gms | German Medical Science

50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds)
12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie (dae)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

12. bis 15.09.2005, Freiburg im Breisgau

Prävalenz des metabolischen Syndroms in Deutschland: eine Sensitivitätsanalyse

Meeting Abstract

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  • Hannelore Neuhauser - Robert Koch-Institut, Berlin
  • Ute Ellert - Robert Koch-Institut, Berlin

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. 50. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (gmds), 12. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie. Freiburg im Breisgau, 12.-15.09.2005. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc05gmds416

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/gmds2005/05gmds183.shtml

Veröffentlicht: 8. September 2005

© 2005 Neuhauser et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung

Die Public Health-Relevanz des metabolischen Syndroms ergibt sich nicht nur aus dem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes, sondern auch aus der Verbreitung in allen Altersgruppen und den Hinweisen für einen ansteigende Prävalenz in den letzten Dekaden. Die Prävalenz des metabolischen Syndroms in der Allgemeinbevölkerung wurde jedoch in epidemiologischen Studien erst in den letzten Jahren bestimmt, nachdem zunächst die WHO [1] und anschließend das National Cholesterol Education Program Expert Panel on Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Cholesterol in Adults (NCEP, Adult Treatment Panel III) operationalisierte Definitionen des metabolischen Syndroms vorgeschlagen haben [2]. Ziel unserer Studie war es, erstmals die Prävalenz des metabolischen Syndroms in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung in Deutschland zu schätzen.

Material und Methoden

Datengrundlage war der Bundes-Gesundheitssurveys 1998 (BGS 98), eine repräsentative Untersuchung von 18 bis 79-jährigen Männern und Frauen in Deutschland (n=7124). Das metabolische Syndrom wurde gemäß der ATP III Kriterien definiert. Dabei müssen mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sein: Taillenumfang >102 cm bei Männern oder >88 cm bei Frauen; Triglyceride (TG) >= 150 mg/dl; HDL Cholesterin <40 bei Männern und <50 mg/dl bei Frauen; Blutdruck >=130/>=85 mm Hg und Nüchtern-Glucose >=110 mg/dl. Bei dem Blutdruck und Glukosekriterium wird in vielen Studien noch die Einnahme entsprechender Medikation hinzugezogen. Bei 13,4% der Stichprobe konnte aufgrund fehlender 8h-Nüchternwerte für Glucose und Triglyceride keine Entscheidung über das Vorliegen eines metabolischen Syndroms getroffen werden. Wir haben daher für diese beiden Kriterien Modifikationen der ATP III Kriterien erarbeitet und deren Auswirkungen auf die Prävalenzschätzungen in einer Sensitivitätsanalyse getestet.

Ergebnisse

Aus der BGS 98 Gesamtstichprobe (n=7124) wurden für die vorliegende Analyse schwangere Frauen ausgeschlossen (n=44) sowie Teilnehmer mit einer kritischen Anzahl von Missings bei den für die Definition benötigten Variablen (n=412).

Bei Anwendung der ATP III Kriterien ergibt sich folgendes Bild: 73,0% haben kein metabolisches Syndrom, 13,6% haben ein metabolisches Syndrom und 13,4% können aufgrund fehlender Nüchternwerte nicht eindeutig zugeordnet werden.

In einem zweiten Schritt wurde als Indikator für einen pathologischen Kohlenhydratstoffwechsel ein verteilungsbasierter HbA1c Grenzwert von 6,1%, entsprechend dem Durchschnitt + 2 SD der Allgemeinbevölkerung mit normaler Glukosetoleranz gewählt [3], sowie für nicht-nüchterne TG stratifiziert nach Fastenzeit die 75. Percentile der BGS 98 Verteilung.

Nach diesen modifizierten Kriterien ergab sich eine Prävalenz des metabolischen Syndroms in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland von 23,8% (Frauen 21,0%, Männer 26,6%). Eine Sensitivitätsanalyse unter Berücksichtigung neuerer Studien zum diagnostischen und prognostischen Wert von HbA1c und nicht-nüchtern TG wurde durchgeführt (zusätzliche Grenzwerte: HbA1c 7,0 % , nicht-nüchtern TG 200 und 250 mg/dl) und zeigte eine Spannbreite der Prävalenz von 19,2% bis 23,8% (Frauen 16,9% bis 21,0%, Männer 21,4% bis 26,6%).

Diskussion

Unsere Analyse zeigt erstmals, dass die Größenordnung der Prävalenz des metabolischen Syndroms in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung in Deutschland bei über 20% liegt. Trotz überwiegend nicht-nüchterner Blutwerte konnten 87% der BGS Teilnehmer aufgrund der ATP III Kriterien klassifiziert werden und die Zuordnung der übrigen Teilnehmer anhand modifizierter ATP III Kriterien war sich in der Sensitivitätsanalyse relativ robust. Insgesamt hat die Prävalenz des metabolischen Syndroms in Deutschland eine ähnliche Größenordnung wie die nach ATP III Kriterien bestimmte Prävalenz von 24% in den USA [4].

Das kardiovaskuläre Risiko wird vielmehr von Risikoprofilen bestimmt als von einzelnen stark erhöhten Risikofaktoren. Das metabolische Syndrom ist dabei ein wichtiger Risikoindikator und die hohe Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung verdeutlicht den Bedarf für umfassende Präventionsstrategien. Diese sollten auf Lifestyle Veränderungen, insbesondere Gewichtsreduktion und körperliche Aktivität abzielen.


Literatur

1.
Alberti KG, Zimmet PZ. Definition, diagnosis and classification of diabetes mellitus and its complications. Part 1: diagnosis and classification of diabetes mellitus: provisional report of a WHO consultation. Diabet Med 1998;15:539-553
2.
Executive Summary of The Third Report of The National Cholesterol Education Program (NCEP) Expert Panel on Detection, Evaluation, And Treatment of High Blood Cholesterol In Adults (Adult Treatment Panel III). JAMA 2001;285:2486-97
3.
Rohlfing CL, Little RR, Wiedmeyer H, et al. Use of GHb (HbA1c) in screening for undiagnosed diabetes in the U.S. population. Diabetes Care 2000;23:187-191
4.
Ford ES, Giles WH, Dietz WH. Prevalence of the Metabolic Syndrome Among US Adults. JAMA 2002;287:356-359