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EbM zwischen Best Practice und inflationärem Gebrauch
16. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

13.03. - 14.03.2015, Berlin

Informierter Irrtum: ein kognitives Modell evidenzbasierter Therapieerfolgserwartungen

Meeting Abstract

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  • corresponding author presenting/speaker Levente Kriston - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • author Ingo Zobel - Hochschule Fresenius Hamburg, Hamburg, Deutschland

EbM zwischen Best Practice und inflationärem Gebrauch. 16. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Berlin, 13.-14.03.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc15ebmC2c

doi: 10.3205/15ebm013, urn:nbn:de:0183-15ebm0138

Veröffentlicht: 3. März 2015

© 2015 Kriston et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Fragestellung: In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass die Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten künftiger Ereignisse im Alltag, die auf in der Vergangenheit erhobenen Daten basiert, häufig fehlerhaft ist. In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob evidenzbasierte Schlussfolgerungen bezüglich Therapieerfolgswahrscheinlichkeiten ähnlichen Fehlern unterliegen, wie Schlussfolgerungen in Alltagssituationen.

Material/Methoden: Eine Gelegenheitsstichprobe von 130 Probanden hat einen Fragebogen ausgefüllt, in dem sie die Wahrscheinlichkeit vom Therapieerfolg einer depressiven Patientin in einer medikamentösen Behandlung einschätzen mussten. Als „Evidenz“ wurde eine klinische Studie beschrieben, die 70 bis 90% Erfolgsraten berichtete. In einer von zwei Bedingungen wurden die Probanden gebeten, die Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Person einzuschätzen, die zufällig aus der Studienstichprobe ausgewählt wurde („Partikularisierung“ der Evidenz). In der zweiten Bedingung wurde die Wahrscheinlichkeitseinschätzung für eine „echte“ Patientin vorgenommen, deren Beschreibung keine relevante Information bezüglich des erwarteten Therapieerfolgs beinhaltete („Extrapolierung“ der Evidenz). Die Quantifizierung von Fehlern erfolgte mittels Likelihood Ratios (LR).

Ergebnisse: Die Übertragung von aus Gruppen gewonnen Informationen auf Einzelpersonen (Partikularisierung) resultierte in einer statistisch signifikanten Unterschätzung der Therapieerfolgschancen (LR=0,35; p<.001). Die Übertragung der aus Evidenz gewonnenen Information auf künftige spezifische Ereignisse (Extrapolierung) führte zu einer weiteren Unterschätzung der Wahrscheinlichkeit (LR=0,44; p<.001). Die beiden Komponenten addierten sich zu einer substantiellen Unterschätzung der Therapieerfolgschancen um 84% (LR=0,16; p<.001). Die individuellen Unterschiede zwischen den Probanden waren groß. Eine experimentelle Variation der Eindeutigkeit der Evidenz (der Höhe der in der klinischen Studie berichteten Erfolgsraten) beeinflusste die Partikularisierung (p=.008) nicht aber die Extrapolierung (p=.531) der Information.

Schlussfolgerung: Aus dem Alltag bekannte kognitive Fehler können auch in der evidenzbasierten Gesundheitsversorgung auftreten. Eine weitere Erforschung der postulierten Komponenten und deren Selektivität, sowie die Exploration weiterer Einflussfaktoren sind wünschenswert.