (Buxtehude (Lage: innerstädtisch), am 22.06.2021 vormittags/mittags/abends; 23.06.2021 vormittags/mittags) und drei in Sachsen (zwei in Leipzig (Standort 1 (Lage: Wohngebiet): 09.06.2021 mittags bis abends; 10.06.2021 vormittags bis nachmittags; Standort 2 (Lage: innerstädtisch): 11.06.2021 vormittags/mittags/abends; 12.06.2021 vormittags bis nachmittags und eine in Löbau (Lage: Altstadt) 07.06.2021 vormittags bis nachmittags; 08.06.2021 vormittags bis abends). Die Auswahl der Standorte erfolgte anhand der Frequentierung der Gesundheitskioske basierend auf den Logdaten, wobei diejenigen Apotheken mit hoher Nutzung über die Zeit ausgewählt wurden (siehe auch Abb. 3). Die Zielpopulation bildeten dabei die Nutzer und Nicht-Nutzer von Gesundheitskiosken in den Apotheken. Die Datenerhebung erfolgte anhand von a) teilnehmenden Beobachtungen und b) Feldgesprächen.

a) Teilnehmende Beobachtung

Im Hinblick auf die Anspruchsgruppe Bürger wurde die teilnehmende Beobachtung als methodischer Zugang gewählt [7] und sollte somit einen ersten Einblick in die Kommunikationsprozesse sowie die Informationsstruktur der Apotheken ermöglichen. Beobachtet wurden die folgenden Faktoren:

  • Dauer Aufenthalt,
  • Interaktion mit Kiosk (ja/nein sowie die Dauer),
  • Wartezeiten,
  • Kontextfaktoren zum Untersuchungsort (Größe der Apotheke, Besucherfrequenz, Standort und Zugänglichkeit des Kiosks).
b) Feldgespräche

Neben der teilnehmenden Beobachtung wurden Feldgespräche mit Bürgern in den Apotheken geführt, da es in der Feldforschung schwierig ist, trotz sorgfältiger Beobachtung und geeigneter theoretischer Konzepte das Gesehene richtig verstehen und interpretieren zu können [7]. Neben den Fragen zu soziodemographischen Merkmalen wie Alter und Geschlecht und zur Einschätzung des Technologieinteresses wurden die Fragestellungen in Tabelle 1 [Tab. 1] einbezogen.

Alle Teilnehmer wurden mündlich über die Studie informiert, erhielten ein Aufklärungsschreiben und unterzeichneten eine Einverständniserklärung. Auch die Inhaber der Apotheken gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Datenerhebung. Insgesamt nahmen 92 Personen an der Untersuchung teil, davon 29 Männer und 63 Frauen. Das Durchschnittsalter betrug 48 Jahre (SD = ± 17,98, Verteilung s. Abbildung 2 [Abb. 2]). Die durchschnittliche Gesprächsdauer betrug 5 Minuten.

Die Codierungen der Befragungen erfolgten theorieorientiert anhand des Technology Usage Inventory (TUI) [5]. Zu diesem Zweck wurde ein Codebuch auf Basis eines Kategoriensystems (Tabelle 2 [Tab. 2]), welches a priori anhand des TUI entwickelt wurde, eingesetzt.

Das Kategoriensystem wurde anhand der Interviewergebnisse induktiv weiter ausdifferenziert und modifiziert. Zuletzt wurden alle Codierungen nochmals hinsichtlich ihrer Passfähigkeit zur jeweiligen Kategorie überprüft. Gegebenenfalls wurden Textsegmente rekodiert. Die Analyse wurde von einem wissenschaftlichen Mitarbeiter durchgeführt. Zur Bearbeitung wurde die Software MaxQDA 2020 verwendet.


Ergebnisse

Erste Teilstudie: Art, Häufigkeit und Entwicklung der Nutzung gemessen über die Log-Dateien

Über die Gesamtdauer wurden 24 Funktionen an den vier Apothekenstandorten genutzt. Tabelle 3 [Tab. 3] zeigt die Nutzungshäufigkeit pro Funktion innerhalb des untersuchten 25-Monats-Zeitraums. Am häufigsten wurden demnach die Ermittlung des BMI, die Berechnung des Krankengeldes, die Arztsuche, die ICD-Diagnose-Suche und die Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an den vier Apothekenstandorten genutzt.

In absoluten Zahlen wurde der Gesundheitskiosk an den vier untersuchten Standorten zwischen dem 01.07.2019 und 31.07.2021 1.759 mal genutzt. Abbildung 3 [Abb. 3] zeigt die Nutzungshäufigkeit pro Standort und Monat an den vier untersuchten Apotheken (in dunkelblau, grün, rot und gelb) im Vergleich zu allen Apotheken-Standorten gemittelt (in schwarz) im Verlauf. Die einzelnen Nutzungsverlaufskurven der vier Apotheken lagen bis auf wenige Monate (Dez. 2020 – März 2021, Mai 2021 – Juni 2021) über derjenigen aller anderen Apothekenstandorte und wiesen eine größere Schwankung auf. Während die vier Apotheken im Mittel (Median) eine Zugriffsrate von 11 Nutzungen pro Monat und Kiosk (Interquartilsbereich 20) hatten, lag dieser Wert bei allen anderen Apotheken bei 11 (Interquartilsbereich 4). Dadurch unterschieden sich die vier Apotheken durch ihre stärkere Streuung und die Nutzungsspitzen. Gründe für die Spitzen waren Informationstage der Fa. DeGiV in den Apotheken, an denen die Kioske vermehrt genutzt wurden.

Der Nutzungsverlauf pro Standort blieb in der Gesamtschau auf einem konstanten Niveau mit Ausnahme der Spitzen.

Zweite Teilstudie: Nutzung, Nutzungsabsicht und Gründe für Nutzung bzw. Nichtnutzung

Nutzung des Kiosks und anderer Kommunikationskanäle

Während der Felduntersuchung konnte keine Verwendung des Kiosks beobachtet werden. In den Befragungen gaben drei Teilnehmer an, den Kiosk in der Vergangenheit bereits genutzt zu haben. Gründe dafür waren die Gelegenheit aufgrund der Nähe zum Arbeitsplatz sowie die schnelle und einfache Handhabung bei wiederkehrenden Prozessen.

Alle Teilnehmenden wurden gefragt, welche weiteren Kommunikationskanäle sie für die Kommunikation mit ihrer Krankenkasse nutzen. Nicht-elektronische Kommunikationskanäle waren der Postweg und das persönliche Gespräch (jeweils 13 Personen). Gründe dafür waren die Einfachheit der Nutzung, das Einreichen von Originalbelegen/-dokumenten sowie der Zugang/ die Erreichbarkeit, die Qualität der Beratungsleistung, der persönliche Augenkontakt, eine umfassendere Beratung vor Ort sowie die Verbindlichkeit eines persönlichen Gesprächs. Hinsichtlich elektronischer Kommunikationskanäle wurden E-Mail, Online-Plattformen, Smartphone-Apps und das Telefon genannt. Gründe für die E-Mail-Nutzung waren der papierlose Prozess, keine Wartezeiten und ein schnelles Einreichen von Unterlagen. Für die Telefonnutzung sprachen die Bekanntheit des Prozesses und die Einfachheit der Nutzung aus Sicht der Teilnehmer.

Nutzungsabsicht

Die Nicht-Nutzer wurden in den Feldgesprächen gefragt, ob sie den Kiosk nutzen würden. Elf Personen äußerten sich positiv zur Nutzungsabsicht. Demnach würden zwei Personen den Kiosk aus Neugier testen, zum Beispiel für die Übermittlung von Daten an die Krankenkasse. Zwei Personen nannten als Bedingung die Einfachheit der Nutzung. Insgesamt äußerten sich 22 Personen negativ zu einer potenziellen Nutzung des Gesundheitskiosks. Gründe waren fehlender Bedarf, fehlende Mobilität, keine relevanten Funktionen, kein Mehrwert im Vergleich zu Alternativen sowie die notwendige Einarbeitungszeit als Barriere zur Nutzung.

Ebenfalls wurden negative Nutzererfahrungen benannt. Ein Teilnehmer schilderte, dass er in der Vergangenheit bereits den Kiosk nutzen wollte, aber die Rückmeldung bekam, dass die Krankenkasse nicht am Kiosk teilnimmt. Er hatte daraufhin über den Kiosk eine Nachricht über den Wunsch der Teilnahme gesendet und bekam die Rückmeldung, dass die Krankenkasse wegen fehlender Relevanz nicht teilnimmt. Aus Sicht anderer Teilnehmer würde sich außerdem die Nutzungsabsicht erhöhen, wenn mehr Krankenkassen am Kiosk teilnähmen.

Gründe für die (Nicht-)Nutzung von Gesundheitskiosken in Apotheken

Die folgende Darstellung von Gründen orientiert sich an dem für die Auswertung genutzten Kategoriensystem (Tabelle 2 [Tab. 2]).

Zugänglichkeit

Die Kategorie Zugänglichkeit wies eine vergleichbar hohe Anzahl an codierten Segmenten auf und stellte die am meisten genannte Kategorie der Gründe dar. Unterkategorien bildeten die Aussagen zum Standort des Kioskes sowie die Verfügbarkeit von Kommunikationsfunktionen im Rahmen der Teilnahme der Krankenkasse. Für 18 Personen galt, dass ihre Krankenkasse nicht am Kiosk teilnahm und daher die Nutzung von Kommunikationsfunktionen nicht zugänglich war. Dies bildete einen zentralen Grund für die Nichtnutzung. Des Weiteren äußerten sich die Teilnehmer zum Standort Apotheke. Demnach standen der Kiosk sowie Personen, die den Kiosk nutzten, anderen Wartenden in der Apotheke im Weg. Des Weiteren äußerten sich drei Teilnehmer, dass die Apotheke nicht privat genug sei für den Umgang mit sensiblen Daten.

Technologieinteresse

Zehn Äußerungen reflektierten Ansichten, in denen sich Personen negativ zu Interesse an neuen Technologien äußerten. Gründe für ein fehlendes Interesse war ein konservatives Familienumfeld sowie die Wahrnehmung des persönlichen Kontakts als Qualitätskriterium. Dagegen gab es acht Aussagen, die eine positive Einstellung gegenüber neuen Technologien beschrieben. Diese Einstellung wurde durch die aktive Nutzung von Smartphone-Apps oder Services auf Online-Plattformen als Beispiel untermauert.

Skepsis

Die Codierungen im Bereich Skepsis umfassten abweichend vom Codebuch die Skepsis hinsichtlich der Nutzung von Technologien im Allgemeinen. Es konnten keine Codierungen im Bereich des Kiosks identifiziert werden. Gründe für die Skepsis waren demnach die Gefahr von Betrugsfällen, das gezielte Abfangen von Daten, das Tracking von Daten, sowie persönliche Vorfälle von falsch dokumentierten Daten. Insbesondere wurde durch die Teilnehmer der Aspekt hervorgehoben, dass Gesundheitsdaten hoch sensibel sind und daher eine größere Vorsicht herrscht.

Nützlichkeit

Als Gründe für die Nützlichkeit einer Technologie allgemein wurden die Unterstützung im Alltag als Betreuungsperson von Menschen mit Behinderungen, sowie die Unterstützung der Technologie für ältere Menschen oder Menschen, die unter einer zunehmenden Immobilität leiden, genannt. Nicht-Nutzer gaben des Weiteren an, dass sie es vorzögen, gesundheitsbezogene Aufgaben mit ihrem derzeitigen bzw. gewohnten Verfahren zu erledigen. Als gewohnte Verfahren wurden hier insbesondere das Telefongespräch oder die persönliche Beratung genannt.

Technologieängstlichkeit

Gründe für die Nicht-Nutzung von Technologien im Allgemeinen ist die Technologieängstlichkeit. Drei Personen äußerten sich ängstlich zum Umgang mit neuen Technologien. Gründe dafür waren die Angst etwas falsch zu machen sowie die Wahrnehmung von neuen Technologien als Belastung. Zwei gaben an, dass die Angst mit steigendem Alter zunahm.

Neugierde

Bezogen auf die Neugierde und Wissbegierde einer Person konnten zum Kiosk drei Segmente codiert werden, die als Grund für die Kiosknutzung die Neugierde beschrieben. Trotz Neugierde wurde vermutet, dass gerade ältere Personen, die ein akutes Anliegen haben, lieber persönlichen Kontakt haben wollen und sich nicht durch Menüs „durchkämpfen“ (TLN073, Pos. 8) möchten.

Benutzerfreundlichkeit

Die Teilnehmer nannten die Benutzerfreundlichkeit als notwendige Voraussetzung für eine potenzielle Nutzung des Kiosks. Einige Teilnehmer stellten heraus, dass sie nicht wussten, an wen sich der Kiosk richtet. Daher bestand der Wunsch einer gut sichtbaren, kurzen Information zum Verwendungszweck des Kiosks. Weitere Wünsche zum Kiosk waren eine bessere Wartung (z.B. Datenbanken aktualisieren – Arztsuche beinhaltete nicht mehr aktuelle Daten zu Ärzten), auch technische Störungen wie Übermittlungsfehler beheben (Übermittlung fehl-geschlagen), sowie das Ausdrucken von Gesundheitsinformationen.

Bedeutung des sozialen Umfelds für Nutzung und Nichtnutzung

Ein weiterer Grund der (Nicht)-Nutzung konnte induktiv aus dem Material herausgearbeitet werden. Demnach spielte das soziale Umfeld eine bedeutende Rolle, ob eine Technologie genutzt oder abgelehnt wird. Gründe für die Nicht-Nutzung waren demnach, dass die befragten Teilnehmer die Erledigung einer Aufgabe anhand von Technologien an Ehepartner oder jüngere Verwandte delegierten und sich damit nicht selbst mit neuen Technologien beschäftigten. Gleichzeitig konnte das Umfeld jedoch auch als Katalysator fungieren, in dem durch die Hilfestellung aus dem sozialen Umfeld neue Technologien eher ausprobiert wurden.

Neben Verwandten oder Freunden spielte auch die Unterstützung des Gesundheitspersonals eine wesentliche Rolle. So stellten die Teilnehmer heraus, dass sie bislang niemand auf den Kiosk hingewiesen habe oder ihnen gezeigt hatte, wofür man diesen nutzt. Diese Art der Hilfestellung könnte die Nutzungsabsicht sowie die tatsächliche Nutzung bestärken.


Diskussion

Die Ergebnisse dieser Langzeitstudie zeigen, dass Gesundheitskioske in Apotheken kaum oder nur selten genutzt werden. Dabei wurden, wenn überhaupt, eher Informations- als Kommunikationsdienste aufgerufen. Die anschließende Tiefenanalyse anhand von vier ausgewählten Apotheken machte deutlich, dass die Gründe für die Nicht-Nutzung durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren bedingt waren. So bedingten im Einklang mit dem bisherigen Stand der Forschung [8] die Benutzerfreundlichkeit und die Nützlichkeit die Nutzungsabsicht. Ein wesentlicher Grund für die Nicht-Nutzung war die fehlende Relevanz der Funktionen sowie der Wunsch nach weiteren Funktionen und Informationen über den bisherigen Funktionsumfang hinaus. Die Nutzung bzw. Nutzungsabsicht des Gesundheitskiosk ergibt sich daher aus ihrer Nützlichkeit. Diese ist wiederum an die jeweiligen Funktionen gebunden, wie diese Studie zeigen konnte. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Gesundheitskioske hängt daher von der Vergleichbarkeit der Funktionen ab [9]. Hinsichtlich der Akzeptanz im internationalen Kontext von Kiosksystemen zeigten Studien, dass die Zufriedenheit und Akzeptanz von Kiosksystemen hoch ist und positiv assoziiert wird mit der tatsächlichen Nutzung [10], [11]. Diese aber von Faktoren wie Bildungsgrad, Einkommen, Alter sowie der Nationalität beeinflusst werden können [11].

Auch die Technologieängstlichkeit und ein fehlendes Technologieinteresse trugen zur Nicht-Nutzung bei. Die Technologie-Neugierde wurde zwar als ein Grund für die Nutzung genannt, jedoch reicht Neugierde alleine nicht für eine kontinuierlichen Nutzung. Der Faktor der Skepsis konnte ebenfalls aus dem Material herausgearbeitet werden. So wurden hier insbesondere der Datenmissbrauch und das Tracking von Daten als Grund zur Nicht-Nutzung genannt.

Ein bedeutender Faktor in der Studie bildete die Zugänglichkeit. Dieser erfasste die Nicht-Teilnahme von Krankenkassen am Kiosk und damit die fehlende Möglichkeit die Funktionen in vollem Umfang zu nutzen. Außerdem wurde der Standort der Apotheke als ungeeignet benannt. Hierfür konnten mehrere Gründe festgestellt werden. Zum einen bot der Standort im Allgemeinen nicht genug Privatsphäre, dieser Aspekt wird durch den bestehenden Stand der Forschung untermauert [12]. Zum anderen wurde die Positionierung des Kiosks selbst kritisiert. Von einigen Teilnehmenden wurde diese als Barriere empfunden. Häufiger wurde der Kiosk jedoch gar nicht erst wahrgenommen. So wird die Apotheke selbst eher als Ausgabe- und Verkaufsstelle für Arzneien sowie für die Beratung bei akuten, kleineren Beschwerden wahrgenommen [12].

Die Studie erhärtet des Weiteren die Bedeutung des sozialen Umfeldes bei der Nutzung von Technologien. Das soziale Umfeld kann dabei die Nutzung begünstigen, jedoch auch eindämmen, wenn die Aufgaben durch dieses übernommen werden [13].

Obwohl der Kiosk in der Zeit der Felduntersuchung nicht genutzt wurde, nannten die Teilnehmer potenzielle Gründe, die für eine Nutzung des Kiosks sprechen. Deutlich wurde jedoch, dass die Vorteile der Alternativen insgesamt überwogen und der Kiosk daher als weniger nützlich empfunden wurde.

Im Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren ergeben sich unterschiedliche Wirkrichtungen, die die Nicht-Nutzung befördern können. So könnten die Faktoren der fehlenden Wahrnehmung und des fehlenden Bedarfs in beide Richtungen wirken: Personen, die die Technologie nicht wahrnehmen und nicht auf diese hingewiesen werden, entwickeln keinen Bedarf für die Technologie oder aber, der fehlende Bedarf könnte die Ursache einer nicht aktiven Suche nach einer Lösung und damit die fehlende Wahrnehmung bedingen. Offensichtlich haben die Maßnahmen zur Bekanntmachung (z.B. Einführungstage, Hinweise von dem Apothekenpersonal, Platzierung in der Apotheke) nicht ausgereicht, um die nötige Visibilität für den Kiosk zu erlangen.

Limitationen ergeben sich aus der Tatsache, dass während der Felduntersuchung keine tatsächlichen Nutzer beobachtet werden konnten. Erst aus dem Feldgespräch konnte identifiziert werden, dass einige befragte Personen den Kiosk in der Vergangenheit genutzt hatten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Studie während der Corona Pandemie stattfand. Diese Tatsache hat vermutlich keinen Einfluss darauf, dass Apotheken in dieser Zeit grundsätzlich weniger besucht wurden, sondern möglicherweise, dass sich die Personen dort weniger lang aufhielten, was sich auf die Nutzung des Gesundheitskiosk hätte auswirken können.


Fazit

Bürgerzentrierte Gesundheits-IT scheint nur dann genutzt zu werden, wenn die funktionale und räumliche Zugänglichkeit sowie die Nützlichkeit der Funktionen sichergestellt sind. Kioske für Versicherte nur vereinzelter Krankenkassen ergeben keinen Sinn für die Bürger. Auch muss der Funktionsumfang hinreichend weit ausgereift sein, um den Kiosk für eine große Menge von Anwendern attraktiv und nützlich zu machen. Darüber hinaus deutet sich an, dass der Standort Apotheke als problematisch angesehen wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Identifizierung der Gründe für die (Nicht-)Nutzung ein wichtiger Schritt ist, um das Potential von Gesundheitskiosks entfalten zu lassen, wenn sie im Rahmen der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit zum Einsatz in der angedachten Weise kommen sollen.


Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.

Ethikvotum

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Hochschule Osnabrück, Vorsitzender Prof. Dr. Ulrich Kuhnke, Votum-Nr. HSOS/2020/2/5, Datum d. Erstvotum: 26.05.2021, positiv begutachtet.

Förderung

Diese Studie wurde vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Land Niedersachsen (Förderkennzeichen ZW 6- 85003298) gefördert.

Danksagung

Wir bedanken uns bei der DeGIV GmbH für die Zusammenarbeit und die kostenlose Bereitstellung ihrer Technologien für diese Studie.


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