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Mehr als eine spektakuläre Graphik – der Beitrag sozialer Netzwerkanalysen zum Verständnis sozialer Lernprozesse am Beispiel ärztlicher Berufsanfänger
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Veröffentlicht: | 31. August 2015 |
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Fragestellung/Einleitung: Nachdem das Medizinstudium angehende Mediziner nur begrenzt auf die Herausforderungen des klinischen Alltags vorbereiten kann [1], [2], spielt für ärztliche Berufsanfänger das Lernen durch soziale Austauschprozesse am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle [3], [4]. In der ökonomischen, soziologischen und pädagogischen Forschung wird zur Erfassung eben dieser sozialer Interaktions-, Lern- und Sozialisationsprozesse bereits seit einigen Jahren die Methode der sozialen Netzwerkanalyse eingesetzt [5], [6], [7]. In der medizinischen Ausbildungsforschung finden sich hingegen bislang nur wenige Studien, die sich explizit sozialer Netzwerkanalysen bedienen, um soziale Interaktionen abzubilden [8]. Als soziales Netzwerk wird ein abgegrenztes Set von Akteuren (Knoten) und den Verbindungen zwischen diesen bezeichnet [9]. Die strukturellen positiven oder negativen Eigenschaften des Netzwerks und dessen Konsequenzen stellen den Gegenstand empirischer Forschungsfragen dar und sind a priori nicht festzulegen [10]. Die Erfassung und Visualisierung der sozial-interaktiven Prozesse mit Explikation von Informations- und Kommunikationswegen könnte wesentlich dazu beitragen, unser Verständnis für das Lernen ärztlicher Berufsanfänger am Arbeitsplatz zu erweitern.
Methoden: Im Vortrag soll daher die Methode der sozialen Netzwerkanalyse und ihre Anwendung im Kontext medizinischer Ausbildungsforschung anhand von Beispielen aus einer von uns aktuell durchgeführten Interviewstudie mit (geplant 30) ärztlichen Berufsanfängern der Inneren Medizin illustriert werden. Das Ziel unserer Studie ist es, die soziale Integration und das Lernen ärztlicher Berufsanfänger besser zu verstehen. Dazu werden die Teilnehmer nach den sozialen Kontakten gefragt, die ihnen im klinischen Alltag als Ratgeber, Lehrer, oder mit emotionaler Unterstützung zur Seite stehen. Weiterhin werden für die genannten Personen die Intensität des Kontakts, deren Berufserfahrung, Profession, Geschlecht, hierarchischer Status sowie deren Kontakt untereinander erfragt. Zur Auswertung der erhobenen Netzwerke werden quantitative Kennwerte wie Netzwerkgröße, -dichte und -diversität berechnet.
Ergebnisse: Erste Analysen deuten darauf hin, dass die sozialen Netzwerke der befragten Berufsanfänger eher dicht und homogen sind, wobei verschiedene Personen im Netzwerk unterschiedliche Lernbedürfnisse ansprechen. Intraprofessionelle Kontakte dominieren die sozialen Lernprozesse der Interviewpartner. Anhand der Daten aus unserer Studie werden Möglichkeiten zur Visualisierung egozentrierter Netzwerke wie auch Implikationen der berechneten Kennzahlen erläutert.
Diskussion/Schlussfolgerung: Mit Etablierung netzwerkanalytischer Verfahren in der medizinischen Ausbildungsforschung kann das Lernverhalten ärztlicher Berufsanfänger besser verstanden werden. Die gewonnenen Erkenntnisse können dazu beitragen, verbesserte Ausbildungskonzepte für die ärztliche Weiterbildung zu entwickeln, die den sozialen Lernprozessen Rechnung tragen und sich an die Bedürfnisse der Lernenden anpassen.
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