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Komplexe Interventionen – Entwicklung durch Austausch: 13. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

15.03. - 17.03.2012, Hamburg

Über diesen Kongress

Sehr geehrte Damen und Herren,

Das Hauptthema des nächsten EbM-Kongresses lautet "Komplexe Interventionen – Entwicklung durch Austausch". Zwei weitere zentrale Themen sind "Ausbildung in EbM und kritische Gesundheitsbildung" und "EbM, Patientenorientierung und Partizipation: Von Macht und Machtlosigkeit". Die Zielgruppen sind nicht nur Mediziner, sondern auch nicht-ärztliche Gesundheitsberufe, Patienten, Patienten- und Verbraucherberater, Lehrer, Juristen, Sozialpolitiker und andere Interessierte.

Komplexe Interventionen

Viele medizinische Maßnahmen sind komplexe Interventionen. Sie bestehen aus mehreren Einzelkomponenten, die sich wechselseitig bedingen und ihrerseits in komplexe Kontexte implementiert werden. Beispiele sind Stroke Units, Disease Management Programme oder Projekte zur Verbesserung der Krankenhaushygiene. Ähnliche Interventionen gibt es in assoziierten Berufs- und Handlungsfeldern. Zum Beispiel, Sturz- und Dekubitusprävention in der Pflege, Ernährungs- und Sportprogramme in Schulen, Prävention posttraumatischer Störungen, Früherkennung von Kindesmisshandlung und -verwahrlosung, Verringerung von Jugendkriminalität, Prävention von Unfällen im Straßenverkehr oder Web-basiertes Lernen.

Einzelmaßnahmen wie die Behandlung mit einem Arzneimittel lassen sich vergleichsweise einfach in randomisiert-kontrollierten Studien überprüfen und Ergebnisse aus mehreren Studien in Meta-Analysen zusammenführen. Der Nutzen und Schaden von komplexen Interventionen ist hingegen sehr viel schwerer zu ermitteln. Der Beitrag der Einzelkomponenten zum Gesamtergebnis und die Interaktionen im Setting bleiben häufig unklar. Seit einigen Jahren wird zur Bewertung und Synthese von komplexen Interventionen eine Differenzierung der methodischen Verfahren gefordert.

Die methodischen Probleme medizinischer komplexer Interventionen stellen sich in ähnlicher Weise für Interventionen aus dem Pflege-, Sport-, Ernährungs-, Erziehungs- oder Sozialpolitikbereich, um einige zu nennen. Zwei internationale wissenschaftliche Organisationen beschäftigen sich mit der Synthese von Evidenz: die Cochrane Collaboration vorrangig zu Themen der Medizin, Pflege und Gesundheitsversorgung und die Campbell Collaboration zu Erziehung, Politik und Soziales. Die Campbell Collaboration hat sich bisher in Deutschland nicht etabliert.

Folgende Aspekte zum Thema "Komplexe Interventionen" sollen diskutiert werden:

  • Bedeutung von Komplexen Interventionen in medizinischen und nicht-medizinischen Handlungsfeldern
  • Entwicklung, Evaluation und Implementierung von Komplexen Interventionen
    Beurteilung von Komplexen Interventionen – brauchte man RCTs / reichen RCTs
  • Rolle von Kontextfaktoren – ist Übertragung auf andere Settings möglich?
  • Synthese von Komplexen Interventionen – sind Meta-Analysen angemessen?
  • Statistische Heterogenität versus Klinische Heterogenität
  • Neue Verfahren zur Analyse und Synthese von Komplexen Interventionen
  • Was können wir von anderen Wissenschaftsbereichen lernen?
  • Kann sich die Campbell Collaboration in Deutschland etablieren, welchen Beitrag könnte sie leisten?

Aus- und Weiterbildung in den Methoden der Evidenz-basierten Medizin und kritische Gesundheitsbildung

Obwohl in Deutschland inzwischen EbM als Methode zur Bewertung medizinischer Maßnahmen im Sozialgesetzbuch verankert ist und Institutionen wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) EbM als methodische Grundlage nutzen, ist EbM in der Aus- und Weiterbildung der Ärzteschaft nicht strukturell etabliert. Gleichzeitig wird im Bildungsbereich das Fehlen eines adäquaten Wissenschaftsverständnisses bei Lehrern angemahnt.

Auch wenn es eine Reihe erfolgreicher Einzelinitiativen und punktuell Erfolge zu verzeichnen gibt, hat EbM weder im Medizinstudium noch in der ärztlichen Praxis die notwendige Verankerung.

EbM ist darüber hinaus für die Aus- und Weiterbildung nicht nur der ärztlichen sondern auch anderer Gesundheitsberufe von zunehmender Relevanz. Hierzu zählen Pflege, Hebammen, Zahnarztassistenz, Physiotherapie, Rehabilitation, Ernährung und Sport, oder Psychologie und Public Health. Auch für Patienten, interessierte Bürger, Patienten- und Verbraucherberater, Krankenkassen und Ersteller und Anbieter von Patienteninformationen sind Kompetenzen in EbM als "kritische Gesundheitsbildung" zunehmend von Interesse.

Kritische Gesundheitsbildung wird nicht nur Patienten und Bürgern abgefragt. Inzwischen gibt es Projekte zu kritischer Gesundheitsbildung und Risikowissen für Lehrer(inn)en und Schüler(inn)en Allgemeinbildender Schulen.

Curricula für EbM bzw. kritische Gesundheitsbildung wurden und werden von verschiedenen Arbeitsgruppen erstellt und evaluiert. Module und Arbeitsmaterialen werden angeboten. Eine Bestandsaufnahem und ein Austausch von Curricula und Materialien wären für eine effizientere Implementierung von EbM sehr nützlich. Es ist geplant Akteuren in der Entwicklung, Durchführung und Evaluation von EbM Curricula, Modulen und Materialien, sowie von Projekten zu kritischer Gesundheitsbildung auf dem Kongress in Hamburg eine Plattform zu bieten. Sowohl wissenschaftliche Beiträge als auch Demonstrationsobjekte sind willkommen.

EbM, Patient(inn)enorientierung und Partizipation: Von Macht und Machtlosigkeit

Die Partizipation der Patienten an medizinischen Entscheidungen ist ein expliziter und unverzichtbarer Bestandteil der EbM. In der Praxis ist das Konzept jedoch nach wie vor unzureichend umgesetzt. Folgende Themen können und sollen zur Diskussion gestellt werden:

  • Ressourcen für eine wirksame Patient(inn)envertretung: Realität und Bedarf
  • Ist Empowerment ohne EbM und Evidenz-basierte Patienteninformation (EBPI) möglich?
  • Notwendige Strukturen für eine nachhaltige Bereitstellung von Entscheidungshilfen und Evidenz-basierter Patienteninformation
  • Rolle der Gesundheitsfachberufe in der Umsetzung der Patientenrechte und -Ansprüche
  • Patientenleitlinien – was wollen und brauchen Patienten?
  • Rolle der Patienten bei Erstellung von Leitlinien und Qualitätssicherung
  • Patientenbeteiligung an Planung von klinischen Studien
  • Patienten- und Bürgerbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss, IQWIG, Ethikkommissionen und anderen Institutionen
  • Patientenbeteiligung bei Informationserstellung und -bewertung
  • Patientenbeteiligung auf EU-Ebene
  • Patientenbeteiligung und Interessenkonflikte

Die 13. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks für Evidenz-basierte Medizin soll die Möglichkeit eröffnen, sich über Wissenschaftsgrenzen hinweg über die aktuellen methodischen Verfahren zur Bewertung von Nutzen und Schaden von Interventionen zum Erhalt und der Verbesserung von Gesundheit und Lebensbedingungen auszutauschen. 

Die wertvollen Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsbereichen sollen zur kritischen Reflektion anregen, zu neuen Ideen inspirieren und gemeinsame Projekte anbahnen. Es sind sowohl Wissenschaftler als auch Nutzer wissenschaftlicher Ergebnisse aus allen genannten oder verwandten Bereichen geladen, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse zu präsentieren, Projekte zur Diskussion zu stellen oder ganz einfach aus den Erfahrungen anderer zu lernen.

Wir freuen uns, Sie im März 2012 in Hamburg begrüßen zu dürfen!

Univ.-Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser
Tagungspräsidentin

Dr. Monika Lelgemann, MSc
Vorsitzende EbM-Netzwerk