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Entscheiden trotz Unsicherheit: 14. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

15.03. - 16.03.2013, Berlin

Jenseits der Evidenz. Wie informiert man ausgewogen ohne Evidenzbasis? Am Beispiel „Entscheidungshilfen zur Organspende“

Meeting Abstract

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Entscheiden trotz Unsicherheit. 14. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Berlin, 15.-16.03.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. Doc13ebmD1b

doi: 10.3205/13ebm022, urn:nbn:de:0183-13ebm0228

Veröffentlicht: 11. März 2013

© 2013 Schaefer et al.
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Text

Hintergrund: Die Gute Praxis Gesundheitsinformation fordert unverzerrte Informationen für die informierte Entscheidung. Kennzeichnend für Ausgewogenheit ist u.a. die neutrale und vollständige Kommunikation von Schäden. Diese lassen sich bei medizinischen Interventionen aus Studien ableiten. Für die seit 1. November 2011 geltende Entscheidungslösung zur Organspende sind Bürger auch auf ausgewogene Informationen angewiesen. Deren Ausgewogenheit zu beurteilen ist schwer: die Entscheidung hat eine metaphysische Dimension, deren Bewertung nicht evidenzbasiert vorgenommen werden kann. Die vorliegende Untersuchung nimmt an, dass eine Bürgerinformation (BI) zur Organspende als ausgewogen gelten kann, wenn häufig öffentlich diskutierte Kritikpunkte neutral adressiert werden.

Methoden: Im ersten Schritt wurden in relevanten Medien (Print, Funk, TV) kritische Beiträge zur Organspende recherchiert. Die drei meistdiskutierten Kritikpunkte wurden extrahiert. Danach wurden mit den Suchwörtern "(Entscheidungshilfe ODER Entscheidung) UND Organspende" BI in Google recherchiert. Eingeschlossen wurden nur BI, die explizit als Entscheidungshilfe oder als Unterstützung bei der Entscheidung bezeichnet wurden. Es wurde geprüft, ob und wie diese BI die extrahierten Kritikpunkte adressierten.

Ergebnisse: In 42 kritischen Beiträgen wurden folgende drei Aspekte am häufigsten genannt:

1.
Hirntote sind nicht tot, sondern Sterbende (deren Nägel und Haare wachsen, die Kinder austragen können etc).
2.
Mit dem Argument „Organmangel“ wird moralischer Druck ausgeübt. Menschen sterben nicht an fehlenden Organen sondern an einer Grunderkrankung. Der Bedarf an Organen könnte auch nicht gedeckt werden, wenn jeder einen Organspenderausweis besäße.
3.
Die Konsequenzen für Angehörige werden verschwiegen (z.B. Abschiednehmen).

Es wurden drei z.T. nach hochwertiger Methodik erstellte BI identifiziert, die den Einschlusskriterien entsprachen. Keine der BI adressierte den ersten Kritikpunkt und alle stellten mangelnde Spendenbereitschaft als Ursache für Todesfälle dar, ohne die Zahl aller Hirntotfälle pro Jahr ins Verhältnis zum Organ-„Bedarf“ zu setzen. Eine Entscheidungshilfe äußerte sich zu Konsequenzen für Angehörige.

Schlussfolgerung: Auch in methodisch hochwertigen BI zur Organspende wurden häufig diskutierte negative Aspekte nicht oder nur teilweise adressiert. Als unverzerrt können sie daher nicht gelten. Es ist zu fragen, welche Kriterien Ausgewogenheit bei fehlender Evidenzbasis definieren können.