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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

IT-Einsatz in der Pflege: Analyse und Vergleich der Entwicklungen in Deutschland und Österreich seit 2007

Meeting Abstract

  • Jens Hüsers - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Jan-David Liebe - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland
  • Elske Ammenwerth - UMIT - Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Med. Informatik und Technik Tirol, Hall in Tirol, Österreich
  • Werner Hackl - UMIT - Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Med. Informatik und Technik Tirol, Hall in Tirol, Österreich
  • Ursula Hübner - Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen - Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 231

doi: 10.3205/15gmds088, urn:nbn:de:0183-15gmds0884

Veröffentlicht: 27. August 2015

© 2015 Hüsers et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Der internationale Vergleich von IT-Adoptionsraten untersucht den Einfluss von länderspezifischen Merkmalen auf die flächendeckende Umsetzung und Nutzung von IT-Funktionen im Krankenhaus [1], [2], [3]. Diese Informationen können dazu beitragen, die nationale Versorgungsqualität effektiver und effizienter zu gestalten.

In diesem Sinne verglichen Hübner et al. [4]. die Nutzung von pflegerelevanten IT-Funktionen zwischen Österreich und Deutschland anhand von Daten aus dem Jahr 2007. Trotz hoher länderspezifischer Gemeinsamkeiten und einem vergleichbaren Gesundheitssystem zeigte sich ein Trend höherer Umsetzungsgrade in Österreich, vor allem für die Intensiv- und Pflegedokumentation, sowie dem elektronischen Archiv.

Die Studie diskutierte insbesondere die Größe des Landes und die rechtliche Verankerung der Pflegediagnose als mögliche Einflussfaktoren auf den Unterschied zwischen beiden Ländern. Demnach scheinen kleinere Länder bzw. Gesundheitssysteme schneller IT-Innovationen zu adoptieren. Auch die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die Pflegediagnosen könne als Treiber auf die elektronische Pflegedokumentation wirken [4].

Aufbauend auf der Studie von Hübner und Kollegen [4] sollte ein erneuter Ländervergleich mit einer vergleichbaren Datenbasis durchgeführt werden. Es sollte überprüft werden, ob (1.) weiterhin ein Unterschied zwischen beiden Ländern hinsichtlich der Nutzung von IT-Funktionen, mit denen Pflegekräfte typischerweise arbeiten (Pflege-IT), existiert, und (2.) welche Veränderungen in der Adoption von Pflege-IT in beiden Ländern seit der Untersuchung vor 7 Jahren stattgefunden haben. Ferner (3.) soll die Frage untersucht werden, ob ein Länderunterschied hinsichtlich des IT-Innovationsverständnisses der Pflegedienstleitungen besteht.

Material und Methoden: In einer Querschnittserhebung wurden die Pflegedirektoren und Pflegedirektorinnen (PD) in Österreich und Deutschland im Zeitraum von November 2013 bis März 2014 befragt. In Österreich wurden 169 PD der Krankenhäusern kontaktiert. Diese entsprechen 61% der österreichischen Spitäler [5]. In Deutschland wurden 1754 PD kontaktiert. Dies entspricht 86% aller Krankenhäuser [6]. Die Teilnehmer beider Länder erhielten identische Fragebögen: Neben den demografischen Daten thematisierte der Fragebogen die IT-Struktur, die IT-Prozessunterstützung und die IT-Partizipation der Pflege. In der vorliegenden Arbeit wurde die Nutzung der folgenden neun pflegetypischen IT-Funktionen betrachtet, die auch Hübner et al. in ihrer Arbeit analysierten: Pflegedokumentation, Intensivdokumentation, Essensbestellung, Dienstplanung, OP-Dokumentation, Anästhesiedokumentation, Qualitätsmanagement, stationäres und ambulantes Patientenmanagement und Elektronisches Archiv. Die Daten waren dichotom und zeigten an, ob die IT-Funktionen genutzt werden oder nicht.

Um die erste Forschungsfrage zu beantworten, wurden die relativen Häufigkeiten beider Länder berechnet und verglichen. Mit einem χ²- Test wurden Unterschiede auf Signifikanz überprüft. Dieser Test wurde mit einem zweiseitigen Alphaniveau von 5% durchgeführt. Um der Alphafehlerkummulierung zu begegnen, wurde eine Bonferroni- Korrektur vorgenommen. Um die zweite Forschungsfrage zu beantworten, wurden die Daten von 2007 und 2014 gegenübergestellt und die Entwicklung jeder Funktion überprüft. Um die dritte Forschungsfrage zu beantworten, wurden die Angaben der Teilnehmer zu dem eingeschätzten IT-Innovationsverständnis beider Länder gegenübergestellt. Dieses wurde auf einer elf- stufigen Skala (0-10) ermittelt und mit dem Mann-Whitney-Test verglichen.

Ergebnisse: Die Stichproben beider Länder umfassen Krankenhäuser aller Regionen, Größe und Trägerschaft. In Deutschland nahmen 464 Pflegedirektoren teil. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 26%. In Österreich waren es 70 Pflegedirektoren (41% Rücklaufquote). In beiden Stichproben gab es eine Verzerrung zu Ungunsten von kleineren Häusern, die sich in beiden Ländern eher weniger beteiligten.

Der Ländervergleich 2014 wies hohe Unterschiede bei der Nutzung der Funktionen Pflegedokumentation (Unterschied 35,1%), Intensivdokumentation (28,1%) und elektronisches Archiv (18,9%) auf. Bei diesen Funktionen war die Umsetzung in Österreich signifikant höher. Die Unterschiede in den weiteren sieben Funktionen waren nicht signifikant.

Die Analyse der Entwicklung beider Länder von 2007 bis 2014 zeigte, dass der gemittelte prozentuale Abstand in allen pflegerelevanten IT-Systemen von 13,7% auf 5,7% zugunsten von Deutschland gesunken ist, insbesondere bedingt durch die gestiegene Nutzung des elektronischen Archivs (Steigerung 17,2%) und OP-Dokumentation (13,2%) in Deutschland. Die Steigerung bei den Funktionen Pflegedokumentation, Essensbestellung, Dienstplanung, OP-Dokumentation, ambulantes Patientenmanagement und Qualitätsmanagement lag in Deutschland zwischen 5,4% und 9,4%. Lediglich die Intensivdokumentation und das stationäre Patientenmanagement zeigten keinen Zuwachs. In Österreich war der größte Zuwachs bei der OP-Dokumentation zu beobachten (6,2%). Die Nutzung der weiteren Funktionen stagniert (Steigerung<6,2%).

Bei dem Vergleich des IT-Innovationsverständnisses der Krankenhäuser zeigte sich, dass die PD aus Österreich (Median=6,5) signifikant höher einschätzen (p<0,05) ein als ihre Kollegen/innen aus Deutschland (6,0).

Diskussion: In Österreich zeigte sich weiterhin eine signifikant höhere Nutzung in drei pflegerelevanten IT-Funktionen. Dies entspricht den Ergebnissen von vor sieben Jahren [4]. Die weiteren Funktionen zeigten keine signifikanten Unterschiede. Im Jahresvergleich zeigt sich ein verringerter Unterschied bei der IT-Nutzung zwischen beiden Ländern. Dies ist auf gesteigerte Umsetzungsraten in Deutschland und eine stagnierende Adoption in Österreich zurückzuführen. Die PD aus Österreich schätzten die Innovationsfähigkeit signifikant höher ein als ihre deutschen Kollegen/innen.

Diese Ergebnisse deuten auf steigende Adoptionsraten in Deutschlands hin. Eine Angleichung an das österreichische Niveau ist jedoch nicht zu beobachten. Daher sind die Steigerungen als moderat zu bewerten. Insbesondere bei den Dokumentationsfunktionen (Pflege- und Intensivdokumentation) zeigen sich weiterhin signifikante Unterschiede. Die Entwicklung in Österreich scheint zu stagnieren. Es zeigen sich keine nennenswerten Zuwächse bei der Adoption von pflegerelevanten IT-Funktionen.

Hübner und Kollegen [4] diskutieren in ihrer Arbeit die rechtliche Verankerung der Erstellung von Pflegediagnosen als eigenständiger Tätigkeitsbereich in Österreich im Jahr 1997 [7] als einen Impuls für die Adoption von pflegerischen IT-Innovationen. Mit Hinblick auf das vorliegende Ergebnis ist es denkbar, dass dieser Effekt über die Zeit an Bedeutung verliert und ein Plateau in der Entwicklung Österreichs erreicht ist. In Deutschland hingegen fehlte ein vergleichbarer Impuls. Die Entwicklung der Adoptionsraten pflegerelevanter IT-Funktionen vollzog sich langsamer und scheint nun von dem allgemein beobachteten Anstieg der IT-Adoption in deutschen Krankenhäusern zu profitieren [8]. Es fehlen weitere Impulse, um die Entwicklung voranzutreiben. Weder in Österreich noch in Deutschland gab es in den vergangenen Jahren wichtige gesetzliche Vorhaben, die in den traditionell stark gesetzlich regulierten Gesundheitssystemen möglichweise essentiell sind, um die Adoption von pflegerelevanter IT voranzutreiben. Die höher eingeschätzte IT-Innovationsfähigkeit der PD in Österreich kann in diesem Zusammenhang als ein Resultat der vorangegangenen gesetzlichen Veränderungen und der daraus resultierenden hohen Adoptionsrate bei den pflegerelevanten IT-Funktionen verstanden werden.

Die moderate Steigerungsrate in Deutschland und die hohe Adoption mit anhaltender Entwicklung in Österreich spiegeln den Adoptionsverlauf wider. Demnach brauchen größere Länder offensichtlich mehr Zeit bei der Adoption von IT-Innovationen.

Die vorliegenden Arbeiten fließen in den eHealth Benchmark der OECD ein [3], dessen Methodik aktuell evaluiert wird.


Literatur

1.
OECD. Health at a glance 2013: OECD Indicators. Paris: Organisation for Economic Co-operation and Development; 2013.
2.
Europäische Kommission. European Hospital Survey: Benchmarking Deployment of e-Health Services; 2013.
3.
Adler-Milstein J, Sarma N, Woskie LR, Jha AK. A comparison of how four countries use health IT to support care for people with chronic conditions. Health Aff (Millwood). 2014;33:1559–66.
4.
Hübner U, Ammenwerth E, Flemming D, Schaubmayr C, Sellemann B. IT adoption of clinical information systems in Austrian and German hospitals: results of a comparative survey with a focus on nursing. BMC medical informatics and decision making. 2010;10:8.
5.
Statistisches Bundesamt Wiesbaden [Internet]. Einrichtungen, Betten und Patientenbewegung – Krankenhäuser. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabellen/KrankenhaeuserJahreOhne100000.htm (Zugriff 24. März 2015). Externer Link
6.
Bundesministerium für Gesundheit Wien [Internet]. Krankenanstalten in Österreich. Abrufbar unter: http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Krankenanstalten/Krankenanstalten_und_selbststaendige_Ambulatorien_in_Oesterreich/Krankenanstalten_in_Oesterreich (Zugriff 24. März 2015). Externer Link
7.
Österreichisches Gesundheits- und Krankenpflege Gesetz § 14 GuKG Eigenverantwortlicher Tätigkeitsbereich. Abrufbar unter: http://www.jusline.at/index.php?cpid=ba688068a8c8a95352ed951ddb88783e&lawid=293&paid=14&mvpa=17 (Zugriff 24 März 2015) Externer Link
8.
Hübner U, Liebe JD, Straede MC, Thye J. IT-Report Gesundheitswesen, Schwerpunkt IT-Unterstützung klinischer Prozesse, Schriftenreihe des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. 2014. ISBN 978-3-00-046166-8